Experten: Wandmalereien sollen zwischen Behörden, Künstlern und der Öffentlichkeit abgestimmt werden

Im Laufe der letzten zwei Jahre sind in der Ukraine, insbesondere in Kiew, einige Dutzend neue Wandmalereien entstanden. Sie sind zu einem Element der modernen Streetart geworden. Künstler schmücken urbane Landschaften mit riesigen Gemälden auf Hauswänden. Ein Großteil von ihnen wurde im Rahmen bestimmter von Künstlergruppen initiierter Projekte geschaffen, beispielsweise von ArtUnitedUs, oder privater Kunst-Stiftungen, wie dem Mural Social Club. Den überwiegenden Teil der neuen Kiewer Wandmalereien schufen aus dem Ausland eingeladene Streetart-Künstler. Oft wurden Themen, die für die Ukraine aktuell sind, zu Motiven dieser Straßenkunst, beispielsweise der Sieg im Kampf gegen das Böse: Die Wandmalerei “Heiliger Georg”, der den Drachen tötet. Die Helden der Kunstwerke sind dabei oft für das Land bedeutende Personen, wie der umgekommene Euromaidan-Aktivist Sergej Nigojan. Anfangs wurden die Wandmalereien von der Bevölkerung positiv aufgenommen. In letzter Zeit läuft jedoch eine gesellschaftliche Diskussion über ihren künstlerischen Wert und inwiefern sie dem Geschmack der Bewohner und der Gestaltung einer modernen Stadt entsprechen.

Kiew, 29. August 2016 – Wenn von Wandmalereien als Phänomen gesprochen wird, sollten zwei unterschiedliche Sichtweisen berücksichtigt werden. Zum einen sollte der künstlerische Faktor betrachtet werden, genauer der moralisch-ethische Aspekt, zum anderen die Rolle der Wandmalerei als Objekt des öffentlichen Raums. Dies betonte bei einem Runden Tisch im Ukraine Crisis Media Center die Kunstwissenschaftlerin Jewgenija Moljar.

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Photo by bzh.life

Motor für Tourismus

Andrej Sojin, Organisator des Festivals “Respublica”, erzählte von Erfahrungen aus Kamjanez-Podilskyj. Diejenigen, die Wandmalereien in der Umgebung der Stadt initiiert hätten, hätten so den Tourismus über die altbekannte Festung Kamjanez-Podilskyj hinaus erweitert. “Heute können wir an Wochenenden eine Tour durch die Randbezirke anbieten”, sagte Sojin. In der Stadt gibt es über 50 Wandmalereien, die ohne Unterstützung von Sponsoren gemalt wurden.

Laut Janina Gawrilowa und Natalja Pirogowa, Mitarbeiterinnen der Organisation “Ukrainische Assoziation für Fremdenführer”, schaffen auch die Kiewer Wandmalereien Anreize für neue Touristenrouten.

Künstlerischer Wert und die urbane Landschaft

Nicht alle Wandmalereien gefallen den Bewohnern und werden von Experten positiv bewertet. Die verschiedenen Geschmäcker der Menschen und die Frage nach dem künstlerischen Wert der Wandmalereien und ob sie in die Landschaft der Stadt passen, rufen Unzufriedenheit hervor.

“Viele der Wandmalereien sind ein Beispiel dafür, dass weder Geschmack noch künstlerische Fähigkeiten vorhanden sind”, meint die Kunstwissenschaftlerin Lisaweta German. Sehr oft sei zu beobachten, dass Wandmalereien nicht zur umgebenden Architektur passen.

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Photo by Geo Leros.

Versuch, Farbe in die Randbezirke zu bringen

Lew Schewtschenko, Architekturforscher und Journalist, konzentriert sich auf die Bemalung der sogenannten “tristen” Randbezirke Kiews. “Ende der 70er bis Anfang der 90er Jahre war der Städtebau gut durchdacht”, sagte er. Eine neue grelle Wandmalerei könnte jedoch mit der vorhandenen Architektur des Viertels dissonieren. In einem solchen Fall würde der angestrebte Effekt einer Stadtverschönerung ausbleiben. Der Architekt Aleksandr Burlaka merkte seinerseits an, dass gerade Architekten Wandmalereien meistens ablehnen. Bilder auf Häusern der 60er und 70er Jahre würden deren ästhetischen Wert herabsetzen.

In Abstimmung mit den Bewohnern

Über Erfahrungen mit Wandmalereien in Winnyzja sprach Aleksandr Nikitjuk, Vorsitzender der gesellschaftlichen Organisation “Labor aktueller Kunst” und Kurator des Kunstprojekts “Vin Art City”. Er erläuterte, welche Mechanismen genau dazu beitragen, dass Wandmalereien in seiner Stadt entstehen. Auf der Webseite des Stadtrats werden potenzielle Projekte vorgeschlagen, zu denen man sich äußern kann. Außerdem gibt es ein Expertengremium, dem Künstler, Architekten und Experten angehören, die einschlägige Kenntnisse und Erfahrung haben, wie man in solch wichtigen Fragen der Gestaltung des öffentlichen Raums entscheidet.

Bei der Diskussion kamen die Experten zu dem Schluss, dass Wandmalereien in ukrainischen Städten durchdacht sein sollten und zwischen den Behörden, Künstlern und der Öffentlichkeit abgestimmt werden sollten. Die Frage “warum und wozu?” sollte für eine neue Wandmalerei auf der Fassade eines Hochhauses ausschlaggebend sein.