Wochenübersicht der ukrainischen Pressenachrichten vom 2. bis 9. Januar 2017

Die Situation im Kampfgebiet in der Ostukraine: Besuch des OSZE-Vorsitzenden in der Ostukraine, Arbeit humanitärer Hilfsorganisationen

Trotz der vereinbarten Waffenruhe, die ab dem 24. Dezember 2016 über die Weihnachts- und Neujahrs-Feiertage gelten sollte, ist es in der Ostukraine zu Kampfhandlungen gekommen. Zwischen dem 2. und 10. Januar ist kein ukrainischer Soldat getötet worden, aber 17 wurden verletzt. Die ukrainischen Streitkräfte wurden 320 Mal von den prorussischen Rebellen beschossen. Im gesamten Jahr 2016 sind in der Zone der Anti-Terror-Operation 211 ukrainische Soldaten bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen, 256 weitere sind an tödlichen Verletzungen gestorben, die sie nicht bei Kampfhandlungen erlitten haben.

Besuch des OSZE-Vorsitzenden in der Ostukraine. Der österreichische Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz, hat am 3. und 4. Januar die Ostukraine besucht, nachdem er den Vorsitz in der OSZE übernommen hatte. Er besuchte eine Kontroll- und Passierstelle zur Ein- und Ausreise im Donbass und machte sich in einer ukrainischen Siedlung ein Bild von den Folgen des Beschusses. Ihm zufolge wird die OSZE ihre Kontrolle über das ganze Gebiet im Donbass erweitern und die Einhaltung der Waffenruhe überwachen. Sebastian Kurz hofft, dass es in diesem Jahr gelingt, den bestehenden Status quo dieser Gebiete zu ändern. Nach seinem Besuch sagte Sebastian Kurz weitere zwei Millionen Euro für humanitäre Hilfe an die Zivilbevölkerung im Donbass zu.

Die Arbeit humanitärer Missionen in den vorübergehend besetzten Gebieten. Die sogenannte “Donezker Volksrepublik” hat im Jahr 2016 insgesamt 15 internationale humanitäre Missionen nicht zugelassen. Nur vier Organisationen waren Ende des Jahres in der “Volksrepublik” akkreditiert, darunter das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, das Zentrum zur Entwicklung des Donbass und die russische Stiftung “Gerechte Hilfe”.

Gefangenenaustausch. Am 27. Dezember haben die prorussischen Rebellen der sogenannten “Donezker Volksrepublik” zwei Ukrainerinnen aus der Gefangenschaft freigelassen. Der ukrainischen Seite zufolge standen die Frauen nicht auf der Liste des Gefangenen-Austauschs. Die Ukraine hatte ihrerseits 15 Personen übergeben.

Aus dem Leben in den sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk”

Verzögerungen bei Lohnzahlungen. Nach Angaben von Menschen vor Ort, die mit Unterstützung von Radio Liberty eigene Beiträge in der Rubrik “Briefe aus dem besetzten Donbass” veröffentlichen, gibt es im Donbass Probleme bei der Auszahlung von Löhnen. So wird Russland nicht mehr mit Geld aushelfen und die Löhne müssen die selbsternannten Republiken selbst zahlen. Aufgrund von Verzögerungen der Lohnzahlungen für Ärzte ist die sogenannte staatliche medizinische Versorgung praktisch zum Erliegen gekommen. Die Patienten werden an medizinische Einrichtungen verwiesen, wo sie mit Geld bezahlen müssen. Auch die “Militärs” der selbsternannten Republiken beklagen Verspätungen beim Sold von einigen Wochen. Ihre Uniformen müssen sie oft auf eigene Kosten kaufen. Ferner ist zu beobachten, dass trotz der massiven Propaganda Zurückhaltung herrscht, wenn es darum geht, sich den sogenannten “Volksmilizen” anzuschließen.

Kapituliert die Ukraine? “Der Pintschuk-Plan”

Die amerikanische Wirtschaftszeitung The Wall Street Journal hat einen aufsehenerregenden Artikel des ukrainischen Milliardärs Wiktor Pintschuk veröffentlicht, mit dem Titel: “Die Ukraine muss schmerzhafte Kompromisse für den Frieden mit Russland eingehen”. Darin ruft der Geschäftsmann dazu auf, vorübergehend keine Mitgliedschaft in der EU anzustreben und auch einen NATO-Beitritt der Ukraine zu “vergessen”. Zugleich fordert er die Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes und spricht von einer militärischen Aggression Russlands. Doch Pintschuk schlägt dabei vor, über “diese Wahrheit” hinwegzusehen und die Vorschläge Moskaus zu akzeptieren, um den bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine zu beenden – also Wahlen in den von Russland unterstützten selbsternannten Republiken Donezk und Luhansk abzuhalten. Er begründet seine Vorschläge mit dem Argument, “Menschenleben zu retten”.

