Nord Stream 2 – eine Bedrohung für die Ukraine und die EU

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Das Pipelineprojekt Nord Stream 2 – von Russland durch die Ostsee nach Deutschland – ist nicht nur für die Ukraine eine direkte Bedrohung aus wirtschaftlicher und geopolitischer Sicht, sondern auch für die Energiesicherheit der EU. Darüber hinaus steht Nord Stream 2 den Grundsätzen der europäischen Energiegemeinschaft entgegen. Das betonten Experten im Ukraine Crisis Media Center während der Vorstellung einer Studie mit dem Titel “Nord Stream 2: A Legal and Policy Analysis“, die von Alan Riley, einem Experten des Atlantic Council, verfasst wurde.

Michail Krutichin Experte von RusEnergy, einem russischen Beratungsunternehmen für Investitionen in die Öl- und Gasindustrie, sagte, Nord Stream 2 sei ein rein politisches Projekt. Es sei die Fortsetzung bisheriger Versuche Russlands, Gas unter Umgehung der Ukraine nach Europa zu liefern. Aus wirtschaftlicher Sicht sei es unrentabel. “Wir sehen schon jetzt, dass russisches Gas an der Grenze zu Deutschland unter dem Einstandspreis verkauft wird”, so Krutichin. Ihm zufolge wird laut Thierry Bros, einem führenden Experten in diesem Bereich, Russland allein in diesem Jahr 1,3 Milliarden Dollar Verlust machen.

Die Risiken für die Ukraine

Als Folge russischer Lieferungen über Nord Stream 2 wird die Ukraine laut der Studie rund zwei Milliarden Dollar an Einnahmen aus dem Gastransport verlieren, und das wo sie schon jetzt Finanzhilfen benötigt. Darüber hinaus wird Gazprom die Gaslieferungen in umgekehrter Richtung, also von West nach Ost, an die Ukraine blockieren können, indem es einfach das Volumen des Gases durch die Pipeline begrenzt. “Dies ist keine theoretische Gefahr. In den Jahren 2014 und 2015 hat Gazprom gerade dies versucht. Im Falle von Nord Stream 2 wird Russland dies noch einfacher machen können”, sagte Alan Riley.

Auch dürften die Risiken nicht unterschätzt werden, die dadurch entstünden, wenn die Ukraine durch Nord Stream 2 ihre strategische Rolle als Gas-Transporteur verlieren und Russland so “freie Hand” bekommen würde. “Die jetzige Rolle der Ukraine ist einer der Gründe, warum Russland keinen großen Krieg auf dem Territorium der Ukraine wagt. Der Gastransport durch die Ukraine ist auch ein gewichtiges Argument für Kiews europäische Partner. Das ist eine Frage unserer täglichen Sicherheit”, unterstrich Olena Pawlenko, Leiterin der DiXiGroup, einer Denkfabrik in Kiew, die sich mit Studien und Beratung im Energiebereich befasst.

Die Risiken für die EU

Alan Riley machte im Ukraine Crisis Media Center ferner darauf aufmerksam, dass der Bau der Pipeline Nord Stream 2 direkt gegen die Grundsätze der europäischen Energiegemeinschaft verstößt. Das Projekt werde zu einer Konzentration der Lieferwege und zu einer größeren Abhängigkeit Deutschlands und Nordwesteuropas von nur einem Versorger führen. Riley zufolge stammen schon jetzt 40 Prozent der Gaslieferungen an Deutschland von Gazprom.

Nord Stream 2 wird nach Ansicht des Experten die Position von Gazprom auch in Mittel- und Osteuropa verstärken. Vor kurzem hatte die EU-Kommission Gazprom einen größeren Zugriff auf die Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) genehmigt. Bislang war Gazprom nur die Nutzung von 50 Prozent der Kapazität erlaubt. OPAL führt von der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern bis nach Tschechien. Parallel dazu soll die Europäische Gasanbindungsleitung (EUGAL) ebenfalls die Nord Stream-Pipelines mit der deutsch-tschechischen Grenze verbinden. 2019 soll durch die EUGAL Gas fließen. Gazprom will ab 2019 kein Gas mehr durch die Ukraine in die EU pumpen.

