Transparency International: So bestrafen ukrainische Gerichte korrupte Beamte

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Kiew, den 5. April 2016 – Transparency International hat gemeinsam mit Journalisten der Nachrichten-Webseite “Erste Instanz” eine Studie mit dem Titel “Die Richter im Visier” vorgelegt. Deren Ergebnisse wurden auf einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center bekanntgegeben. Durchgeführt wurde die Studie zwischen März 2014 und Februar 2016 mit Unterstützung der US-Botschaft in der Ukraine. In diesem Zeitraum prüften Experten rund 1000 Gerichtsurteile, in denen es um unerlaubte Vorteilsnahme geht. Auch wurden Gerichte verschiedener Instanzen auf Korruption hin untersucht, sagte Fedir Oryschtschuk von der “Ersten Instanz”.

Korruption nimmt zu

Trotz der erklärten Bekämpfung von Korruption ist sie in den vergangenen zwei Jahren gewachsen. Insgesamt flossen in die Taschen von Beamten im Jahr 2015 Schmiergelder in Höhe von 19 Millionen Hrywnja. Im Vorjahr waren es 16 Millionen. Die durchschnittliche Höhe der Schmiergelder stieg von 30.000 auf etwa 40.000 Hrywnja, wahrscheinlich aufgrund der starken Abwertung der Landeswährung. “Am häufigsten wurde bestochen, damit Strafverfahren eingestellt werden. An zweiter Stelle liegen mit zehn Prozent Bestechungen, bei denen es um die Zuteilung von Grund und Boden geht. Acht Prozent der Fälle betreffen das Gesundheitswesen, sieben Prozent Wissenschaft und Bildung, ebenfalls sieben Prozent das Wohnungswesen und sechs Prozent Steuer-Angelegenheiten”, sagte Iryna Rybakowa von Transparency International.

Die meisten Verfahren gegen Beamte, die der Korruption beschuldigt wurden, endeten ihr zufolge mit relativ milden Strafen. Nur ein Fünftel der Täter sei hinter Gittern gelandet (durchschnittlich für vier Jahre und sieben Monate). 38 Prozent hätten eine Strafe auf Bewährung erhalten (durchschnittlich zwei Jahre und zwei Monate), 34 Prozent eine Geldstrafe. Neun Prozent seien freigesprochen worden. Die meisten, die wegen Korruption verurteilt worden seien, seien Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane (14 Prozent). Verfahren gegen Richter würden nur ein Prozent ausmachen. “Das ist nicht auf geringe Korruption unter Richtern zurückzuführen, sondern einfach darauf, dass Verfahren gegen Richter selten bis vor Gericht kommen”, sagte Rybakowa.

Unterschiedliches Strafmaß

Laut der Studie ist bei den Gerichten keine allgemein übliche Praxis zu erkennen, was die Strafen für unerlaubte Vorteilsnahme angeht. Zum Beispiel erhielt der Leiter der Ermittlungsabteilung bei der Steuerinspektion der Stadt Krementschuk, der Schmiergeld in Höhe von 500.000 Hrywnja angenommen hatte, neun von möglichen zwölf Jahren Haft. Zwei ehemalige stellvertretende Bürgermeister von Melitopol, die unerlaubt 1,5 Millionen Hrywnja entgegengenommen hatten, erhielten hingegen eine dreijährige Bewährungsstrafe.

Ähnliche Widersprüche bestehen auch bei Geldstrafen. So wurden beispielsweise ein Zugführer bei der Ukrainischen Eisenbahn, der 1000 Hrywnja Schmiergeld angenommen hatte, sowie ein stellvertretender Abteilungsleiter beim Staatlichen Sonderdienst für Transportwesen, der unerlaubt 25.000 Hrywnja angenommen hatte, jeweils zu einer Geldstrafe in Höhe von 17.000 Hrywnja verurteilt. “Hinsichtlich der Strafen sieht man im vergangenen Jahr eine interessante Tendenz: Die durchschnittliche Höhe von Schmiergeldern betrug 22.000 Hrywnja, und die durchschnittliche Höhe der Geldbußen 19.000. Somit steigen die Schmiergelder zusammen mit dem Dollar-Kurs, die Geldstrafen hingegen werden nicht erhöht”, sagte Rybakowa.

