Wochenübersicht der ukrainischen Pressenachrichten vom 10. bis 16 Mai 2016

Die Situation in der Zone der Anti-Terror-Operation

In der vergangenen Woche wurden die ukrainischen Streitkräfte wieder mit Granatenwerfern und Mörsern mit einem Kaliber von 82 und 120 Millimetern beschossen. Laut Minsker Vereinbarungen müssen solche Waffe von der Trennlinie abgezogen sein (Nachricht auf Englisch).

In der vorigen Woche wurden die ukrainischen Checkpoints bei Awdijiwka am heftigsten beschossen (hier wurden die meisten ukrainischen Soldaten verletzt). Insgesamt wurden die ukrainischen Truppen 124 Mal beschossen. Infolge des Beschusses seitens der prorussischen Militärverbände und durch Sprengfallen wurden drei ukrainische Soldaten getötet und 17 weitere verletzt.

Im Donbass drohen wegen des Vorgehens der prorussischen Militärverbände Umweltverschmutzungen und die Vergiftung von Trinkwasser. In den vorübergehend besetzen Gebieten wird weiterhin Infrastruktur zerstört. Industrieobjekte werden abgebaut und nach Russland geschafft. So demontieren Soldaten des 1. Armeekorps der russischen Streitkräfte Anlagen des ehemaligen Quecksilber-Kombinats. Es besteht die Gefahr, dass Wasserpumpen des Bergwerks ausfallen, was zu einer Verschmutzung des Trinkwassers der naheliegenden Siedlungen mit Quecksilber führen kann (Meldung auf Englisch).

Nach Angaben des ukrainischen Nachrichtendienstes verstärkt Russland weiterhin die Militärverbände in den vorübergehend besetzten Gebieten Donezk und Luhansk. So traf eine Untereinheit der 10. Einzelbrigade der Sondereinsatzkräfte der russischen Streitkräfte aus Kransnodarsk (Russland) in Luhansk ein (Meldung auf Englisch).

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellte einen bedeutenden Rückgang der Kampfhandlungen im Donbass fest. Das teilte der erste stellvertretende Leiter der OSZE-SMM, Alexander Hug, mit.

Die Sonderbeobachtungsmission der OSZE berichtet, dass ihre Beobachter am 9. Mai auf “Militärparaden” in den besetzten Städten Donezk und Luhansk eine große Anzahl von Waffen festgestellt haben (Bericht der OSZE).

Politische Verhandlungen: Treffen im Normandieformat in Berlin

Bei dem Treffen der Außenminister im „Normandieformat“ am 11. Mai in Berlin wurden die Rahmenbedingungen zur Durchführung von Wahlen in den besetzten Gebieten besprochen, wobei dies ergebnislos endete. Keine der Parteien ist letztlich bereit, auf die andere Seite zuzugehen. Die Ukraine besteht auf die Einhaltung der ukrainischen Gesetzgebung und auf die Durchführung der Wahlen nach ukrainischen Regeln (Kommentar des ukrainischen Außenministers Pawlo Klimkin auf Englisch). Russland besteht auf die Beschließung neuer Regeln und Gesetze im direkten Dialog zwischen Kiew und den Vertretern der selbsternannten Volksrepubliken. Der russische Außenminister Sergej  Lawrow besteht auf eine Amnesie der Kämpfer. Nach allem neigen die europäischen Beteiligten dazu, einen Kompromiss auf Basis des ukrainischen Vorschlags zu erreichen, allerdings unter Berücksichtigung der russischen Vorschläge.

Sollten die notwendigen Bedingungen aus den Minsker Vereinbarungen erfüllt werden, könnten Ende dieses Jahres Lokalwahlen in den besetzten Gebieten im Donbass durchgeführt werden, teilte der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, gegenüber Journalisten mit, nachdem eine neue Polizeipatrouille in Kramatorsk feierlich eingeweiht wurde. Die Durchführung von Wahlen ist erst dann möglich, „wenn die Sicherheit gewährleistet ist, die Waffenruhe eingehalten wird, die Geiseln freigelassen wurden, eine bewaffnete Mission eingesetzt wird und diese Mission nicht nur an der Trennlinie stationiert ist, sondern auch an der Außengrenze“, betonte Poroschenko.

