Hybrider Krieg in der Ukraine – Perspektiven

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Interview mit dem französischen Forscher Ulrich Buna

Ein Hauptproblem der Ukraine im Konflikt im Donbass und zur Zukunft der Minsker Vereinbarungen war, dass der Westen das Wesen eines „hybriden Kriegs“ nicht versteht. Darüber sprachen Journalisten mit Ulrich Buna, einem französischen Forscher und Autor des Buchs „Hybrider Krieg in der Ukraine – Perspektiven“.

Sie sind der Autor des Buchs „Hybrider Krieg in der Ukraine – Perspektiven?“, das im Verlag „Cygne“ (Frankreich) erschien. Was ist nach Ihrer Meinung dem westlichen Publikum über das Wesen eines „hybriden Kriegs“ nicht bekannt?

Die Bedeutung des Begriffs „Hybrider Krieg“ wurde seit seiner Entstehung, als er Anfang der 2000er von amerikanischen Ausgaben erstmals verwendet wurde, bedeutend erweitert. Damals wurde der Begriff für die Art des Kriegs verwendet, der zwischen Tschetschenien und Russland stattfand. Heute wird der Begriff manchmal für alle Handlungen der Russischen Föderation benutzt. Trotzdem finde ich den Vorschlag interessant, die Definition dieses Begriffs zu aktualisieren, über den so viel gesprochen wird, aber über den es keine klare Vorstellung gibt, was er eigentlich bedeutet. Aus diesem Grund versuchte ich die Mechanismen eines „Hybriden Kriegs“ anschaulich aufzuzeigen, sowie die Vorteile, ihn zu führen, aber auch seine Grenzen. Dies geschah am Beispiel verschiedener Operationen von Russland in der Ukraine. Eine dieser Einschränkungen ist unter anderem, wie das Vorbild eines „Hybriden Kriegs“ auf der Krim zum Scheitern von „Noworossija“ führte, über das Wladimir Putin heute gar nicht mehr spricht.

Wenn man es breiter betrachten möchte, versuchte ich in meinem Buch, die Gründe und Besonderheiten dieses Konflikts zu erklären, dessen Wesen für Frankreich relativ unverständlich blieb. Ich versuchte, über die Grenzen der Propaganda zu gehen und eine eher akademische Sicht auf die Fakten vorzulegen, die sich auf mein Wissen im Bereich der internationalen Beziehungen stützen. Ich hoffe, dass mir dies gelang.

Was kann man gegen einen „Hybriden Krieg“ tun?

Hier sehe ich zwei grundlegende Möglichkeiten: eine zivile und eine militärische. Der Erfolg eines „Hybriden Kriegs“ basiert vor allem auf einer groß angelegten Propaganda, die auf soziale Gruppen gerichtet ist, die sich selbst abzugrenzen versuchen – nach ethnischen, religiösen oder wirtschaftlichen Merkmalen. Dadurch geht es im Kampf gegen diese Propaganda vorrangig um das Zugehörigkeitsgefühl zur Gesamtgesellschaft. Eine Person, die sich wirtschaftlich und sozial in die Gesellschaft integriert fühlt, ist weit weniger gefährdet, in die Fänge der feindlichen Propaganda zu geraten. Übrigens, obwohl die russischen Fernsehsender derzeit mit Propaganda überfüllt sind, ist es sehr wichtig, der russischsprachigen Bevölkerung eine alternative und qualitative Informationsquelle in ihrer Sprache zu bieten.

Was die militärischen Optionen angeht, muss hier in einer vorrangigen Richtung gearbeitet werden. Die meisten Operationen eines „Hybriden Kriegs“ bestehen aus „Sabotagetätigkeiten von eingeschleusten Agenten oder ideologischen Anhängern“, weshalb man in erster Linie für eine Spionageabwehr sorgen muss. Außerdem braucht man professionelle Abteilungen gegen Massenunruhen, die sich damit beschäftigen, diese zu neutralisieren oder solche Fälle zu verhindern, wenn kleine Menschengruppen Verwaltungsgebäude stürmen wollen, wie es im April 2014 in Donezk und Slowjansk passierte. Letztlich erhöht eine gut ausgerüstete und vorbereitete Armee die Risiken und den Preis für einen Aggressor bedeutend, den er für eine Invasion zahlen müsste. Dies betrifft besonders „Hybride Operationen“, da sie Gewaltanwendung nur beschränkt vorsehen.