Manipulationen mit der Strafprozessordnung

Fedir Onischtschuk wies ferner darauf hin, dass von den 1000 geprüften Verfahren fast zehn Prozent noch während der vorgerichtlichen oder bei der gerichtlichen Untersuchung “umqualifiziert” worden seien – in Fälle, für die mildere Strafen vorgesehen sind. Zum Beispiel drohten einem Beamten zwölf Jahre Haft, der unerlaubt 67.000 US-Dollar für die Verpachtung von Grundstücken angenommen hatte. Nachdem das Verfahren aber geändert wurde, bekam er nur noch drei Jahre Gefängnis auf Bewährung.

Von allen Strafverfahren (120.000 pro Jahr) enden bislang nur 0,5 Prozent mit Freispruch. 2015 endeten jedoch zehn Prozent der Fälle, in denen es um unerlaubte Vorteilsnahme ging, mit einem Freispruch. Oleksandr Bantschuk, Experte des Zentrums für politische und rechtliche Reformen, sagte, dass Ermittler, Staatsanwälte und Richter mit der Strafprozessordnung manipulieren würden. Ihm zufolge laufen Gerichtsverfahren meist nur gegen Beamte auf unterer oder mittlerer Ebene. “Wenn man sich die Statistik von Transparency International anschaut, dann kommt es einem vor, als gäbe es in der Ukraine keine Korruption in den oberen Etagen der Staatsmacht. Aber dem ist nicht so”, betonte er.

Wie kann man die Situation verbessern?

Um die Korruptionsbekämpfung zu verbessern, müsse die Gesetzgebung geändert werden, sagte Oleksandr Majstrenko von der Rechtsabteilung des Nationalen Anti-Korruptions-Büro in der Ukraine. Beispielsweise könne während laufender Untersuchungen kein Richter in Gewahrsam genommen werden. Zudem würden alle Gerichtsentscheide in einem staatlichen Register eingetragen. So würden Richter, gegen die Untersuchung laufen, von Maßnahmen erfahren, die gegen sie geplant seien, wie zum Beispiel Durchsuchungen. Sie würden so genügend Zeit haben, Akten verschwinden zu lassen.

Majstrenko glaubt ferner, verdächtigte Richter sollten nicht mehr gegen Kaution freigelassen werden können. Oleksandr Bantschuk meint in diesem Zusammenhang, wirksamer wäre ein Hausarrest mit elektronischer Fußfessel für die Zeit laufender Ermittlungen, außerdem der Einzug des Reisepasses sowie obligatorische Treffen mit dem Staatsanwalt und den Ermittlern.

Behörden intensivieren ihre Arbeit

Das Nationale Anti-Korruptions-Büro in der Ukraine besteht seit vier Monaten. In dieser Zeit leitete es mehr als zwölf Verfahren ein – acht gegen Richter, vier gegen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Drei Verfahren wurden bereits dem Gericht übergeben. Das niedrigste Schmiergeld betrug in den genannten Fällen 800 US-Dollar, das höchste 500.000 Hrywnja.

Oleksandr Bantschuk wies darauf hin, dass seit Beginn der Arbeit des Nationalen Anti-Korruptions-Büros alle Rechtsschutzorgane ihre Arbeit intensiviert hätten. Nach Ansicht des Experten wird der Start des Staatlichen Ermittlungsbüros weitere Fortschritte im Kampf gegen die Korruption bringen. Es werde sich der Korruption auf mittlerer Ebene annehmen, im Unterschied zum Nationalen Anti-Korruptions-Büro. In Expertenkreisen wird außerdem die Schaffung eines spezielle Anti-Korruptions-Gerichts diskutiert, was jedoch Gesetzesänderung erfordern würde.