Menschenrechte. Die besetzte Krim

Auf der Halbinsel gibt es weiterhin Repressalien gegen Krimtataren. Am 12. Mai führten bewaffnete Vertreter des russischen Geheimdiensts FSB mehrere Durchsuchungen von Häusern und Cafes durch, die Krimtataren gehören. Dabei wurden in der Stadt Bachtschisaraj vier Krimtataren beschuldigt, der Terrororganisation „Hizb ut-Tahrir“ anzugehören; zwei von ihnen wurden verhaftet. Später erschien in sozialen Medien ein Video mit den Durchsuchungen, die von den Okkupationsbehörden ausgeführt wurden (Meldung auf Englisch).

Ein Führer der Krimtataren, Sair Smedljajew, erklärte, dass er bis 18. Mai, dem Jahrestag der Deportation der Krimtataren 1944, weiterhin mit Durchsuchungen auf der Krim rechnet. Er meint, dass diese Aktionen dazu dienen, die radikalen Aktionen von Krimtataren zu provozieren: „Man muss den Konflikt etwas provozieren“ (Meldung auf Englisch).

Umfrage

42,4 Prozent der Ukrainer gefällt die Ernennung von Wolodymyr Hrojsman als Ministerpräsident nicht. Dies zeigt eine Umfrage, die vom Zentrum „Rasumkow“ durchgeführt wurde. 35,4 Prozent der Befragten unterstützten die Entscheidung. Eine relative Mehrheit (44,3 Prozent) meint, dass die Arbeit der neuen Regierung genauso ineffektiv sein wird, wie die der vorherigen. 20,1 Prozent der Befragten meinen, dass die neue Regierung besser wird; und 17,3 Prozent meinen, die neue Regierung wird schlechter als die vorhergehende. 10,3 Prozent der Repräsentanten meinen, dass nach dem Rücktritt der Regierung von Arsenij Jazenjuk und der Bildung einer neuen Regierung, einschließlich einer neuen Koalition, die politische Krise in der Ukraine beendet sei; die überwiegende Mehrheit der Repräsentanten (72,7 Prozent) ist nicht dieser Meinung.

Neuer Generalstaatsanwalt der Ukraine

In der Ukraine ist Jurij Luzenko, ein bekannter ukrainischer Politiker, zum neuen Generalstaatsanwalt ernannt worden. Zwischen 2005 und 2006 sowie zwischen 2007 und 2010 war Luzenko Innenminister. Während der Präsidentschaft von Wiktor Janukowytsch saß er mehr als ein Jahr im Gefängnis. In letzter Zeit war Luzenko Chef der Fraktion der Partei “Block Petro Poroschenko” im Obersten Rat, dem Parlament der Ukraine.

Das größte Problem bei Luzenkos Ernennung zum Generalstaatsanwalt war, dass er ein Politiker ist, der dem Präsidenten Poroschenko nahe steht. Daher werden Vorwürfe, wonach Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft dem Willen des Präsidenten untergeordnet sind, für Luzenko nicht zu vermeiden sein. Ein weiteres wichtiges Problem ist, dass Luzenko keine juristische Ausbildung hat, und laut bisherigem Gesetz nicht Generalstaatsanwalt hätte werden können. Doch dieses Problem löste das Parlament innerhalb eines Tages. Es verabschiedete ein neues Gesetz, das als “Luzenko-Gesetz” bezeichnet wird. Danach muss ein Generalstaatsanwalt über keine juristische Ausbildung mehr verfügen. Nur anderthalb Stunden nach der Verabschiedung wurde das Gesetz vom Präsidenten unterzeichnet, und nur weitere anderthalb Stunden später in der Parlamentszeitung “Holos Ukrajiny” (Stimme der Ukraine) veröffentlicht (das gilt als Geschwindigkeitsrekord). Am gleichen Tag hatte Präsident Poroschenko Jurij Luzenko als Kandidaten für den Posten des Generalstaatsanwalts vorgeschlagen. Danach unterstützte der zuständige Parlamentsausschuss die Kandidatur und das Parlament stimmte für Luzenko als neuen Generalstaatsanwalt.