“Der Philanthrop und Geschäftsmann” Wiktor Pintschuk, wie es im Artikel heißt, ist in der Metallurgie, im Bankwesen und im Medienbereich aktiv. Er fördert moderne Kunst und Wissenschaft und veranstaltet jedes Jahr ein “ukrainisches Frühstück” beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Doch Pintschuks Überzeugungen teilen bei weiten nicht alle Ukrainer. Pintschuks Szenario “Versöhnung durch Kapitulation” hat für einen Sturm der Kritik unter Politikern und Experten gesorgt, die mit Gegenargumenten kontern. Iwanna Klympusch-Zinzadse, ukrainische Vize-Premierministerin für europäische und euroatlantische Integration, weist   darauf hin, dass die Blockfreiheit, für die Pintschuk eintrete, überhaupt keine Sicherheit garantiere. Dmytro Kuleba, Ständiger Vertreter der Ukraine im Europarat, meint, dass Pintschuks Argumente auf der falschen Annahme basieren, dass Russland bereit sei, die Stabilität der Ukraine im Tausch gegen Zugeständnisse seitens der Ukraine zu gewährleisten würden. Nach Ansicht von Refat Tschubarow, Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender des Medschlis der Krimtataren,  stellt Pintschuks “schmerzhafter Kompromiss” in Wirklichkeit eine Kapitulation der Ukraine, der Krim und der Krimtataren dar (Pressemitteilung auf Deutsch).

Die Präsidialverwaltung antwortete auf den skandalösen Artikel von Wiktor Pintschuk im “Wall Street Journal”. In der Kolumne, die von Konstantin Elisejew unterzeichnet ist, dem Hauptberater des Präsidenten zu internationalen Fragen, verneint er kategorisch die Möglichkeit eines Kompromisses zu Kernpunkten, die Pintschuk vorschlug. „Ein Kompromiss zu russischen Bedingungen ist für die Ukraine eine falsche Friedenspolitik. Es wird keine Umkehr bei der Frage der europäischen und euroatlantischen Integration der Ukraine geben. Keine Zugeständnisse in Bezug auf das Territorium der Ukraine – weder im Donbass, noch auf der Krim. Keine Wahlen im Donbass, solange sich russische Stiefel (Red.:  Militärs) auf ukrainischem Boden befinden“ (Pressemitteilung auf Deutsch).

Wirtschaft: Rekord beim Getreideexport

Nach Angaben des ukrainischen Ministeriums für Agrarpolitik konnte die Ukraine im Jahr 2016 einen Rekord beim Export von Getreide verbuchen. Exportiert wurden mehr als 39 Millionen Tonnen Getreide, was 13 Prozent mehr ist als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Insgesamt hat der Getreideexport nach Angaben des Staatlichen Statistikamtes in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 einen Anteil von 40,2 Prozent am Gesamtexport des Landes gehabt.

Neue Absatzmärkte. Der Ukraine ist es zudem gelungen, neue Absatzmärkte für ihren Zucker in Afrika und Asien zu erschließen, darunter auch Sri Lanka, wo traditionell Rohrzucker verwendet wird. Damit konnte die Ukraine sich vom russischen Markt auf neue Märkte umorientieren und ihre Zuckerexporte verdreifachen (auf 335.000 Tonnen).

Der Anstieg der Verbraucherpreise in der Ukraine hat im Jahr 2016 12,4 Prozent betragen und entspricht somit den Prognosen der Nationalbank und der Regierung. Er fällt aber deutlich niedriger als in den vergangenen Jahren aus (2015: 43,3 Prozent; 2014: 24,9 Prozent), berichtet das Staatliche Statistikamt der Ukraine. Ihm zufolge lag die durchschnittliche Jahresinflation 2016 bei 13,9 Prozent.

Das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel hat den neuen Industriepark “Schytomyr-Ost” mit einer Fläche von 24,7 Hektar in der Stadt Schytomyr zugelassen, meldet der Pressedienst des Ministeriums. Ihm zufolge sollen in dem Industriepark Unternehmen aus den Bereichen Baustoffproduktion, Maschinenbau, Gerätebau, Holzverarbeitung , Leichtindustrie, Lebensmittelproduktion und  IT-Technologie angesiedelt werden. Ferner ist der Bau von Logistikzentren und eines Werks zur Wartung und Reparatur von Flugzeugen vorgesehen.

