Die Zukunft der Krim: Ist eine Wiedereingliederung in die Ukraine möglich?

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Im Ukraine Crisis Media Center hat eine Diskussion mit dem Thema “Die Zukunft der Krim: Ist eine Wiedereingliederung möglich? Wie und wann?” stattgefunden. Experten sprachen über Lösungen und Probleme.

Kiew, 9. Juni 2016 – Laut einer gemeinsamen Umfrage der Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen” und des Rosumkow-Forschungzentrums ist die Mehrheit der ukrainischen Bürger (69 Prozent) der Meinung, dass die Krim Teil der Ukraine sein soll. 12 Prozent finden, die Halbinsel sollte unabhängig sein. Sieben Prozent wollen, dass sie Teil der Russischen Föderation ist.

“Für die Mehrheit der Ukrainer stellt sich die Frage der Zugehörigkeit der Krim gar nicht. Für sie ist sie unbestritten ukrainisches Territorium”, sagte Ruslan Kermatsch von der Stiftung “Demokratische Initiativen”. Ihm zufolge sind sich die Befragten aber unklar darüber, wie die Krim wieder in die Ukraine eingegliedert werden könnte. “Deshalb brauchen wir eine umfassende Strategie zur Deokkupation der Krim und zur Wiedereingliederung der Halbinsel”, sagte er.

Gerät die Krim ins Vergessen?

Jusuf Kurktschi, stellvertretender Minister für die vorübergehend besetzten Gebieten und die Binnenvertriebenen der Ukraine, findet, dass derzeit nur sehr wenige Menschen über das Krim-Problem sprechen. Das würden nur diejenigen tun, die von dort stammten. Die Rückführung der Krim sollte zu einem strategischen Ziel werden, sonst werde es keine wesentlichen Veränderungen geben.

Der Vorsitzende des Medschlis der Krimtataren und Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, Refat Tschubarow, wies darauf hin, dass 31 Prozent der Befragten glauben, dass eine Rückführung der Krim nicht an der Zeit ist. “Putin setzt gerade auf Zeit. Und alle, die sagen, das Problem sei nicht an der Zeit, spielen Russland in die Hände”, sagte er und betonte, es wäre für die Ukraine eine große Gefahr, sollte die Krim nicht zurückkehren. “Heute haben wir eine globale Konfrontation: entweder kehrt Russland in den Rahmen des internationalen Rechts zurück, oder der Westen wird sich mit Russland auf Kosten der Ukraine und der Krimtataren einigen”, unterstrich Tschubarow. Hauptsache sei, beantworten zu können, warum die Krim zur Ukraine zurückkehren sollte. Gerade davon würde abhängen, wie und wann die Halbinsel zurückkehren werde.

Der künftige Status der Krim

Julia Tyschtschenko vom “Ukrainischen unabhängigen Zentrum für politische Forschung”, sagte, es gebe derzeit einen Diskurs darüber, wonach die Krim künftig den Status einer krimtatarischen nationalen Autonomie innerhalb der Ukraine bekommen könnte. Aber die Umsetzung dieser Idee erfordere eine breite gesellschaftspolitische Debatte über die Grundsätze, Werte und Beziehungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen auf der Krim. “Der Bevölkerung wird mit möglichen Konsequenzen Angst gemacht: was werden die anderen Minderheiten sagen, wenn die Ukraine beginnt, sich in diese Richtung zu bewegen”, sagte Tyschtschenko.

Jurij Smiljanskyj, Experte der Stiftung “Maidan of Foreign Affairs”, sagte, wenn die Ukraine sich weiter europäisch entwickeln wolle, dann werde die Krim als eine autonome nationale Republik in vollem Einklang mit den europäischen Grundsätzen und Regeln stehen, einschließlich des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung.

Eine Politik zur Rückführung der Krim fehlt

Der Optimismus der Ukrainer, was die Krim angeht, habe in den vergangenen zwei Jahren nachgelassen. meint Andrij Klymenko, Chefredakteur des Internetportals “BlackSeaNews”. Grund sei, dass eine gezielte staatliche Politik bezüglich der Halbinsel fehle. Faktisch würden sich mit der Krim-Frage nur noch Nichtregierungsorganisationen befassen. Da es keine einheitliche Politik gebe, würden sich um die Krim auch zunehmend verschiedene Mythen ranken.

Einer davon sei, so Klymenko, dass dank erfolgreicher Reform und Wohlstand in der Ukraine die Krim “selbst zurückkehrt”. Doch das werde nicht passieren, denn in dem Staat, der die Krim annektiert habe, gebe es weder Demokratie noch freie Meinungsäußerung. “In den nächsten drei bis vier Jahren werden etwa eine Million Menschen aus anderen Regionen Russlands auf die Krim übersiedeln. Nach Sewastopol sind schon 100.000 gekommen. Sie sollen die Krim-Bevölkerung ersetzen – die Krimtataren und politisch aktiven Menschen anderer Nationalitäten”, sagte Klymenko. Er fügte hinzu, ein Mythos sei auch, dass alle Menschen auf der Krim eine Loslösung von der Ukraine gewollt hatten. “Nur 30 Prozent der Bewohner waren zum Zeitpunkt des sogenannten Referendums pro-russisch eingestellt”, so der Chefredakteur des Internetportals “BlackSeaNews”.

Der militärische Aspekt

Mychajlo Samus, stellvertretender Direktor des Zentrums für Armee, Konversion und Abrüstung, sagte, dass sich bislang keine militärisch-strategischen Bedingungen für eine Deokkupation der Krim ergeben hätten. “Russland kann heute den Zugang der Ukraine zum Meer blockieren. Die ukrainischen Seestreitkräfte haben keine Kapazitäten, dies zu verhindern. Russland baut an allen Seiten weiterhin sein Militär aus, auch in Belarus, wo zu einem gewissen Zeitpunkt Truppen auftauchen können. Und in der Republik Moldau wird wahrscheinlich ein pro-russischer Präsident an die Macht kommen”, sagte Samus.

Er glaubt, dass ein Beitritt der Ukraine zur NATO das strategische Gleichgewicht in der Region verändern und die Krim-Frage auf eine ganz andere Ebene heben könnte. Mit dem Aufbau nicht-nuklearer strategischer Abschreckungskräfte könnte auch Russlands Appetit gebremst werden.