Die Geschichte eines Separatisten, inhaftiert vom SBU

Die Militärstaatsanwaltschaft der Kräfte der Anti-Terror-Operation (ATO) führt vorgerichtliche Ermittlungen wegen Entführung und Freiheitsberaubung in Räumlichkeiten des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) in Charkiw durch. In den Fällen geht es um Personen, die in einem Bericht der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch genannt werden. Einer von ihnen ist Viktor Aschychmin. Er erzählte seine Geschichte dem ukrainischen TV-Sender Hromadske. Das Ukraine Crisis Media Center bringt Auszüge seiner Schilderungen.

11. Mai 2014: Ukrajinsk

Viktor Aschychmin: Am 1. Mai 2014 kamen Vertreter der “Donezker Volksrepublik” zu uns nach Ukrajinsk. Es versammelten sich viele Menschen und es wurden Reden gehalten. Sie fragten, wer beim Referendum helfen wolle. Als sie erfuhren, dass ich Abgeordneter war und Erfahrung als Mitglied einer Wahlkommission habe, bot man mir an, mitzuhelfen. Ich konnte das nicht einfach ablehnen. Ich dachte, dass dies in Ordnung sei, zumal beim Referendum nicht die Frage über eine Abspaltung des Donbass von der Ukraine, sondern über eine Autonomie gestellt werden sollte. Ich führte das Referendum durch. An ihm nahmen vielen Menschen teil.

Wir sammelten alle Stimmzettel ein und fuhren mit den Dokumenten nach Donezk. Wir wurden zunächst in das Gebäude der Donezker Gebietsverwaltung geschickt. Zu dem Zeitpunkt wurde in Donezk bereits geschossen. Wir standen auf Knien und zählten die Stimmen aus. Wir machten unsere Arbeit und gaben alles ab. Gerade das machte man mir zum Vorwurf.

7. Dezember 2014: Kramatorsk

Am 7. Dezember klopfte es an der Tür. Als ich sie öffnete, standen da sechs maskierte Männer. Sie fragten, ob hier Viktor Aschychmin wohne. Ich stellte mich an die Wand. Sie durchsuchten mich. Noch am selben Tag holten sie mich ab. Ich machte mir Sorgen, denn ich musste ja zur Arbeit. Sie sagten, es sei nur für zwei Tage, dann könne ich wieder zurück. Aus zwei Tagen wurden 597.

In der Zelle war es sehr kalt. Zur Toilette durfte ich nicht, ich bekam eine Flasche. Am Morgen wurde ich abgeholt. In einem Raum begann ein Verhör. Es kamen zwei Männer und sie zwangen mich, mich bis auf die Unterhose auszuziehen. Sie legten mich auf den Boden und die beiden Männer schlugen mir mit Metallrohren auf die Beine. Sie hatten drei Blatt Papier dabei, Mitschriften meiner Telefongespräche. “Hast Du das gesagt?”, fragten sie. Ich sagte: nein. Sie begannen mich wieder zu schlagen. Ich gab erst ein Telefongespräch zu, dann das zweite und das dritte. Insgesamt schlugen sie mich anderthalb Stunden. Ich sagte einfach alles, so wie sie es wollten.

11. Dezember 2014: Charkiw

Am 11. Dezember 2014 wurde ich irgendwo hingebracht, ich weiß nicht wohin. Wir gingen in die zweite Etage. Ich dachte, dass sei ein Krankenhaus. Dann sah ich irgendwelche Zellen. Ich saß noch nie im Gefängnis und dachte: Was soll das? Es öffnete sich eine Tür und dort waren etwa 15 Männer. Die Zelle war klein, die Männer unrasiert. Sie fragten mich lächelnd: “Bist Du Separatist?” Ich sage, ja. Darauf sagten sie: “Hab keine Angst, das sind wir alle.”

26. Dezember 2014: Charkiw

Am 26. Dezember kamen Busse auf das Gelände des SBU in Charkiw. Sie waren bereits voll. Ich weiß nicht, woher die Männer kamen. Auf der Liste standen 222 Personen. Damit war ich der 223. Man setzte mich in einen der Busse und sagte, ich solle warten. Zehn Minuten später kam ein Offizier und nannte meinen und einige weitere Namen und sagte, wir sollten den Bus wieder verlassen. Die Tür schloss und der Bus fuhr los. Uns sagte der Offizier: “Kommt zurück.” Wir gingen wieder in die Zelle. Spazieren gehen durften wir selten. Am 7. Dezember hat man mich geholt und erstmals spazieren gehen konnte ich am 2. Mai. Fast ein halbes Jahr war ich in ein und demselben Raum.

25. Juli 2016: Druschkiwka

Am 25. Juli fuhren sie mich und weitere Männer durch Charkiw, wir wussten aber nicht wohin. In Kostjantyniwka wurde der erste rausgelassen. Dann fuhren wir 500 bis 600 Meter weiter, wo der zweite und nach ihm der dritte rausgelassen wurde. Wir passierten nach 600 bis 700 Metern einen Checkpoint und man ließ uns raus. Ich fragte einen Mitarbeiter des SBU, der uns begleitete, was diese Aktion solle. Er sagt, dass einige Namen häufig in den Medien erwähnt worden seien. Er gab mir und Mykola Wakaruk, der auch im SBU-Gefängnis war, unsere Papiere zurück.

Auch gab er uns jeweils 100 Hrywnja. Ich fragte ihn, ob wir irgendwelche Nachweise bekommen würden, wo wir gewesen seien. Der Offizier antwortete, wir sollten nur sagen, dass wir woanders gearbeitet hätten. Mit einem Bus fuhren wir nach Druschkiwka, von dort nach Konstantyniwka. Ich rief meine Frau an, damit sie mich abholt, was sie auch tat.

4. Oktober 2016: Daheim in Ukrajinsk

Es wurden so viele Menschen festgehalten, ich war dort nicht der einzige. In der Zeit, in der ich beim SBU war, wurden Ermittlungen durchgeführt, aber wir wurden überhaupt nicht vor Gericht gestellt. Die Militärstaatsanwaltschaft der ATO hat ein Strafverfahren eingeleitet. Vielleicht wird es einen Prozess geben, wenn wir als Opfer anerkannt werden. Dann werden wir vor den Gerichtshof in Straßburg ziehen. Mich interessiert kein Geld. Das darf nicht ungestraft bleiben.

Wenn ich jemanden getötet hätte. Wenn man mich vor Gericht gestellt hätte, weil ich dieses Referendum gemacht habe, dann hätte ich eben gesessen. Dann hätte ich gewusst, wann ich wieder nach Hause kann. Und so hatte ich über 600 Tage keinen Kontakt zu meiner Frau.

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