Krim: Kein Wasser vom ukrainischen Festland

Im Frühjahr 2014 hat die Ukraine nicht die Schleusen des Nördlichen Krim-Kanals geöffnet. Damit wurde die Halbinsel vom Wasser des Dnjepr abgeschnitten – der größten Quelle für frisches Wasser auf der Krim (85 Prozent). Das führte zu einer Austrocknung der Stauseen auf der Krim. Der Mangel an Wasser hat sich bereits auf die Landwirtschaft der Halbinsel ausgewirkt: Nach Angaben des selbsternannten Ministeriums für Landwirtschaft der Krim haben sich nach der Annexion der Halbinsel durch Russland die bewässerten Flächen wesentlich verringert. Die Behörden der Halbinsel erklären jedoch, dies sei keine Tragödie.

Umfrage: Sind die Ukrainer glücklich?

Zwischen dem 16. und 20. Dezember 2016 haben die Stiftung “Demokratische Initiativen” und das Rasumkow-Zentrum eine gemeinsame Meinungsumfrage durchgeführt. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass 73 Prozent der Ansicht sind, dass sich die Lage im Land zum Schlechteren verändert hat.

55 Prozent der Befragten sind nicht bereit, Entbehrungen für einen Erfolg von Reformen zu ertragen (24 Prozent glauben nicht an einen Erfolg, 31 Prozent empfinden ihre finanzielle Situation schon jetzt als unerträglich).

Politiker des Jahres ist nach Einschätzung der ukrainischen Bürger Präsident Petro Poroschenko. Jedoch hat den Soziologen zufolge noch nie ein Politiker ein so schlechtes Ergebnis (9,5 Prozent) eingefahren. Es ist der niedrigste Wert, den ein “Politiker des Jahres” seit 2000 erreicht hat. Die meisten Befragten (62 Prozent) sind überzeugt, dass die Ukraine neue politische Führungspersönlichkeiten braucht.

Trotz aller Probleme und Schwierigkeiten hat etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Ukraine ihren Optimismus nicht verloren. Laut einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie, die im Dezember 2016 durchgeführt wurde, fühlen sich 54 Prozent glücklich oder eher glücklich. 25 Prozent fühlen sich teilweise glücklich und teilweise nicht glücklich. 19 Prozent fühlen sich eher nicht glücklich und unglücklich.

Junge Menschen sind in der Regel glücklicher als ältere. Je höher der Wohlstand, desto glücklicher fühlen sich die Menschen. Weniger glücklich sind derzeit die Bewohner der östlichen Regionen der Ukraine. In den westlichen Regionen fühlen sich 59 Prozent glücklich, in den zentralen Regionen 50 Prozent und in den südlichen Regionen 60 Prozent. Im Osten des Landes fühlen sich 44 Prozent glücklich. Der Krieg mit all seinen Folgen ist ein wichtiger Faktor, der die Menschen in den östlichen Regionen der Ukraine unglücklich macht.

Nachfolgend eine Auswahl an englischsprachigen Interviews, Analysen und Videos zur Situation in der Ukraine

Reportagen

Was passierte in Nowoluhanske? Journalisten von Hromadske haben eine ukrainische Siedlung besucht, die unweit von Switlodarsk liegt, wo es seit dem 18. Dezember 2016 zu heftigen Kampfhandlungen zwischen den ukrainischen Streitkräften und den prorussischen Rebellen gekommen war. Ein Angehöriger eines ukrainischen Bataillons berichtete, dass diese Siedlung befreit worden sei, obwohl es dort nie prorussischen Rebellen gab.

Wie Bücher das Leben verändern können: Eine Bibliothek in der Stadt Slowjansk nahe der Front ist zu einem kulturellen Zentrum für soziale Kommunikationen geworden. Bericht der Zeitung The Day.

OSZE: Wie kann man Russland zwingen, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen? Die Zeitung The Day.

Das syrische Szenario für die Ukraine. Die Zeitung The Day.

Wie ukrainische Kinder mit zehn Jahren zu Regisseuren werden. Reportage von Hromadske International.

Interview

Russland bekennt sich nicht als Konfliktpartei in der Ukraine. Interview von Hromadske International mit dem ukrainischen Major Borys Kremenezkyj, Leiter des Gemeinsamen Zentrums zur Koordinierung und Kontrolle der Waffenruhe

Nicht alle Ukrainer wissen, welche Rechte sie haben. Interview von Hromadske International mit dem Philosophen Mychajlo Minakow.

Meinung

Ein existenzieller Moment für die amerikanisch-europäische Allianz. Kolumne von Anne Applebaum für KyivPost.

Kann Kiew sich selbst verteidigen? Kolumne von Andreas Umland für Krytyka.

Man kann nicht ein “bisschen Putin” haben. Kolumne des Politik-Experten Willem-Gert Aldershoff für KyivPost.

Analyse

Die Ermittlung zu den Tötungsverbrechen auf dem Maidan. Analyse von Hromadske International.