Im Rahmen der „Kulturdiplomatie“ werden Aktivisten die Dekommunisierungsgesetze und deren Einfluss auf das Kulturerbe der Ukraine besprechen

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Kiew, 5. August 2015 – Am 20. August beginnt im Rahmen des Projekts „Kulturdiplomatie zwischen den Regionen der Ukraine“ des Ukrainischen Crisis Media Centers in Winnyzja die Kulturkunstinitiative „Über dem Bog“. Die Initiative widmet sich der Erörterung der Dekommunisierungsgesetze, sowie der Neudeutung von früheren historischen und menschlichen Beziehungen zur allgemeinen Kultur und dem kulturellen Erbe. Der Name des Projekts ist mit dem ursprünglichen Namen des Flusses Südlicher Bug verbunden, der übersetzt Gott (ukr. Bog) bedeutet.

Der Veranstaltungsort ist das Gebäude des Kinos „Russland“. Das Projektprogramm besteht aus Film- und Diskussionsplattformen, sowie Vorlesungen, Besprechungen, Kursen, Konzerten und Theateraufführungen. „Dieses Projekt ist ein leuchtendes Beispiel, dass wir nicht mehr Wunden heilen wollen, sondern uns darum bemühen, uns um den Organismus zu kümmern und ihn zu heilen. Die Hauptaufgabe dieser Kulturkunstinitiative besteht in der Überwindung der Konfliktsituation, die mit den in der Ukraine beschlossenen Dekommunisierungsgesetzen verbunden sind und mit dem Abriss von Denkmälern aus jener Zeit“, erklärte Leonid Maruschtschak, der Projektkoordinator beim Ukrainischen Crisis Media Center und Ideengeber des Projekts „Über dem Bog“.

Das Wesentliche an dem Projekt ist nicht die Verteidigung des kommunistischen mystischen Erbes, sondern der menschlichen Beziehung zu dem Erbe und dies in erster Linie durch die Werke aus Kunst und Kultur. Wenn die Gesetze über die Dekommunisierung im Wortlaut umgesetzt werden, sind sehr viele Kunstarbeiten gefährdet, da sie demontiert werden müssen und ihr weiteres Schicksal unbestimmt ist. Prinzipiell geht es um ihre faktische Vernichtung. Die Aktivisten sind gegen diese Maßnahme. „Wir wollen vor den Augen der Welt nicht wie ein Land aussehen, das nicht versteht, wie man mit dem kulturellen Erbe umgeht. Daher stellen wir diese Frage, um eine Lösung zu finden und wie wir mit ähnlichen Fällen umgehen“, ergänzte Leonid Maruschtschak.

Während des Diskussionsprogramms wollen die Aktivisten die Frage der Demontage und des weiteren Schicksals solcher Kunstwerke, wie Mosaike, großer Wandbilder und Skulpturen aus der Zeit des Kommunismus besprechen. Außer der visuellen Kunst wird auch über Literatur und Filme gesprochen, sowie über die Sozialpolitik des Staates insgesamt und wie die Beschließung und Erfüllung dieser Gesetze bei der Entwicklung einer Sozialpolitik helfen kann, um aktuelle Probleme zu lösen.

Nach den Worten von Jewgenija Moljar, der Art-Managerin und Projektkoordinatorin des Diskussionsprogramms, haben die Objekte des kommunistischen Erbes zwei „Schicksale“. Zum einen werden sie verfallen und zerstört und an ihrer Stelle werden Gewerbeobjekte gebaut; zum anderen kann man sie uminterpretieren und an ihrer Stelle etwas Moderneres machen. Während der Veranstaltung werden heutige Architekten ihre Entwürfe vorstellen. Die Erfahrungen des „Winnyzja-Case“ können andere Regionen der Ukraine nutzen.

Nach Meinung der Aktivistin aus Winnyzja, Anna Sawtschinskaja, ist der Bedarf nach Kulturprojekten ein Signal, dass sich die Stadt entwickelt. „Wir überwinden die Hürde des Provinzialismus und kommen zu einer anderen Wahrnehmung der Realität und der Nutzung des öffentlichen Raums, den es gibt“, ergänzte Sawtschinskaja. Nach Angaben der Organisatoren wurde Winnyzja zur Umsetzung dieses Projekts wegen der erfolgreichen Erfahrungen beim Dialog zwischen Gesellschaft und Behörden ausgesucht, sowie wegen des Aspekts bei der Durchführung der Dekommunisierung: wenn man zusammen arbeitet und Beschuldigungen einstellt, kann man ein viel besseres Ergebnis erreichen. Diese positive Erfahrung bei der Zusammenarbeit und dem Dialog zischen Behörden und Gesellschaft wird für Gäste aus den östlichen Regionen besonders helfen. Der Stadtrat arbeitet mit Partnerorganisationen und wird Behördenvertreter zu jeder Diskussionsveranstaltung entsenden, damit sie dort Rede und Antwort stellen.

Das Projekt „Über dem Bog“ soll eine Alternative aufzeigen, wie man mit den Kunstwerken aus der kommunistischen Zeit unter aktiver Beteiligung der Gesellschaft umgehen kann. „Vor allem muss die Dekommunisierung in den Köpfen stattfinden. Es geht darum, nicht mit dem „Vorschlaghammer“ zu arbeiten, sondern progressiv und auf europäischem Niveau. Dieses Projekt soll zeigen, dass man auch anders denken kann und man keine richtungsweisenden Methoden anwenden muss, was zu viel besseren Ergebnissen führt“, ergänzte Maruschtschak.

Mit dem Kulturprojekt soll ein Fahrplan, eine Resolution, erstellt werden, die man an die verschiedenen Regionen anpassen kann. Die Gäste aus den östlichen Regionen sollen sehen, wie man die Dekommunisierungsgesetze in ihren Regionen umsetzen kann. „Wir müssen Experten sein und sehr ausgewogen mit dem Kulturerbe umgehen, damit wir nicht wie Vandalen aussehen. Wenn wir die Kunstwerke als „sowjetisch“ abschreiben und dann als „russisch-imperialistisch“ und später noch irgendwie anders, werden wir ständig in Ruinen leben. Wenn wir etwas zerstören und keine Alternative bieten, werden wir tatsächlich in Ruinen leben. Die Beseitigung der Kunstwerke erfordert nicht die Schaffung neuer. Aber die Leute sind sich bewußt, dass eine neue Regierung kommen kann, die ihre Werke wieder zerstört. Wir müssen das Andenken bewahren, aber vor allem, die Kunstwerke“, schloss Leonid Maruschtschak.

Das ausführliche Programm der Kulturkunstinitiative ist hier auf ukrainisch zu finden.