Die russischen Behörden schufen auf der Krim eine Atmosphäre der totalitären Angst, die man mit dem Stalinismus vergleichen kann

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Kiew, 12. November 2015 – Seit 2. November wurden mehrere private und gewerbliche Räume der Krimtataren durchsucht. „Es wurde das Privathaus von Lilia Budschurowa durchsucht. Sie ist Redakteurin des krimtatarischen Fernsehsenders „ATR“ […] Außerdem wurde das Haus von Elsara Isljamowa durchsucht, sowie das Haus der Eltern von Lenur Isljamow und die Gewerberäume des Fernsehsenders „ATR“. Es wurden auch die Gewerberäume eines der größten Transportunternehmen der Krim, die der Gesellschaft „SimCityTrans“, durchsucht und Ermittlungen gegen Lenur Isljamow wegen der Organisation der Lebensmittelblockade auf der Krim eingeleitet“, berichtete Taras Beresowez, Ideengeber des Projekts „Free Crimea“, während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center, die zusammen mit „Free Crimea“ organisiert wurde.

Nach Meinung von Ajder Muschdabajew, stellvertretender Generaldirektor des Fernsehsenders „ATR“, wurde diese Serie an Repressionen nicht erst durch die Zivilblockade der Krim provoziert, sondern durch die Forderungen, die Aktivisten vorbrachten, unter anderem, dass ukrainische und krimtatarische politische Häftlinge entlassen werden.

„Es gibt politische Einschüchterung, die darauf ausgerichtet ist, den Krimtataren das Rückgrat zu brechen und jeden Ansatz von Widerstand im Keim zu erstücken, der sich auf der Krim bildet. Die Krimtataren sollen als politisches Subjekt für die Russische Föderation verschwinden“, erklärte Ajder Muschdabajew.

Er wies besonders darauf hin, dass die Ermittlungen gegen Lenur Isljamow in Bezug auf die Ereignisse, die in der Ukraine geschahen, de facto außerhalb der Russischen Föderation stattfanden und er keine Rechtsverletzung beging.

„Durch diese Repressionen gegen bekannte Krimtataren [Refat Tschubarow, Mustafa Dschemiljew, Lenur Isljamow] gelang es den russischen Behörden, auf der Krim eine Atmosphäre der totalitären Angst zu schaffen, die man mit der stalinistischen Regierung vergleichen kann, als sich die Menschen fürchteten, nicht nur öffentlich ihre Meinung zu sagen, sondern sogar privat oder am Telefon. Schritt für Schritt wird auf der Halbinsel die Atmosphäre eines hybriden Gettos geschaffen, wo es keinen Zaun gibt, aber Aufseher und wo alle wissen, dass jeder Schritt nach rechts oder links, jedes falsche Wort und die falsche Flagge in der Hand zu den verschiedensten Repressionen führen können“, betonte Ajder Muschdabajew.

Als Antwort auf die Repressionen der selbstausgerufenen Krimbehörden gegen die Krimtataren leitete die Untersuchungskommission bei der Hauptverwaltung des Innenministeriums für die Autonome Republik Krim eine Strafermittlung laut Artikel 170 Strafgesetzbuch der Ukraine „Repressionen der legalen Tätigkeit von Gewerkschaften und Gesellschaftsorganisationen“, sowie Artikel 162 „Verstoß gegen die Unantastbarkeit von Wohnraum“ ein. Außerdem erklärte das Innenministerium der Ukraine, dass alle vergleichbaren Fälle auf dem Gebiet der Halbinsel dokumentiert werden und sofort nach der Deokkupation der Krim untersucht werden, berichtete Roman Ostaptschuk, Experte bei „Free Crimea“.

Die Führer und Aktivisten der Krimtataren reagierten am heftigsten. Am 6. November verkündeten sie unter anderem während der Aktion vor der russischen Botschaft ihre sogenannte „Resolution zur Krim“ mit der Bitte an die ukrainischen Behörden und die internationale Gemeinschaft, die Frage zur Deokkupation der Halbinsel auf die Tagesordnung der UN und anderer internationaler Organisationen zu bringen, sowie eine UN-Mission zur Beobachtung der Menschenrechtslage nach Simferopol zu schicken.

Refat Tschubarow forderte im Zusammenhang mit dieser Wendung der Ereignisse die ukrainische Regierung dazu auf, die Stromlieferung auf die Krim als Zeichen des Protests gegen die Repressionen einzustellen.

Folgendes berichtete Lenur Isljamow, der Generaldirektor des Fernsehsenders „ATR“, per Telefon: „Wir wollen, dass die ukrainischen Behörden den Strom abschalten. Um so mehr, weil der Minister für Treibstoff, Energie und die Kohleindustrie in der Ukraine, Wolodymyr Demtschyschyn bereits sagte, dass wir mit unseren Möglichkeiten (selbst Strom zu produzieren) klar kommen können. [siehe hier auf Englisch].“

„Ich will, dass die Ukraine alle gewaltlosen Maßnahmen unternimmt, damit die Repressionen gegen die Krimtataren auf der Krim aufhören, damit Durchsuchungen, Einschüchterungen und Verhaftungen aufhören, damit die Festgenommenen aus den Gefängnissen entlassen werden und damit das Strafverfahren im Fall vom 26. Februar und 3. Mai eingestellt wird“, sagte Ajder Muschdabajew.

Er betonte unter anderem, dass es äußerst wichtig ist, die Frage über Repressionen gegen eine ethnische Minderheit auf das höchste internationale Niveau zu bringen. Die Krim ist die Heimat der Krimtataren und wurde okkupiert. Die Repressionen sind um ein vielfaches schlimmer als das Faktum der Annexion.

Ajder Muschdabajew erinnerte daran, dass die Aktivisten gerade deshalb mit der Blockade der Krim begonnen hatten, um die Krimfrage zurück auf die Tagesordnung der ukrainischen Gesellschaft zu bringen, sowie auf die der internationalen Politik.

Bis heute ist die Position der ukrainischen Staatsführung sehr mehrdeutig, trotz offizieller Erklärungen. Unter anderem erinnerte Lenur Isljamow daran, dass die Ukraine das Gesetz über die Freihandelszone mit der Krim bis heute nicht aufhob. Je nach dem, ob es in nächster Zeit aufgehoben wird und ob ein Genozid an den Krimtataren anerkannt wird, wird zeigen, wie viel die Krimfrage und das Schicksal der Krimtataren der Ukraine wert ist.

„Heute wird sich zeigen, ob die Werchowna Rada der Ukraine und die ukrainische Staatsführung bereit ist, die Krimtataren unter ihren Schutz zu stellen und sich weiter für ihre Interessen einzusetzen“, fasste Ajder Muschdabajew zusammen.