Die Verabschiedung des Gesetzes wurde von einer Debatte im Parlament begleitet. Letztendlich wurde es mit 258 Stimmen angenommen. Serhij Leschtschenko, Abgeordneter der Partei “Block Petro Poroschenko” erklärte, das Gesetz sei mit der Unterstützung von Abgeordneten beschlossen worden, die oligarchischen Clans unterstellt seien (39 Abgeordnete, die Ihor Kolomojskyj und anderen Gas-Oligarchen zuzuordnen sind). Gegen das entsprechende Gesetz waren die Partei “Samopomitsch” (Selbsthilfe), die Partei “Batkiwschtschyna” (Vaterland) sowie einige Mitglieder anderer Fraktionen, darunter auch des “Blocks Petro Poroschenko”.

Die Meinungen von Experten gehen auseinander. Einige Experten sehen die “blitzschnelle” Wahl des neuen Generalstaatsanwalt und die Anpassung des Gesetzes an ihn kritisch, denn über verschiedene Kandidaten sei zuvor mehrere Monate lang diskutiert worden. Die schnelle Ernennung Luzenkos zeige, dass sie von Poroschenko unterstützt worden sei. Dies lasse an der Unabhängigkeit des künftigen Generalstaatsanwalts zweifeln. Andere Experten glauben, dass Luzenko, der unter dem Ex-Präsidenten Janukowytsch nach einem politisch motivierten Prozess verurteilt wurde, über ein Jahr im Gefängnis saß und sich an den Ereignissen auf dem Maidan aktiv beteiligte, objektive Ermittlungen durchführen und die Generalstaatsanwalt reformieren könne.

Wirtschaft

Die internationale Ratingagentur Moody’s sieht für 2016 eine Erneuerung des BIP-Wachstums in der Ukraine. Dabei rechnet die Agentur damit, dass die ukrainische Wirtschaft weiterhin verwundbar bleibt, obwohl sich das Inflationstempo von 60,9 auf 9,8 Prozent bedeutend verlangsamte und der Hryvnakurs relativ stabil ist. Derzeit betragen die Staatsschulden der Ukraine 80 Prozent des BIP, wobei sich die Restrukturierung der Euroobligationen mit 3 Milliarden USD von Russland wahrscheinlich aufgrund eines langwierigen Gerichtsprozesses hinziehen wird, meinen die Experten der Agentur.

Moody’s erwartet, dass sich die ukrainische Wirtschaft 2016/2017 langsam erholt und das Defizit des ukrainischen Staatshaushalts wahrscheinlich mit 3,7 Prozent innerhalb der Werte bleibt, die vom Internationalen Währungsfond vorgeben wurden. Ursache dafür sind Steuerreformen und der weitere Rückgang von Gassubventionen.

Der ukrainische Finanzminister, Olexander Danyljuk ist davon überzeugt, dass der Internationale Währungsfond der Ukraine die nächste Tranche in Höhe von 1,7 Milliarden USD auszahlen wird. Der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, und der US-Vizepräsident, Joe Biden, einigten sich darüber, in nächster Zeit ein bilaterales Abkommen zu unterzeichnen, das der Ukraine eine dritte Tranche an Kreditgarantien in Höhe von 1 Milliarden USD vorsieht, teilte die Pressestelle des ukrainischen Präsidenten mit.

Der Wirtschaftswissenschaftler Serhij Korablin schätzt, dass sich zwischen 117 Milliarden USD (Global Financial Integrity) und 167 Milliarden USD (Tax Justice Network) der ukrainischen Unternehmen in Offshore-Ländern befinden. In seinem Artikel heißt es, dass die jährlichen Offshore-Verluste der Ukraine damit 11-12 Milliarden USD erreichen, was ungefähr der Höhe der IWF-Kredite entspricht, die das Land 2014/2015 erhielt. Nach Aussagen des Autors ist der erwähnte Geldabgang mit dem Rückgang von Einlagen in das Grundkapital begleitet.

Die ukrainische Wirtschaft beginnt sich nach einem zweijährigen Rückgang langsam zu erholen. Dies besagen die Zahlen des Staatlichen Statistikamts für das erste Quartal 2016, sowie die von Experten. Die Zunahme der Industrieproduktion (um 3,7 Prozent) erklären sich die Experten vor allem durch die Belebung des Weltmarkts für Metalle, auf dem die Ukraine ein Global Player ist. Die Experten sehen allerdings in den steigenden Umsatzzahlen im Einzelhandel (1,6 Prozent), die über ein Jahr lang zurückgingen, den besten Indikator, dass das Gröbste überstanden ist. Gleichzeitig beschleunigte sich der BIP-Rückgang von 6,8 Prozent im ersten Quartal 2015 auf 9,9 Prozent im ersten Quartal 2016. Die Ex- und Importumsätze sanken dabei weiter: um 27,2 und 29,9 Prozent; früher betrug der Rückgang entsprechend 14,6 und 28 Prozent.