Ein weiteres Element, das meiner Meinung nach im Fall der Ukraine sehr wichtig ist: Admiral Beresowskij lief bei der Krimannexion auf die russische Seite über. Dieses Beispiel zeigt anschaulich, dass Korruption und ein schwaches Staatssystem dem Feind die Möglichkeit gibt, in dessen Strukturen einzudringen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden. Dadurch kann der gesamte Staat lahm gelegt werden. Deshalb ist eine Rechtshoheit und eine effektive Korruptionsbekämpfung auch sehr wichtig, um einem „Hybriden Angriff“ etwas entgegen zu setzen.

Die Methoden der russischen Propaganda erwiesen sich in Ihrem Land, in Frankreich, als sehr wirksam. Was kann man dagegen unternehmen?

In Frankreich nutzt die russische Propaganda zwei Trümpfe: sie bietet einfache Antworten auf schwierige Fragen (Krieg in der Ukraine, Kampf gegen den internationalen Terrorismus, Flüchtlingskrise) und sie facht gewisse unwahre Geschichten an, die von einem gewissen Teil der Bevölkerung geglaubt wird, wie Antiamerikanismus, die Suche nach einem charismatischen Führer oder die Angst vor einem möglichen Verfall Frankreichs. Diese Palette ermöglicht es der russischen Propaganda, eine ganze Reihe von Behauptungen aus dem rechts- und linksradikalen Spektrum für sich zum Vorteil zu nutzen. Gerade deshalb ist es so schwierig, dem entgegenzuwirken.

Gleichzeitig gibt es Entscheidungsvarianten, wie zum Beispiel den Zugang zu objektiven und richtigen Informationen für alle, insbesondere solche, die die reale Situation in Russland betreffen: das BIP pro Kopf liegt ungefähr auf dem Niveau von Polen, die extreme Korruption… Diese Realität ist weit von dem Bild entfernt, dass Russland ein starker Staat sei, traditionelle Werte vertritt und dem „verdorbenen Westen“ Widerstand leistet. Was den Konflikt in der Ukraine betrifft, müssen alternative und abgewogene Informationen von der ukrainischen Diaspora eine wesentliche Rolle spielen.

Deutschland und Frankreich versichern bisher, dass sie für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen stehen, die im Februar 2015 erreicht wurden. Gleichzeitig zeigt sich seit über einem Jahr, dass die dringendsten Sicherheitsfragen (Waffenruhe und Waffenabzug) nicht erfüllt wurden. Ist es an der Zeit, die Minsker Vereinbarung faktisch als „gescheitert“ zu betrachten? Warum sind westliche Diplomaten nicht dazu bereit?

Meine Meinung zu den Minsker Vereinbarungen ist nicht so pessimistisch. Sicher, bisher ist noch kein Mechanismus zur politischen Beilegung des Konflikts umgesetzt worden, allerdings führten die Minsker Vereinbarungen, sowie die Tätigkeit der Kontaktgruppe und die OSZE-Mission vor Ort dazu, dass die Kampfhandlungen wesentlich zurückgingen. Natürlich ist das kein Allheilmittel, aber es hat zumindest das Leben der Zivilbevölkerung etwas erleichtert. Sie ist Geisel der Situation und diese Vereinbarungen ermöglichten es, größere Opfer unter den Soldaten auf beiden Seiten der kriegsführenden Parteien zu verhindern und mehrfach einen Gefangenenaustausch durchzuführen.

Ein endgültiger Verzicht auf die Minsker Vereinbarungen wäre ein „Sprung ins kalte Wasser“, was die Kampfhandlungen wahrscheinlich wieder anfachen würde. Eine solche Entwicklung wird weder im Westen, noch in der Ukraine, oder in Russland gewünscht. Deshalb beharren eben alle auf den Minsker Vereinbarungen, die bisher die einzige sichere „Roadmap“ zur Regelung des Konflikts sind. Was man aber tatsächlich machen sollte, wäre, ihre Existenzfähigkeit zu stärken. Als Anfang wäre das, der OSZE-SMM mehrere Vollmachten einzuräumen und deren Handlungsspielraum auszuweiten, damit beide Konfliktparteien gezwungen sind, die Waffenruhe einzuhalten und die Verlegung von schweren Waffen zu verhindern.

Was waren Ihrer Meinung nach die größten Fehler der Ukraine seit Beginn dieses Konflikts?

