Die Ukraine ist jetzt für Tschernobyl verantwortlich

Balthasar Lindauer ist stellvertretender Direktor des „Chernobyl Shelter Fund“ bei der europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Jörg Drescher sprach für das Ukraine Crisis Media Center mit ihm über den Abschluss des „New Safe Containment“.

Herr Lindauer, können Sie sich bitte kurz vorstellen und etwas zu Ihrer Rolle an dem Tschernobyl-Projekt sagen…

Ich arbeite in der Abteilung für Nuklearsicherheit bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Diese Organisation wurde beauftragt, den Fund zu managen, der den sogenannten „Shelter Implementation Plan“ finanziert. Dieser ist Bestandteil zum Bau des „New Safe Confinement“, des neuen Sarkophags in Tschernobyl.

Zur Finanzierung: Wer bezahlt den „New Safe Containment“ (NSC)?

Die Zahlung wird von 45 Geberländern und Organisationen getragen. Der Fund wurde von den G7-Ländern initiiert, die auch die größten Geberländer sind. Und ein Großteil wird von der EBRD selbst gezahlt. Die Gesamtkosten des „New Safe Confinement“ betragen 2 Milliarden Euro, wovon 500 Millionen von der EBRD kommen. Der Rest wird von den Geberländern getragen.

Gehört auch Russland zu diesen Ländern?

Ja, Russland ist ein großer Geldgeber.

Und was für Leute waren an der Planung beteiligt?

Sie müssen verstehen, dass das Projekt vor langer Zeit begann. Es ist eine einzigartige Herausforderung und es gab mehrere Stufen, um die beste technische Lösung zu finden. Die Erstplanung wurde von einer Gruppe aus ukrainischen und internationalen Experten durchgeführt. Sie entwarfen den sogenannten „Shelter Implementation Plan“, der eine grobe Anleitung ist, um dieses Problem anzugehen. Dann gibt es ein Projektmanagement vor Ort, das aus internationalen Experten und dem Personal des Atomkraftwerks von Tschernobyl besteht. Sie entwarfen eine Ansatz, der die Grundlage für die Ausschreibung war. Die technischen Aufgabe wurde an das „Novarka Konsortium“ vergeben, den von französischen Firmen „Bouygues“ und „Vinci“ gegründet wurde. Sie erstellten eine ausführliche Planung, die jetzt umgesetzt wurde.

Vielleicht haben Sie von den Zweifeln gehört, die Herr Kostenko in einem Interview im April dieses Jahres nannte. Er war von 1992 bis 1998 Minister für Umwelt und Nuklearsicherheit. Er sagte, dass der neue „Sarkophag“ nur dazu diene, das eigentliche Problem zu verbergen. Er meinte auch, dass dieser neue Bau nicht die vorgesehenen 100 Jahre bestehe, weil niemand den Einfluss der Strahlung auf den Bau vorhersehen kann. Schon der erste Sarkophag hatte dieses Schicksal. Daher meine Frage: Teilen Sie diese Zweifel in Bezug auf den Bau?

Der frühere Minister ist eine herausragende Person. Er war wesentlich daran beteiligt, dass es dieses Projekt gibt. Allerdings stimme ich seiner Einschätzung nicht zu. Der „New Safe Confinement” ist nicht einfach nur eine Hülle, um den alten Reaktor abzudecken. Die gesamte Anlage ist mit Systemen ausgestattet, um es möglich zu machen, Rückbauarbeiten durchzuführen und letztlich das radioaktive Material von der Stelle zu bergen. Deshalb ist es keine passive Hülle, sondern eine aktive Anlage.

Das Design berücksichtigt ebenfalls verschiedene Einflüsse während der gesamten Lebensdauer. Es wurden enorme Anstrengungen unternommen, damit die Anlage die geplanten 100 Jahre überlebt, oder sogar noch länger. Korrosion und natürlich Radioaktivität wurden berücksichtigt.

Und was ist mit weiteren Aktivitäten? Gibt es dafür bereits Geld?

Das derzeitige Auftrag des „Chernobyl Shelter Fund“, den wir von der EBRD managen, besteht darin, die Anlage fertig zu stellen und der Ukraine zu übergeben. Danach liegt es an der Ukraine, zu entscheiden, wann und wie sie die Anlage am sinnvollsten nutzt. Wir verfügen bereits über eine Studie, wie die instabilen Teile des alten Sarkophags demontiert werden können. Aber es ist die Aufgabe der Ukraine, diesen Plan relativ schnell umsetzen, sobald der NSC übergeben wurde. Der Hauptzweck dieser langlebigen Anlage besteht darin, dass die Ukraine den Luxus bekommt, weitere Schritte ausführlich zu planen und vorzubereiten. Entsprechend gibt es ausreichend Zeit, neue Technologien und Ansätze zu entwickeln, um die weitere Aufgaben anzugehen.

