Rückkehr zum oligarchischen System? – Das Verfassungsgericht könnte das Lustrationsgesetz kassieren

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Das Lustrationsgesetz, das im Oktober 2014 in der Ukraine in Kraft trat, hat die Entfernung von politisch belasteten Mitarbeitern aus dem Staatsdienst zum Ziel. Beobachter ziehen nun Bilanz.

Kiew, den 16. März 2016 – Die Lustration findet in der Ukraine heute nur dank der Öffentlichkeit und nicht dank der Staatsmacht statt, die oft die Lustration behindert. Das erklärte Oleksandra Drik, Vorsitzende der gesellschaftlichen Vereinigung “Bürgerkomitee für Lustration” bei einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center in Kiew.

Laut Gesetz unterliegen Staatsangestellte, die in der Amtszeit des früheren Präsidenten Wiktor Janukowytsch (Januar 2010 bis Februar 2014) in leitenden Positionen tätig waren und diese während der Zeit des Euromaidan (21. November 2013 bis 22. Februar 2014) nicht gekündigt haben, der Lustration. Betroffen sind auch Beamte, die ihre Besitzverhältnisse nicht klar dokumentieren können, bei denen sich beispielsweise offizielle Einkommen mit dem tatsächlichen Vermögen nicht decken. Ferner sollen im Rahmen der Dekommunisierung ehemalige Angehörige des KGB oder Funktionäre der Kommunistischen Partei der Sowjetunion aus dem Staatsdienst entfernt werden.

Lustrationsgesetz in Gefahr

Oleksandra Drik zufolge versuchen viele Betroffene, dem Gesetz “Über die Säuberung der Staatsmacht” meist mithilfe von Gerichten zu entkommen. So gebe es in Kiew einige “rekordverdächtige Richter”, die sehr häufig Personen vor der Lustration schützten.

Aber die größte Gefahr für die Lustration gehe derzeit vom Verfassungsgericht aus. Es versuche bereits zum dritten Mal, das Gesetz außer Kraft zu setzen. “Das würde das oligarchische System wiederherstellen. Nach und nach würden alle Errungenschaften der letzten zwei Jahre nivelliert”, sagte Drik und fügte hinzu, dies könnte bereits am 23. März geschehen.

Sie wies ferner darauf hin, die Staatsanwaltschaft verfüge über Beweise dafür, dass sich Janukowytsch seinerzeit mit mehreren Verfassungsrichtern abgesprochen hatte, die Verfassung aus dem Jahr 1996 wieder in Kraft zu setzen. “Seit zwei Jahren wird untersucht, aber niemand wurde bisher unter Tatverdacht gestellt”, so Drik. Die Verfassung von 1996 verlieh dem Präsidenten deutlich größere Vollmachten als die aus dem Jahr 2004. Diese wurde infolge der Euromaidan-Proteste im Februar 2014 wieder in Kraft gesetzt.

Erfolge der Zivilgesellschaft

Die Vorsitzende des “Bürgerkomitees für Lustration” sagte weiter, die Zivilgesellschaft habe in den letzten zwei Jahren durchaus Erfolge erzielt. So sei vor einem Jahr eine Liste mit 50 Top-Beamten veröffentlicht worden, die sich der Lustration entzogen hätten. 42 von ihnen seien inzwischen entlassen. “Darunter sind Vertreter der Staatsführung, stellvertretende Minister, aber auch Gebiets-Gouverneure”, erläuterte Drik.

Auch sei ein Register mit Personen erstellt worden, die der Lustration unterliegen – insgesamt 2577. “Darunter sind nicht nur hochrangige Beamte aus Janukowytschs Zeit, sondern auch Abgeordnete, die heute im Parlament sitzen. Man kann sie nicht entlassen, da sie gewählt sind. Sollten sie aber ein anderes Amt anstreben, dann werden sie es nicht bekommen”, betonte Drik.

Jurij But von der gesellschaftlichen Vereinigung “Wählerkomitee der Ukraine” fügte hinzu, derzeit würden 20 Parlamentarier der Lustration unterliegen. Insgesamt seien bisher 900 Personen entlassen worden. “Dazu muss man aber erwähnen, dass die Anzahl derer, die selbst ihre Ämter niedergelegt haben, um eine Lustration zu vermeiden, um ein Vielfaches höher ist”, so But.

Vorwürfe gegen den Staatlichen Steuerdienst

Auch Artem Omeltschenko vom Institut “Respublika” beobachtet die Umsetzung des Lustrationsgesetzes. Ihm zufolge wurden in Kiew (Stand 14.03.2016) 92 Personen entlassen. Das ist die höchste Zahl landesweit. Im Gebiet Kiew sind es 31. Keiner von ihnen sei jedoch unter die Dekommunisierung gefallen.

Omeltschenko erhob ferner Vorwürfe gegen den Staatlichen Steuerdienst. “Er führt keine korrekten Prüfungen durch. Gerade der Steuerdienst und Sicherheitsdienst der Ukraine stellen die Nachweise aus, auf deren Grundlage bei der Lustration nach den Kriterien der Dekommunisierung und Vermögensklärung entschieden wird”, sagte Omeltschenko.

Oleksandra Drik sagte abschließend, das neue Gesetz über die elektronische Einkommenssteuererklärung für Beamte könnte nun die Vermögens-Lustration ersetzen, die der Staatliche Steuerdienst so gut wie zum Scheitern gebracht habe.