Der „Hybride Krieg“, der von Russland auf der Krim und im Donbass ausgelöst wurde, stütz sich vor allem auf eine perfekte Propagandamaschine. Alle Kommunikationsprobleme spielen damit in die Hände der Propagandisten. Leider sah die Kommunikation der ukrainischen Regierung oftmals sehr plump aus. Nehmen wir das Beispiel mit dem Gesetz über den Status der russischen Sprache, das von der Werchowna Rada aufgehoben wurde. Obwohl die Entscheidung nicht rechtskräftig wurde, war es ein echtes Geschenk für die russische Propaganda, die es nutzte, um die Ängste unter der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass zu schüren. Man könnte auch fragen, ob es sinnvoll ist, die Operation im Osten „Anti-Terror-Operation“ zu nennen, da damit alle über einen Kamm geschoren werden, die sich auf der Seite der von den Separatisten kontrollierten Gebiete befinden. Oder es ist zu fragen, warum unter den Freiwilligenbataillonen wirklich Einheiten sind, die neonationalistisch sind – dies spielt wieder den russischen Medien in die Hände, um den Mythos „Kiewer Neonazis“ zu speisen. Noch kränklicher ist, dass die Ukraine zu wenig tut, damit solche Informationen nicht zu den Leuten kommen, die sich in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten befinden. Das verstärkt nur ihr Gefühl, dass sie im Stich gelassen wurden.

Wenn wir über militärische Dinge sprechen, so scheint es, dass die Niederlage von Ilowajsk nicht nur auf das Konto der russischen Armee geht. Ein Teil des ukrainischen Generalstabs ignorierte besorgniserregende Meldungen des Nachrichtendiensts und trat dafür ein, die Kampfhandlungen fortzusetzen, was letztlich zur Vernichtung ukrainischer Soldaten führte. Natürlich kann man auch die Frage stellen, wie sinnvoll es war, den Donezker Flughafen bis zum Letzten zu halten und dabei auf den Mut der „Cyborgs“ zu hoffen. Dabei waren die ukrainischen Soldaten bereits gezwungen, bei Rotationen die Checkpoints der Separatisten zu passieren.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass sich die ukrainische Gesellschaft immer stärker dem Rand zwischen „Müdigkeit und Radikalisierung“ nähert. Welche konkreten Beispiele können Sie nennen?

Die Müdigkeit in der ukrainischen Gesellschaft zeigt sich auf verschiedene Art. Zum einen steigt die Zustimmung, dass „wenn die Separatisten so sehr ihre Unabhängigkeit wollen, dann sollen sie sie bekommen und unabhängig werden“. Eine Umfrage, die Anfang Sommer 2015 durchgeführt wurde, ergab, dass die Mehrheit der Ukrainer bereit wäre, die besetzten Gebiete im Donbass aufzugeben, wenn sie dafür Frieden bekämen. Ein weiteres Anzeichen für die Müdigkeit sind auch die zahlreichen Fälle, dass sich kaum mehr jemand bei der Mobilisierungswelle im Sommer 2015 rekrutieren ließ. Niemand hat großartig Lust, an eine „eingefrorene Front“ zu fahren, um für den Erhalt des „Status Quo“ zu kämpfen und zu sterben.

Was die Radikalisierung angeht, scheint mir, dass dies einen relativ kleinen Teil der Gesellschaft berührt. Dies zeigt sich in dem Wunsch, der gesamten Willkür durch äußerste Gewalt ein Ende zu setzen. Das Chaos in der Werchowna Rada vom 31. August 2015 zeigte, dass diese Tendenz zwar keine Massenerscheinung ist, aber dass sie vorhanden ist.

Ständig steigt der Druck auf die Ukraine, im Osten Wahlen durchzuführen und die Verfassung zu reformieren. Die letzten Ereignisse, wie die Reise des französischen Außenministers (Ayrault) nach Moskau und die Abstimmung der Nationalversammlung über die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, lassen vermuten, dass sich die Position von Frankreich allmählich zugunsten Russlands ändert und aus der Isolation tritt. Welche Änderungen sind in nächster Zeit und darüber hinaus zu erwarten?