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Die Ukraine galt und gilt immer noch als sehr korruptes Land. Hatten Sie persönlich Berührung mit Korruption? Spiele Korruption beim Bau des NSC eine Rolle? Und wenn ja, wie viel Geld floss Ihrer Meinung nach während des Baus in „dunkle Kanäle“?

Wir sind uns absolut klar, dass es in diesem Land das Risiko von Korruption gibt, was aber nicht nur auf dieses Land gilt. Die EBRD setzte vielseitige Projekte in Osteuropa und Ländern der ehemaligen Sowjetunion um. Und wir sind davon überzeugt, dass wir ein sehr robustes Kontrollsystem. Unser Geschäftsmodell zielt darauf ab, das Korruptionsrisiko weitgehendst zu minimieren. Deshalb bin ich sehr sicher, dass die internationalen Funds, die wir verwalten, nicht für irgendwelche anderen Zwecke verwendet wurden.

Vor fast drei Jahren gab es in der Ukraine eine Revolution. Hatte diese Zeit irgendeinen Einfluss auf den Bau? Und gab es nach der Revolution irgendwelche Änderungen?

Glücklicherweise hatten die Schwierigkeiten im Land keinen Einfluss auf dieses Projekt. Das Projekt konnte ungehindert fortgesetzt werden. Allerdings stimmt es, dass die finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieses Landes Einfluss haben. Die Ukraine ist ein wichtiger Beteiligter dieses Projekts, indem das Land alle möglichen Dienste zur Verfügung stellt. Und wir verstehen, dass dies eine enorme Belastung für die Ukraine darstellt. Es ist für sie sehr schwierig, das zu liefern, was sie versprochen haben. Allerdings erkennen wir an, dass dieses Projekt für die Ukraine von höchster Priorität ist und dass sie ihre Arbeit bisher ausgesprochen gut geleistet haben.

Diese Revolution wurde “Revolution der Würde” genannt. Es gibt Leute, die meinen, es wäre besser gewesen, das Geld für die sogenannten „Liquidatoren“ auszugeben, die in der ersten Zeit nach dem Unglück halfen. Können Sie etwas über Sozialprogramme für diese „Liquidatoren“ und andere Opfer dieser Katastrophe sagen?

Natürlich gibt es konkurrierende Bedürfnisse und die Entscheidung, welche davon oberste Priorität haben, ist schwierig. Wir, als Manager des Funds, wurden damit beauftragt, die Finanzierung für den Bau des NSC zu verwalten. Natürlich sind andere Aufgaben ebenso wichtig, aber wir sind nicht daran beteiligt. Einige der Geber, insbesondere die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, hatten mehrere bilaterale Projekte, um bei der Bewältigung von anderen Folgen der Katastrophe zu helfen.

Wer beauftragte Sie eigentlich? Die Ukraine etwa?

Ursprünglich entwickelten die G7 und die Ukraine einen Ansatz, wie man das Problem abgeht. Sie entschieden dann gemeinsamen, dass die EBRD eine geeignete Organisation ist, um dieses Projekt umzusetzen. Deshalb war es wirklich die Ukraine durch deren Repräsentanten, Herrn Kostenko. Und die G7 beauftragte uns damit, diesen Fund ins Leben zu rufen.

Und meine letzte Frage: wir haben hier in der Ukraine einen laufenden Krieg. Hat dieser Krieg irgendeinen Einfluss auf das Tschernobyl-Projekt? Und was ist mit dem Risiko, dass radioaktives Material von dort gestohlen wird, um eine sogenannte „Schmutzige Bombe“ zu bauen?

Ich sprach bereits darüber. Das Projekt wurde nicht durch die Entwicklungen im Land beeinflusst, auch nicht durch den Konflikt im Osten. Das betrifft eher die wirtschaftliche Situation im Land, die für die Ukraine sehr schwierig ist.

Wir sind nicht für die Baustelle als Ganzes verantwortlich. Das ist die Aufgabe der ukrainischen Behörden. Sie müssen die Sicherheit gewährleisten. Allerdings weisen wir darauf hin, dass bei allem, woran wir beteiligt sind, die höchsten internationalen Sicherheitsstandards eingehalten werden. Das gilt auch für den physischen Schutz der Baustelle und des dortigen Materials. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Vielen Dank für das Interview!

Bilder: EBRD