“Faktisch wird Gazprom Pipelines mit einer Kapazität von 86 Milliarden Kubikmetern im Herzen Europas kontrollieren. Dies steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Wettbewerbs und untergräbt das Konzept des Binnenmarktes und der Energiegemeinschaft”, sagte Riley und fügte hinzu, dass nach Angaben der “Swedish Defense Research Agency” Russland im Zeitraum von 1991 bis 2004 40 Mal die Gasversorgung in Länder Mittel- und Osteuropas sowie des Baltikums aus politischen Gründen unterbrochen habe.

Olena Serkal, stellvertretende ukrainische Außenministerin, betonte während der Diskussion, die Ukraine könne sich bei der Durchsetzung ihrer Interessen im Ausland auch auf die Bestimmungen des Assoziationsabkommens mit der EU berufen. So könnten gemäß Artikel 305 formelle Konsultationen bezüglich Nord Stream 2 einberufen werden. “Wir brauchen produktive Beziehungen innerhalb der Energiegemeinschaft. Das müssen in diesem Fall unsere Hauptpartner sein”, sagte sie.

Im Widerspruch zur Absicht der EU und der USA

Eine Unterstützung von Nord Stream 2 widerspreche auch der Absicht der EU und der USA, der Ukraine zu helfen, die einer direkten militärischen und wirtschaftlichen Bedrohung seitens Russlands ausgesetzt sei, sagte Hanna Hopko, Abgeordnete des ukrainischen Parlaments. “Uns in der Ukraine und unseren Partnern in den vier Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) ist klar, dass Nord Stream 2 geplant wurde, um die ukrainische Wirtschaft und das ukrainische Gastransportsystem zu zerstören und Europa in geopolitischer Hinsicht in große Gefahr zu bringen”, sagte sie.

Ihr zufolge muss man Europa daran erinnern, dass die Werte Priorität haben sollten, auf denen der europäische Kontinent aufgebaut ist, und nicht wirtschaftliche Interessen, die nur kurzfristig von Vorteil sind, aber für die kommenden Generationen eine Reihe von Gefahren bergen. Hopko betonte, dass die Einnahmen aus dem Verkauf von Erdgas zum russischen Staatshaushalt schließlich unter anderem in militärische Operationen in verschiedenen Teilen der Welt und in die Schaffung von Zonen der Instabilität fließen würden.

Aktionsplan für die Ukraine: effiziente Reformen

Aljona Osmolowska, Pressesprecherin der ukrainischen staatlichen Öl- und Gasgesellschaft Naftogaz betonte, “70 Prozent von dem, was wir gegen das Projekt Nord Stream 2 unternehmen können, müssen wir in der Ukraine tun. Wir müssen einfach das umsetzen und zu Ende bringen, was schon beschlossen ist”. Das sei das Gesetz über den Gasmarkt, eine Verwaltungsreform bei Naftogaz sowie eine Trennung von Transport und Speicherung von Erdgas.

Alan Riley betonte, der beste Weg für die Ukraine sei, notwendige Reformen effizient durchzuführen und alle Verpflichtungen einzuhalten. “Wir sagen, dass die EU ihre eigenen Gesetze einhalten sollte. Aber damit dieses Argument zieht, muss auch die Ukraine alle Regeln einhalten”, sagte er. Das würde sowohl dem Projekt Nord Stream 2 entgegenwirken, aber auch die Lage im Land selbst deutlich verbessern. Er wies darauf hin, dass alle Länder, die ihren Markt für Öl- und Gas maximal liberalisiert sowie die Leitungen entmonopolisiert hätten, aber auch die Regeln einhalten würden, letztlich niedrigere Gaspreise, mehr Alternativen bei Versorgungsquellen und eine Steigerung des Werts der Aktiva von Investoren erhalten hätten.