Bekommt die Ukraine im Herbst Visafreiheit mit der EU?

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Die Mehrheit der Ukrainer sieht in der Frage der Visaliberalisierung die EU in der Pflicht. Kiew habe alle Voraussetzungen erfüllt. Über die Folgen einer weiteren Hinauszögerung der Visafreiheit diskutierten Experten im Ukraine Crisis Media Center.

Kiew, 29. Juni 2016 – Was die Visaliberalisierung angeht, so liegt der Ball auf der Seite der EU und nicht auf der Seite der Ukraine. Für ihren Teil habe die Ukraine alle technischen Voraussetzungen zur Visaliberalisierung erfüllt. Das erklärte Aljona Hetmantschuk, Leiterin des ukrainischen Instituts für Weltpolitik im Ukraine Crisis Media Center in Kiew. “Uns ist jetzt wichtig, dass die Frage der Visafreiheit nicht zu einem Spielball zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament wird und nicht mit weiteren Fragen verknüpft wird: mit dem Reformtempo oder, was katastrophal wäre, mit dem Minsk-Prozess”, sagte Hetmantschuk.

Hanna Hopko, Abgeordnete des ukrainischen Parlaments und Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, sagte, dass die ukrainische Delegation während ihres jüngsten Besuchs in Berlin keine klare Antwort auf die Frage erhalten habe, wann genau die Ukraine Visafreiheit erhalte. “Uns ist klar geworden, dass man mit den Mitgliedern des Bundestages mehr arbeiten und deutlicher nüchterne Fakten erläutern muss, warum für die EU eine Visaliberalisierung mit der Ukraine von Vorteil ist”, sagte sie. Sollte die Ukraine im September keine Visafreiheit erhalten, dann würde das bedeuten, dass die Europäer eine Entscheidung auf unbestimmte Zeit verschieben wollten, so Hopko.

Das Verfahren zur Visaliberalisierung

Der Leiter der EU-Abteilung im ukrainischen Außenministerium, Wsewolod Tschenzow, sagte, die nächste Etappe der Visaliberalisierung sei eine Prüfung durch den Ausschuss der Ständigen Vertreter und danach durch den Rat der Europäischen Union. Tschenzow zufolge hofft die ukrainische Seite, das Verfahren unter der slowakischen EU-Präsidentschaft ab dem 1. Juli beschleunigen zu können.

Gleichzeitig seien mit dem Verfahren zwei Ausschüsse im Europäischen Parlament befasst: für Justiz und Inneres sowie für auswärtige Angelegenheiten. Nach den Sommerferien sei, so Tschenzow, mit einer positiven Entscheidung diese Ausschüsse zu rechnen. Danach müsse auf einer Sitzung des Europäischen Parlaments ein Beschluss gefasst werden. Der September ist nach Ansicht von Tschenzow eine realistische Frist für eine Entscheidung zur Visaliberalisierung. “Wir wollen, dass ein Beschluss zur Ukraine unabhängig von anderen Ländern erörtert wird. Bezüglich vieler Kriterien sind wir ihnen voraus”, sagte der Diplomat.

Gehen von der Ukraine für die EU Gefahren aus?

Iryna Suschko, Leiterin der Nichtregierungsorganisation “Europa ohne Grenzen”, sagte im Ukraine Crisis Media Center, Vertreter ukrainischer Expertenkreise hätten an die EU eine Erklärung gerichtet. Darin würden sie unter anderem darauf hingewiesen, dass von der Ukraine für die EU keine Migrations- und Sicherheitsgefahren ausgehen.

Das wolle man auch weiterhin den europäischen Parlamentariern deutlich machen. “Wir müssen gezielt und verstärkt die Fragen beantworten und die Bedenken zerstreuen, die es unter den EU-Mitgliedern gibt. Darauf müssen wir uns konzentrieren”, sagte Suschko. Ihr zufolge sollte die ukrainische Zivilgesellschaft der EU zuvorkommen und selbst die Lage nach der Einführung von Visafreiheit beobachten.

Ukrainer verlieren Vertrauen in die EU, oder…

Serhij Sydorenko von der Internetzeitung “Jewropejska prawda” (Europäische Wahrheit) glaubt, dass es innerhalb der ukrainischen Gesellschaft jetzt einen Konsens gebe. Die Mehrheit sei der Ansicht, dass jetzt die EU verpflichtet sei, der Ukraine Visafreiheit zu gewähren. Im Falle einer Ablehnung oder Verzögerung könnten die Ukraine ihr Vertrauen in die EU verlieren.

Sidorenko hält die Gewährung von Visafreiheit im September oder Oktober für realistisch. “Aber wir können damit nur rechnen, wenn die Ukraine ihr Reformtempo aufrechterhält. Wenn wir Rückschritte machen, werden wir eine noch größere Verzögerungen bekommen”, sagte der Experte.