Die Abstimmung der Nationalversammlung ist kein wirklich wichtiges Ereignis. Die Rede ist eher über riskante Abstimmungen, die in den Sitzungen der Versammlung immer wieder stattfinden, wenn nur wenige Abgeordnete anwesend sind. Meiner Meinung nach wird sich diese Entscheidung mittelfristig in keiner Weise auf die französische Außenpolitik auswirken. Gleichzeitig änderte sich offenbar die Rhetorik westlicher Länder und von Frankreich im Umgang mit Kiew. Je mehr und öfters Hilfe geleistet werden soll, werden gewisse Bedingungen gestellt, wie reale Reformen in der Ukraine. Vielleicht zeigt dies eine bestimmte Gereiztheit bei dem langsamen Modernisierungstempo innerhalb des ukrainischen Staates, sowie bei der Krise, die das Ende der Regierung von Jazenjuk begleitete. All dies lässt vermuten, dass die ukrainische politische Elite keine wirklichen Änderungen will. Parallel festigte der russische Kampfeinsatz in Syrien die Position von Baschar al-Assad. Dadurch wurde ein Dialog mit Moskau notwendig. Ohne Russland wird es kaum gelingen, den Krieg in Syrien zu beenden und die Flüchtlingskrise zu lösen, die mitunter durch diesen Krieg verursacht wurde.

Damit beginnt für die Ukraine gerade eine schwierige Zeit. Der Westen ist nicht mehr bereit, ohne Gegenleistungen zu helfen und fordert beharrlicher Reformen, einschließlich bei der Verfassung. Allerdings kann man meiner Meinung nach nicht von einem vollständigen Bruch bei der Zusammenarbeit mit Kiew sprechen. Der Westen wird die Ukraine auch weiterhin unterstützen, aber diese Hilfe wird geringer ausfallen, wenn nicht mit Reformen begonnen wird. Was die Sanktionen betrifft, ist die Zeit, die jetzt beginnt, entscheidend. Wenn die Waffenruhe ab 1. Mai und darüber hinaus real anhält, auf die man sich einigte, kann Russland damit rechnen, dass die Sanktionen der EU aufgehoben werden. Ende Juni soll über deren Fortsetzung entschieden werden und im Fall einer Aussetzung wird der Druck auf Kiew steigen, endgültig für das Dezentralisierungsgesetz zu stimmen. Wenn die Waffenruhe nicht lange hält, werden die Sanktionen aller Wahrscheinlichkeit nach verlängert.

Wie wird sich die Situation auf der Krim und in der Ostukraine weiter entwickeln? Und warum?

Was die Krim betrifft, scheint mir eine Rückkehr der Halbinsel zur Ukraine mittelfristig unmöglich. Die Mehrheit der Russen ist auch weiterhin davon überzeugt, dass die Annexion rechtmäßig war und meint, dass man darauf stolz sein kann. Es ist auch schwer vorstellbar, dass Wladimir Putin seine Entscheidung ändern wird.

Was den Donbass angeht, befürchte ich, dass sich die Situation nicht sonderlich verändert. Die Führer der „Luhansker und Donezker Volksrepubliken“ entstammen kriminellen Gruppen, die diese Situation zur Selbstbereicherung nutzen. Deshalb sind sie auf keinen Fall daran interessiert, dass die Gebiete zurück zur Ukraine kommen. Russland will sich auch die Möglichkeit offen halten, die Ukraine durch diesen Konflikt zu schwächen. Der Kreml kann den Konflikt wieder anfachen, wenn es seinen strategischen Interessen dient. Außerdem erlitt der Donbass bedeutende Zerstörungen und die Mittel, die zur Wiederherstellung der Region notwendig sind, übersteigen derzeit die finanziellen Möglichkeiten der Ukraine, aber auch die von Russland. Gerade befinden sich beide Länder in einer sehr schwierigen Wirtschaftssituation, weshalb beide Länder faktisch kein Interesse daran haben, die Kontrolle über diese Gebiete zu übernehmen. Leider sind die Zivilisten Geiseln dieser Situation. Sollte der Konflikt auch auf der Seite der von den Separatisten kontrollierten Gebiete allmählich „eingefroren“ werden, entsteht ein zweites Transnistrien und darunter wird gerade die Zivilbevölkerung leiden.

Das Interview wurde von Tetjana Ogarkowa geführt.

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Über den Autor: Ulrich Buna schloss die Magistratur des Pariser katholischen Instituts im Fach „Geopolitik und internationale Sicherheit“ ab und verfügt über langjährige Beratungserfahrung. Durch seine Erfahrungen bei der Erforschung der Prozesse in Zentral- und Osteuropa kennt Ulrich Buna die Besonderheiten in der Region und in der Ukraine sehr gut, unter anderem während der Zeit nach dem Euromaidan.