Die neue ukrainische Regierung – Pro und Contra

Das ukrainische Ministerkabinett wurde kardinal erneuert. Allerdings werden einige der neuernannten Minister auch vielen Ukrainern ein Rätsel bleiben. Um die Informationslücken zu füllen, stellt das Ukrainische Crisis Media Center Materialien einige Vertreter der Regierung von Wolodymyr Hrojsman vor.

Fünf Pro und Contra der neuen ukrainischen Regierung

1.) Wadym Tschernysch – Minister für Fragen der vorübergehend besetzten Gebiete und der Binnenflüchtlinge in der Ukraine

Die Gründung dieses Ministeriums ist ein Plus für die Ukraine. Nachteilig ist, dass es erst zwei Jahre nach der Okkupierung der Krim und dem Krieg im Donbass gegründet wurde. Die Ernennung des neuen Ministers wirkt etwas befremdlich: brauchte die Ukraine früher ein solches Ministerium etwa nicht?

Es gibt auch viele Fragen bezüglich des Ministers selbst. Tschernysch, ein Jurist, wurde 2006 zum Gouverneur des Gebiets von Kirowograd ernannt. Zur selben Zeit war er Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat der Ukraine. Im Sommer 2015 wurde Tschernysch zum Vorsitzenden der Staatsagentur für Fragen des Wiederaufbaus im Donbass ernannt. Diese Agentur nahm allerdings nie ihre Arbeit auf. Somit verfügt Tschernysch über Arbeitserfahrungen in einem “kurzlebigen“ staatlichen Organ. Im April 2016 wurde die Agentur mit dem Staatlichen Dienst für Fragen der Autonomen Republik Krim und Sewastopols zum oben genannten Ministerium zusammengelegt.

Es ist noch unklar, ob die Zusammenarbeit zwischen dem neuen Ministerium und den Binnenflüchtlingen aus dem Donbass, sowie dem Medschlis der Krimtataren erfolgreich sein wird. Milde ausgedrückt ist Tschernysch nicht jemand, der deren Probleme von innen kennt. Bei der Gründung des Ministeriums wurden keine Beratungen mit Flüchtlingsvertretern oder Krimtataren über die Kandidatur des Ministers durchgeführt.

2.) Wjatscheslaw Kyrylenko – Vizeministerpräsident

Kyrylenko ist bereits das vierte Mal Minister. Von 2005 bis 2006 war er Minister für Arbeit- und Sozialpolitik, dann Vizeministerpräsident für humanitäre Fragen. Im Dezember 2014 gehörte er als Kulturminister dem Ministerkabinett von Jazenjuk an und verließ dieses Amt zusammen mit der Regierung Jazenjuk.

Als Kulturminister wurde Kyrylenko von Expertenkreisen ständig kritisiert, wegen Inkompetenz, fehlenden strategischen Denkens und primitiver Entscheidungen. Kyrylenko setzte auf Verbote (zum Beispiel russischer Filme mit Militärthemen). Kyrylenko schlug vor, einen Gesetzentwurf mit Quoten für russischsprachige Inhalte im Radio zu verabschieden, da er der Meinung war, dass es zu wenig ukrainische Lieder im Radio gebe. Kyrylenko versuchte, ein Gesetz durchzusetzen, nach dem 50 Prozent der Radioinhalte von ukrainischen Interpreten und Komponisten stammen sollten (davon 75 Prozent Lieder auf Ukrainisch). Diese Initiative zur Zwangsquotierung wurde sowohl von der Gesellschaft als auch von Musikern sehr unterschiedlich aufgenommen, da eine Teilung der Ukrainer nach sprachlichen Merkmalen dem Land nie etwas Gutes gebracht hat. Mehr noch, eine solche “Teilung“ ist gerade dann unnötig, wenn das Land “trotz aller Widrigkeiten“ seine Einheit deutlich machen will. Mit was sich Kyrylenko (sechster Vizeministerpräsident) in der Regierung Hrojsman beschäftigen wird, lässt sich schwer sagen. Diese Ernennung geht nicht auf den Wunsch zurück, das Land qualitativ zu verändern, sondern auf die Quote der “Volksfront“ in der Koalition.

3.) Stepan Kubiw – Erster Vizeministerpräsident, Minister für Wirtschaftsentwicklung und Handel

Kubiw begann seine politische Karriere im Gebietsrat von Lwiw (Lemberg) und war vorher im Bankwesen tätig. Er kandidierte für die Partei des ehemaligen Präsidenten Juschtschenko (2006) und dann für die Partei von Jazenjuk (2010). Im November 2012 wurde er über die Partei von Julia Timoschenko Abgeordneter im Parlament, dem Obersten Rat der Ukraine. Und dann, zwei Jahre später, im November 2014, wurde er Parlamentsabgeordneter des “Blocks Petro Poroschenko“.

Im Februar 2014 leitete er die Ukrainische Nationalbank (NBU). Kubiw wird beschuldigt, für die Abwertung des Hrywnja verantwortlich zu sein. Experten beanstandeten ferner beispielsweise die Umfänge der Refinanzierung einiger Banken. Unter anderem erhielt die “Privat Bank“ des ukrainischen Oligarchen Igor Kolomojskij 20 Milliarden Hrywnja, sowie die “Delta Bank“ zehn Milliarden Hrywnja (wurde im März 2015 als zahlungsunfähig eingestuft). Ukrainische Medien spekulierten über ein mögliches Strafverfahren gegen Kubiw wegen Amtsmissbrauchs als NBU-Chef, doch es wurde eingestellt.

