Experten: Die Ukraine und Georgien brauchen neue Impulse

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Beide Länder hatten während der Sowjetzeit ein enges Verhältnis. Gerade jetzt ist es an der Zeit, diese Beziehungen wieder zu vertiefen. Denn Georgien kann der Ukraine eine Menge nützlicher Erfahrungen bieten. Beide Länder können in der internationalen Arena zusammenarbeiten, mit dem Ziel, dass Russland als “Aggressor” verurteilt wird.

Kiew, 5. Oktober 2016 – Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Georgien sind gut, unabhängig vom politischen Kurs beider Länder. Allerdings fehlt ein klares Verständnis von dem, was hinter diesen guten Beziehungen steckt, welche Interessen die beiden Staaten verfolgen. Für die Ukraine zählen zu den Prioritäten die Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität, die europäische Integration und das Potenzial Georgiens als Transitland. Georgien erwartet eine verstärkte Zusammenarbeit im Sicherheits- und Wirtschaftsbereich sowie eine Erhöhung ukrainischer Investitionen. Das machten Experten während einer Diskussion im Ukraine Crisis Media Center deutlich.

Die Ukraine hinkt hinterher

Daria Hajdaj vom ukrainischen Institut für Weltpolitik sagte, Georgien und die Ukraine hätten gemeinsam begonnen, den Weg der europäischen Integration zu beschreiten, doch derzeit würden sie getrennte Wege gehen: Georgien habe die Ukraine – was das Tempo der Reformen und die Übernahme von NATO-Standards angehe – überholt. Die Ukraine sei ständig gezwungen, aufzuholen. “Das gemeinsame Vorgehen, bei dem die Ukraine und Georgien zusammen Lobbyarbeit für wichtige Entscheidungen geleistet haben, ist Vergangenheit. Die Ukraine hinkt ständig hinterher und Georgien kann nicht ständig warten. Dabei war Georgien der aktivste Verfechter der Ukraine, damit sie ein regional führender Staat wird, damit sie als Koordinator der Länder auftritt, die mit der EU ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet haben”, so Hajdaj.

Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern beruhen ihr zufolge noch darauf, was zur Sowjetzeit bestand. Früher habe der Studenten- und Jugendaustausch dazu beigetragen, dass viele georgische Beamte und Geschäftsleute in der Ukraine ausgebildet wurden. “Jetzt haben sie sich auf die EU und die USA umorientiert. Obwohl die Beziehungen nach wie vor gut sind, wird sich dieses Auseinanderdriften in Zukunft auch auf die bilateralen Beziehungen auswirken”, sagte die Expertin des Instituts für Weltpolitik. Sie ist überzeugt, dass die Ukraine das Potenzial Georgiens als Transitland voll ausnutzen sollte. Auf diese Weise könnte das Problem der russischen Blockade ukrainischer Exporte gelöst werden und so könnte man sich der neuen Seidenstraße anschließen. Auch würden sich für die Ukraine die Erfahrungen Georgiens bei Reformen und bei der Politik bezüglich der vorübergehend besetzten Gebiete lohnen. Wichtig sei für Georgien die gegenseitige Unterstützung in der internationalen Arena, aber auch, dass die Ukraine in Sicherheitsfragen in der Schwarzmeerregion eine aktivere Haltung einnimmt.

Andrij Melnytschuk, stellvertretender Direktor der Abteilung für internationale Zusammenarbeit beim Sekretariat des Ministerkabinetts der Ukraine, sagte, der Ukraine und Georgien mangele es an gemeinsamen Wirtschafts-Projekten. “Unsere politischen Beziehungen und die Beziehungen zwischen unseren Völkern sind gut, aber es gibt keine konkreten Wirtschafts-Projekte. Ohne sie können sich die Beziehungen nicht weiterentwickeln. Die Seidenstraße bietet uns große Chancen. Wir müssen sie nutzen”, betonte er.

Erfahrungen Georgiens nutzen

Micheil Ukleba, Außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter Georgiens in die Ukraine, sagte, keiner verstünde besser, was die Ukraine jetzt durchmache, als Georgien. “Wir sind seit dem Jahr 1992 im Krieg mit Russland. Wir haben das alles durchgemacht und sind mit der Ukraine solidarisch. Wir verstehen sie viel besser als andere. Wir können unsere schweren, negativen, aber sehr wichtigen Erfahrungen teilen: Binnenvertriebene, die Kommunikation mit den besetzten Gebieten und internationale Verhandlungs-Formate”, sagte der Botschafter.

Ihm zufolge trennt das freie Georgien und die besetzten Gebieten heute ein Stacheldraht. Es hätten schon 35 Gesprächsrunden im Genfer Format stattgefunden, aber ohne greifbare Ergebnisse. Jetzt hätten die Länder ein anderes Verhandlungs-Format auf der Ebene von Regierungsvertretern. “Wir meiden schmerzhafte Themen und erörtern nur aktuelle wichtige Fragen: Verkehr, Reisen, Handel”, sagte Ukleba. Außerdem würde die EU die Trennlinie überwachen. Diese Entscheidung, so der Botschafter, sei sehr wichtig. Er betonte dabei, dass der Konflikt schon mehr als 20 Jahre dauern würde. Dennoch sei es Georgien sehr schnell gelungen, seine Exporte umzuorientieren. So würden zum Beispiel Mineralwasser und Wein in 42 Länder exportiert.

Weiterer Dialog nötig

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko habe noch kein einziges Mal Georgien einen Besuch abgestattet, während der georgische Präsident die Ukraine bereits zweimal besucht habe. Hwytschi Meparischwili, Vorsitzender der Gruppe für interparlamentarische Beziehungen mit Georgien, sagte ferner, ein Problem sei auch, dass es in Georgien immer noch keinen ukrainischen Botschafter gebe. Er äußerte die Hoffnung, dass die Parlamentswahlen, die am 8. Oktober in Georgien stattfinden werden, und die danach folgende Regierungsbildung der bilateralen Zusammenarbeit neue Impulse verleihen werden.

Ihor Roman, Mitarbeiter der Zweiten Europa-Abteilung des ukrainischen Außenministeriums sagte in diesem Zusammenhang: “Die Welt hat im Jahr 2008 keine Miene verzogen. Deswegen haben wir das, was wir jetzt haben. Wir müssen unsere Bemühungen in der internationalen Arena bündeln, damit die Welt den Aggressor auch als solchen verurteilt.”