Sieg der krimtatarischen Sängerin Jamala beim Eurovision Song Contest

Die Ukraine hat den ESC 2016 gewonnen. Die krimtatarische Sängerin Jamala siegte mit ihrem Lied “1944”, das der Deportation der Krimtataren im Jahr 1944 gewidmet ist. Auch Jamalas Großmutter wurde damals deportiert.

Jamalas Sieg ist besonders für die Krimtataren wichtig, weil dieses Lied die Tragödie des ganzen krimtatarischen Volkes erzählt. In diesem Jahr erinnern die Ukraine und die Krimtataren an den 72. Jahrestag der Deportation. Auf diese Weise unterstützte Jamala ihre Landsleute auf der von Russland besetzten Krim. Die Krimtataren hoffen, dass die Ukraine somit der Rückführung der Krim einen Schritt näher gekommen ist.

Dem politischen Kolumnisten Nasarij Sanos zufolge ist Jamalas Sieg nicht nur deswegen wichtig, weil die ganze Welt die wahre Stimme der Krim gehört hat, sondern auch, weil sie diese Stimme immer öfter hören wird. Das sei eine Möglichkeit, die Welt ständig an die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim zu erinnern. Als Eurovisions-Siegerin wird Jamala gewissermaßen zu einer Botschafterin des krimtatarischen Volks, die weltweit auf höchster Ebene Gehör finden wird. Jamalas Sieg wird auch die ukrainische Staatsmacht motivieren. Diese wird sich Verpflichtungen nicht entziehen können. Sie wird eine Strategie erarbeiten und entschlossener in der Krim-Frage vorgehen müssen.

Nachfolgend eine Auswahl an englischspachigen Interviews, Analysen und Videos zur Situation in der Ukraine

Dokumentarfilm

“Donezker Frühling: Kampf um die Heimat”. Ein Film von HromadskeTV über die Ereignisse in Donezk im Frühling 2014.

Reportage

Jamala hat den Eurovision Song Contest gewonnen. Reportage von KyivPost.

Die OSZE-SMM bestätigte, dass es im vorübergehend besetzten Luhansk verbotene Panzer gibt. Reportage von Ukraine Today.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ernannte Jurij Luzenko yum Generalstaatsanwalt. Reportage von KyivPost.

Erklärung ukrainischer Journalisten bezüglich der Offenlegung persönlicher Daten von Journalisten, die in der sogenannten “Donezker Volksrepublik akkreditiert wurden. Die Daten waren von ukrainischen Aktivisten gehackt worden. Hromadske International.

Die stellvertretende Innenministerin Eka Zguladze, die sich mit der Reform der nationalen Polizei beschäftigte, ist zurückgetreten. Diese Reform wird blockiert. Reportage von KyivPost.

Die Verhandlungen vor einem tschetschenischen Gericht in den Fällen der ukrainischen politischen Häftlinge Mykola Karpjuk und Stanislaw Klych wurden verschoben. Artikel von Ukraine Today.

Nadija Sawtschenko feierte ihren 35. Geburtstag in einem russischen Gefängnis. Artikel von Ukraine Today.

Interviews

Die tragische Geschichte des Donbass. Interview von Hromadske Inetrnational mit dem US-Historiker Hiroaki Kuromiya.

Analyse

Die Ukraine liegt nach dem Jemen, Syrien und dem Irak auf dem vierten Platz im Flüchtings-Ranking. Analyse von Ukraine Today.

Was muss die Ukraine tun, um vom Internationalen Währungsfonds eine weitere Tranche in Höhe von 1,7 Milliarden US-Dollar zu erhalten. Analyse von KyivPost.

Zerstörung sowjetischer Mythen über den Zweiten Weltkrieg. Artikel von Ukraine Today.

Reformer verlassen die Regierung und Behörden, die Korruption siegt. Analyse von KyivPost.

Wie die Russen auf den Sieg von Jamala beim Eurovision Song Contest reagieren. Analyse von KyivPost.