Sorge um Ermittlungen in den Maidan-Fällen

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Angehörige der Maidan-Opfer stellen fest, dass es zwar schon Urteile wegen der Verbrechen gegen die Aktivisten gibt. Doch sie befürchten, dass die Ermittlungen gegen hochrangige Staatsvertreter nicht zu einer Verurteilung vor Gericht führen könnten.

Kiew, 25. Oktober 2016 – Es sei nicht auszuschließen, dass die Sache bezüglich der Verbrechen gegen die Maidan-Aktivisten nicht vor Gericht gebracht wird. Das sagte während einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center Wolodymyr Bondartschuk, Leiter der gesellschaftlichen Organisation “Familien der Helden der Himmlischen Hundertschaft”, dessen Vater Serhij bei den Ereignissen auf dem Maidan, dem zentralen Platz von Kiew, im Februar 2014 ums Leben kam.

Mit dem Begriff “Himmlische Hundertschaft” werden die fast Hundert Personen bezeichnet, die bei den Protesten gegen das Regime des ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch im Januar und Februar 2014 auf dem Maidan von Scharfschützen getötet worden waren. Nach dem Sieg der pro-europäischen Bewegung flüchtete Janukowytsch nach Russland. In Kiew ist inzwischen ein Teil der Instytutska-Straße, der an den Maidan angrenzt, in “Allee der Himmlischen Hundertschaft” umbenannt worden. Vor allem dort fanden die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften statt.

Abteilung für Sonderermittlungen

“Vor fast zwei Jahren, im Dezember 2014, wurde beschlossen, eine Abteilung für Sonderermittlungen einzurichten. Auf diese Weise sollten in einem einzigen Zentrum alle Untersuchungen zu den Verbrechen gegen die Maidan-Aktivisten gebündelt werden”, sagte Bondartschuk und fügte hinzu: “Hauptsache ist, dass alle objektiven Beweise zusammengetragen und alle Gerichtsurteile weder von der internationalen Gemeinschaft noch von der ukrainischen Gesellschaft in Frage gestellt werden.”

Wilaij Titytsch, der als Anwalt die “Familien der Helden der Himmlischen Hundertschaft” vertritt, stellte während der Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center in diesem Zusammenhang fest, dass die Abteilung für Sonderermittlungen durchaus Erfolge vorzuweisen habe.

Verfahrensbedingte Risiken

Jewhenija Sakrewska, ebenfalls Anwältin der “Familien der Helden der Himmlischen Hundertschaft”, sagte, die Verbrechen gegen die Maidan-Aktivisten sollten nicht als isolierte Einzelfälle geprüft werden, die irgendwie nur zufällig zeitlich zusammengefallen seien, sondern als ein Fall und als Folge eines kriminellen Regimes. Ihr zufolge gibt es bereits in vielen Fällen Urteile. Doch sie betonte: “Es entstehen große verfahrensbedingte Risiken, dass nichts von dem, was zuvor gegen die hochrangigen Staatsvertreter und vor allem gegen Janukowytsch zusammengetragen wurde, zu einem Ergebnis in Form einer Verurteilung vor Gericht führen wird”, sagte Sakrewska.

Sie erläuterte, warum dies passieren könnte: “Wenn wir all die Verfahren zu einer Sache vereinen, aber all die unterschiedlichen Fristen vorgerichtlicher Ermittlungen beibehalten bleiben, dann bliebe uns in einer vereinten Sache die kürzeste Frist von etwa drei bis vier Monaten.” Dann werde es weder technisch noch physisch möglich sein, alle Akten der Sache durchzugehen und diese in den gesetzten Fristen vor Gericht zu bringen. Die Anwältin betonte, dass die Frist im April 2017 ablaufen würde.

“Eine Prüfung für die Ukraine”

Auch Olena Storoschuk ist Anwältin der “Familien der Helden der Himmlischen Hundertschaft”. Sie sieht ebenfalls verfahrensbedingte Risiken. “Eine vereinte Sache mit vielen Angeklagten und vielen Beteiligten an den Ermittlungen ist unberechenbar, was deren Dauer angeht”, betonte sie.

Der stellvertretender Leiter der gesellschaftlichen Organisation der “Familien der Helden der Himmlischen Hundertschaft”, Wolodymyr Holodnjuk, dessen Sohn Ustym auf dem Maidan getötet wurde, betonte abschließend: “Dies ist nicht nur eine Angelegenheit der Eltern, nicht nur der ukrainischen Gesellschaft. Dies ist eine Prüfung für die ukrainische Staatlichkeit und Demokratie. Deswegen sollten alle Entscheidungen ausgewogen getroffen werden.”