Sorge um Kulturdenkmäler auf der Krim und im Donbass

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Im Ukraine Crisis Media Center hat eine Pressekonferenz über den Zustand von Kulturdenkmälern in den besetzten Gebieten stattgefunden. Experten fordern einen Schutz von Objekten des kulturellen Erbes. Wie kann die internationale Gemeinschaft helfen?

Kiew, 13. Juni 2016 – Laut Statistiken befinden sich in den vorübergehend besetzten Gebieten des Donbass und auf der von Russland annektierten Krim etwa 70 Museen. “Über 1,2 Millionen Kulturschätze sind der Kontrolle der ukrainischen Behörden entzogen”, sagte Wasyl Roschko, der beim ukrainischen Kulturministerium für Museen zuständig ist.

Timur Bobrowskyj, Mitglied des ukrainischen Komitees des Internationalen Rates für Denkmalpflege (ICOMOS), wies darauf hin, dass es auf der Krim rund 10.000 Objekte des kulturellen Erbes gebe. “Davon sind über 1000 im staatlichen Register als Kulturdenkmäler von lokaler und mehr als 60 von nationaler Bedeutung eingetragen”, sagte er.

Die Experten berichteten, dass lange Zeit jedes Museum selbst über seine Schätze Buch geführt habe. Eine elektronische Datenbank sei erst in den letzten Jahren in Angriff genommen worden. Daher würden immer noch keine genauen Listen zu den Kulturschätzen in den vorübergehend besetzten Gebieten vorliegen.

Kulturdenkmäler von politischer Bedeutung

“Größte Sorgen machen wir uns über die Kulturdenkmäler, die die Ukraine und die internationale Gemeinschaft zum Weltkulturerbe zählen”, sagte Bobrowskyj. Dabei handele es sich um die Überreste der antiken Stadt Chersones und mehrere Objekte, die noch darauf warteten, auf die Liste des Weltkulturerbes zu kommen – darunter der Khan-Palast in Bachtschissaraj, die Höhlenstädte Eski-Kermen und Mangup, die Genueser Festung in Sudak und das Observatorium aus dem 19. Jahrhundert in der Nähe von Simferopol.

Bobrowskyj berichtete, dass im vergangenen Jahr einer der Türme der Genueser Festung eingestürzt sei. Auch der Khan-Palast müsse dringend saniert werden. “Vor zwei Wochen hat die krimtatarische Gemeinde von Bachtschissaraj in einem offenen Brief an den Kulturminister der Russischen Föderation beklagt, dass das Dach des Palastes undicht sei und er sich vor aller Augen in eine Ruine verwandele”, sagte Bobrowskyj.

Die Angelegenheit habe auch einen politischen Unterton, da der Khan-Palast in Bachtschissaraj ein Symbol für den Geist und die Einheit der Krimtataren sei, während die russische Staatsmacht die Krimtataren als “fünfte Kolonne” betrachte.

Chersones und Kertsch

Am schwierigsten ist Experten zufolge die Lage in Chersones. Mehrfach hatten die Besatzungsbehörden auf der Krim versucht, die Leitung des antiken Freilandmuseums dem Priester der St. Vladimir-Kirche in Chersones zu übergeben. Zweimal gelang es den Mitarbeiter des Museums, dies mit Protesten zu verhinderten. Doch letzte Woche setzten die Behörden den bisherigen Museumsleiter einfach ab. Die Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats hat große Pläne und will in Chersones ein “patriotisches orthodoxes Kulturzentrum” bauen. Das würde aber die Kulturdenkmäler bedrohen.

Auch in Kertsch auf der Krim ist die Lage alamierend. Durch die Baumaßnahmen für die geplante Brücke über die Meeresenge werden Kulturdenkmäler zerstört. Archäologische Arbeiten dürfen nur noch von russischer Seite durchgeführt werden, so auch auf der Halbinsel Taman. Eine ganze Reihe von Ausgrabungsstätten ist bereits verloren gegangen.

Diese Fakten müssten eigentlich dokumentiert werden, so die Experten. Da sowohl die Krim als auch der Donbass für ukrainische Experten, aber auch für in- und ausländische Medienvertreter nicht zugänglich seien, könne man Informationen über den Zustand der Kulturdenkmäler nur noch aus russischen Medien oder über persönliche Kontakte erhalten.

Beobachtermissionen gefordert

Doch was kann die Ukraine tun, um das kulturelle Erbe in den vorübergehend besetzten Gebieten zu schützen? Derzeit kann sie den tatsächlichen Zustand jener Denkmäler nicht überprüfen, da sie unter russischer Kontrolle sind.

Doch die Statute von UNESCO und ICOMOS sehen internationale Beobachtermissionen vor. Dafür müssten die betroffenen Kulturdenkmäler auf die Liste gefährdeter Welterbestätten gesetzt werden. “Das würde der UNESCO ermöglichen, internationale Beobachtermissionen zu organisieren, die den Zustand von Kulturdenkmälern in den besetzten Gebieten kontrollieren würde”, sagte Bobrowskyj. Auch müsste der Khan-Palast von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkennt und gleichzeitig auf die Liste bedrohter Kulturdenkmäler gesetzt werden. Darin sieht Bobrowskyj die einzige Möglichkeit, Chersones sowie den Khan-Palast in Bachtschyssaraj zu schützen.

Bobrowskyj wies außerdem darauf hin, dass das ukrainische Komitee des ICOMOS im vergangenen Jahr das ukrainische Kulturministerium gebeten habe, sich für Beobachtermissionen einzusetzen. Doch geschehen sei nichts. Die nächste Sitzung des Welterbezentrums findet Ende Juni statt. Dann könnte die Ukraine einen Antrag stellen.