4.) Olexander Danyljuk – Finanzminister

Es verging nicht einmal ein Monat nach der Bildung des neuen Ministerkabinetts, als im Obersten Rat der Ukraine ein Antrag auf Entlassung eines Ministers eingereicht wurde. Dies betraf gerade Olexander Danyljuk.

Der jetzige Chef des Finanzministeriums verspielt das Vertrauen seiner Vorgängerin Natalija Jaresko, die innerhalb kürzester Zeit westliche Partner überzeugen und eine gewisse Unterstützung unter einfachen Ukrainern gewinnen konnte.

Danyljuk hingegen bekam den Status eines “Ministers von Offshore-Finanzen“. Journalisten von „Radio Liberty“ fanden heraus, dass Danyljuk Direktor von drei Offshore-Gesellschaften ist. In einer ersten Reaktion verneinte der Minister seine Mitarbeit bei den Offshore-Unternehmen. Doch später bestätigte er jene Informationen in sozialen Netzen und versprach, die entsprechenden Angaben in seiner Einkommens- und Vermögenserklärung zu korrigieren (jene Gesellschaften waren gar nicht angegeben gewesen). Es ist unklar, wie lange Danyljuk im Amt bleibt. Aber in seinem Ministerium wird die klare Linie weiterverfolgt, das Amt transparent zu machen.

5.) Andrij Rewa – Minister für Sozialpolitik

Das Ministerium von Rewa hatte auch schon einen Skandal: nach zwei Wochen im Amt wurde dem russischen Journalisten Sawik Schuster die Arbeitserlaubnis in der Ukraine entzogen. Diese Entscheidung war rechtswidrig, wurde allerdings gerade von der Behörde getroffen, der Rewa vorsteht.

Rewa kann man als Vertreter des “Teams Winnyzja“ von Hrojsman bezeichnen. Seine Erfahrung beschränkt sich auf den Sozialbereich der Stadt Winnyzja, nicht des gesamten Gebiets. Ob es reicht, dass ein ehemaliger Geschichtslehrer ein Ministerium auf Staatsebene leiten kann, ist sehr zu bezweifeln.

Drei “Pros“ für die neue Regierung

1.) Iwanna Klympusch-Zinzadse – Vizeministerpräsidentin für Fragen der europäischen und euroatlantischen Integration

Im Ministerkabinett ist ein neuer Bereich geschaffen worden, den Iwanna Klympusch-Zinzadse übernommen hat. Sie stammt aus einer Diplomatenfamilie und verfügt über eine ukrainische, sowie ausländische Ausbildung. Iwanna arbeitete auch zehn Jahre lang als Korrespondentin des ukrainischen Dienstes der „BBC“ in den USA.

Bevor sie über die Liste des “Blocks Petro Poroschenko“ ins Parlament gewählt wurde, war sie vier Jahre lang Direktorin der jährlichen internationalen Konferenz “YaltaEuropeanStrategy“.

Bis zu ihrer Ernennung als Vizeministerpräsidentin war sie erste stellvertretende Vorsitzende des Parlamentsausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Vorsitzende der ständigen Delegation bei der parlamentarischen Versammlung der NATO. Klympusch-Zinzadse gehört zur fraktionsübergreifenden Parlamentariergruppe “Eurooptimisten“ (Europäische Optimisten).

Sie unterscheidet sich von der Mehrheit ihrer Parlamentskollegen dadurch, dass sie bisher nicht in Korruptionsskandale verwickelt war und zu keiner Oligarchengruppe zählt.

2.) Lilija Hrynewytsch – Ministerin für Bildung und Wissenschaft

Bereits im Frühjahr 2014 war Hrynewytsch als Kandidatin für das Amt der Bildungsministerin vorgesehen. Doch dann wurde der Posten an den Rektor der Kiewer Mohyla Akademie, Serhij Kwit, vergeben. Hrynewytsch leistete einen großen Beitrag zur Bildungsreform und wird sich jetzt mit der Reform der Mittelschulen beschäftigen.

Hrynewytsch initiierte das System einer unabhängigen Bewertung für Absolventen von Mittelschulen. Das System wurde 2008 von ihr eingeführt, aber viele Experten halten es für ineffektiv.

Sie wurde 2012 Parlamentsabgeordnete und leitete den Parlamentsausschuss für Fragen der Bildung und Wissenschaft.

3.) Wolodymyr Omeljan – Infrastrukturminister

Omeljan wurde 2014 zum stellvertretenden Infrastrukturminister ernannt. Er war im Team des Reformministers Andrij Piwowarskij und beabsichtigt, den Reformkurs entschlossen fortzusetzen. Sollte das System Widerstand leisten und die Reformen blockieren, will er zurücktreten. Der ehemalige Minister wurde zum Berater von Omeljan ernannt. Es sei daran erinnert, dass vor dem Rücktritt der Regierung Jazenjuk vorgeschlagen wurde, westliche Spezialisten als Leiter der Staatsunternehmen “Ukrsalisnyzja“ (Ukrainische Eisenbahn), “Ukrposchta“ (Ukrainische Post) und “Elektrotjaschmash“ (Ukrainische Schwerindustrie) einzusetzen.

Omeljan ist ein erfahrener Kämpfer an der Regierungsfront: er arbeitete in verschiedenen Zeiten im Außen-, Energie- und Finanzministerium. Omeljan bekennt sich zum demokratischen Reformkurs. Am meisten imponiert ihm die Erfahrung von Georgien und Singapur in diesem Bereich.