Erklärung von Frank-Walter Steinmeier zu seinem Besuch in Kiew

Lieber Pawlo, wenn ich bedenke, wie oft ich in den letzten zwei Jahren hier in Kiew gewesen bin, dann weiß ich die genaue Zahl nicht mal, aber ich weiß sehr sehr genau, dass ich mit Jean Mark in diesem Jahr das zweite Mal hier bin und ich kann Dir versichern: wir kommen nicht nur als Mitglieder des N4-Formates [Normandieformats], sondern wir kommen auch als Außenminister zweier Staaten, die für die Einheit der Ukraine eintreten.

Wir haben eben mit Petro Poroschenko die Monate seit Februar, seit unserer letzten Anwesenheit hier, noch einmal beleuchtet und bewertet und ich glaube, wir dürfen sagen, soweit stimmen wir überein, wir haben schwierige, mühsame Verhandlungen, nicht nur in Kiew und Moskau, sondern an vielen anderen Orten in Europa, hinter uns und das in allen denkbaren Formaten auf allen Ebenen. Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren, der Fortschritte bei der Umsetzung von Minsk war in diesem Jahr eine Schnecke und sogar eine ziemlich langsame und wir haben lernen müssen, dass Stillstand und Stagnation eben kein Beitrag zur besseren Sicherheit ist.

Immer wieder standen wir in diesen letzten Monaten an einer Wegscheide, immer wieder ging es darum, festgefahrene Situationen zu überwinden und ich glaube, wir sind jetzt gerade wieder an einer solchen Wegscheide, aber zum ersten Mal seit langer Zeit sehen wir, sehe zumindest ich, einen kleinen Hoffnungsschimmer, warum? Weil es zu Beginn dieses Schuljahres gelungen ist, eine, wenn auch immer noch brüchige, Herr Klimkin hat gerade darauf hingewiesen, Waffenruhe zu verhandeln. Das ist ein Fortschritt, aber ich setze hinzu, das ist nicht genug.

Jean-Marc Ayrault und ich, wir sind hierher gekommen, um unseren Beitrag zu leisten, einen Beitrag zu versuchen, wie wir die Sicherheitslage, die seit dem 1. September besser geworden ist, aber nicht gut genug, wie wir sie weiter stärken und verbessern können. Mit anderen Worten, einen wichtigen großen Schritt weiter zu gehen. Wenn Sie so wollen, von der augenblicklich noch brüchigen Waffenruhe zu einem belastbaren Waffenstillstand zu kommen, das ist unser Ziel.

Pawlo, wir sind heute mit der Ankündigung, mit der Zusage aus Moskau hierher gekommen, die uns gestern erreicht hat, dass ab heute Nacht von Seiten der Separatisten die Waffen schweigen werden, zunächst für sieben Tage, beginnend heute um Mitternacht.

Wir haben darüber eben ausführlich mit Präsidenten Poroschenko gesprochen, und wir sind froh und zufrieden darüber, dass auch Präsident Poroschenko zugesagt hat, dass die ukrainische Seite die Feuerpause einhalten wird. Ich will sagen, wenn auf beiden Seiten die Waffen tatsächlich schweigen, hoffentlich nicht nur für die angekündigten sieben Tage, sondern weit darüber hinaus, dann wäre das in der Tat eine Chance für eine nachhaltige Deeskalation, eine Chance wie wir sie lange Zeit nicht mehr hatten. Es würde sich ein Zeitfenster öffnen, in dem weitere Schritte möglich wären. Über einen haben wir heute gesprochen. Über Entflechtung von Truppen längst der Konfrontationslinie, beginnend zunächst mit einigen Modellregionen. Dafür könnte ein entsprechendes Abkommen schon am kommenden Dienstag in der internationalen Kontaktgruppe unterzeichnet werden.

Selbstverständlich bleiben alle anderen Punkte, die Pawlo Klimkin eben erwähnt hat, wie der Abzug der schweren Waffen, der Gefangenenaustausch, Fortschritt auch bei humanitären Fragen; selbstverständlich bleibt das alles im Pflichtenheft des Normandieformats erhalten.

Wir reden über Fragen der Verbesserung der Sicherheit und was wir dazu vereinbaren können, aber Jean-Marc Ayrault und ich sind auch hier, um uns im Osten des Landes ein eigenes Bild über die Situation, die Lebenssituation der Menschen dort zu machen. Wir werden nach Kramatorsk und Slawjansk reisen, auch dort die Möglichkeit haben, mit der OSZE-Beobachtermission zu sprechen. Und jetzt darf ich mal, meine Rolle als OSZE-Vorsitzenden in diesem Jahr schlüpfen und diese Gelegenheit benutzen, meinen Respekt und meine Wertschätzung für die mutigen Frauen und Männer der Beobachtermission und ihre Arbeit natürlich ausdrücken. Ihnen ist es zu verdanken, meine Damen und Herren, dass wir so manches Mal, als wir in schwieriger Lage waren, die Lage jedenfalls nicht völlig außer Kontrolle geraten ist. Und selbstverständlich, um gleich auf die Warnung von Pawlo Klimkin zu antworten, selbstverständlich wird die OSZE-Mission auch die Einhaltung der Feuerpause genau überwachen. Wir haben dazu bereits vorgestern Abend Gespräche mit der OSZE aufgenommen.

Alle Augen richten sich verständlicherweise auf die Ostukraine, aber ich will auch sagen, Kollege Jean-Marc Ayrault und ich sind auch hier, um unsere anhaltende große Solidarität mit und Unterstützung für eine freie und unabhängige, demokratische und prosperierende Ukraine zu versichern. Wir unterstützen die Reformanstrengungen, die in diesem Lande gemacht werden. Wir sind froh, dass der IWF eine Entscheidung getroffen hat, die auch finanziell in diesem Lande weiterhelfen wird und bilateral bin ich froh, dass wir auf Basis des deutsch-ukrainischen Aktionsplans ebenfalls unterstützen können. In diesem Sinne einen herzlichen Dank für ausführliche und ich glaube gute Gespräche.

Eine Frage an Frank Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault: sind Sie hier als Verbündete oder als Schiedsrichter gekommen?

Frank-Walter Steinmeier:
Ich kann mich kurzhalten, weil Jean-Marc das Wesentliche gesagt hat. Ob sich Pawlo Klimkin unter Freunden fühlt oder nicht, das kann er am besten selbst beantworten. Wir sind in der Frage der Einheit der Ukraine nicht neutral und haben darauf hingearbeitet: Schon im Minsker Abkommen ist das entscheidende Ziel der Erhalt der Einheit der Ukraine. Dafür arbeiten wir, dafür arbeiten wir mit viel Einsatz von Zeit und Mühe, für die Umsetzung, die schwierig ist in den Einzelelementen des Minsker Abkommens und ich habe in meinem Einleitungsstatement glaube ich deutlich gemacht, dass unser Einstehen für die Ukraine weit über die Umsetzung des Abkommens hinausgeht, sondern wir auch bilateral zur Verfügung stehen, um zu helfen bei der Etablierung der Reformen – finanziell wo es notwendig und möglich ist in den vergangenen Jahren, mit erheblichen Mitteln aus Deutschland bei der Unterstützung der ukrainischen Position, beim IWF durch einen deutsch-ukrainischen Aktionsplan. Sie mögen das selbst bewerten.

Bild: MFA of Ukraine (c)