Lilija Schewzowa: Der Postmodernismus hat sich erschöpft

Donald Trumps Sieg bei den Präsidentschaftswahlen hat viele Fragen aufgeworfen, auf die nun Politiker und Politologen Antworten suchen. Wie werden sich während der Amtszeit eines solch ungewöhnlichen US-Präsidenten die Beziehungen zu anderen Ländern gestalten? Was ist Trumpismus, woher kommt er und wie verändert er die Welt? Dazu ein Gespräch mit der russischen Publizistin und Historikerin Lilija Schewzowa.

Das Ukraine Crisis Media Center hat die wichtigsten Thesen des Interviews von Radio Liberty zusammengefasst

Obama und der Postmodernismus

Obama kam ins Weiße Haus, als der Postmodernismus bereits im Niedergang war, eine ganze Etappe in der Weltgeschichte, die eine Zeit der Relativität, des politischen Eklektizismus und der Ablehnung von Grundsätzen innerhalb liberaler Demokratien, aber auch in der internationalen Arena war. Er musste mit ansehen, wie die Europäische Union ins Stocken geriet. Er sah, wie statt einer allgemeinen Atmosphäre der Freundschaft und Harmonie, von der er geträumt hatte, in der Welt ein Vakuum entstand, das brutale und aggressive “Nachtwölfe” in Gestalt von Russland, China und Iran zu füllen versuchen.

Ende des amerikanischen Messianismus

Aber anstatt zu versuchen, eine Alternative zu der postmodernen Skrupellosigkeit zu finden, wählte Obama einen anderen Weg: er entschied, sich vor den Problemen der Welt zu verstecken, indem er Amerika von der internationalen Bühne führte und Amerikas globale Verantwortung begrenzte. Faktisch wurde Obama zum amerikanischen Führer, der die amerikanische Tradition des Messianismus und der Führung aufgab. Er wurde zu einem Pragmatiker, der sich hinter einer idealistischen Rhetorik versteckte.

Fiasko der Verantwortungslosigkeit

Aber mit was endete seine Flucht in den Schatten und die Befreiung von Verpflichtungen? Mit der Entscheidung, die US-Truppen aus Afghanistan und dem Irak zurückzuziehen, schuf Obama eine Situation, die das Entstehen der noch brutaleren Terrorgruppe ISIS, den sogenannten Islamischen Staat,  erleichterte. Durch die Weigerung, Assad zu bändigen, musste Obama das Blutvergießen in Syrien und die Entstehung einer großen Flüchtlingswelle mit ansehen, was die  europäische Stabilität untergrub. Er hinterlässt eine desorientierte Welt und neue Konflikte, von denen man nicht weiß, wie man sie lösen soll.

Trump-Paradox: Groteskes Symbol des Postmodernismus

Jeder neue US-Präsident, ob Clinton oder jemand anderes, wäre mit dem Problem der Krise des Postmodernismus konfrontiert: mit den Auswirkungen der Globalisierung, mit der politischen Korrektheit, mit dem Mangel an ideologischer Orientierung und mit der Welle des nationalen Populismus – als Reaktion auf diese Eklektik. Trump ist weitgehend ein Zufall, aber der Zufall ist auch ein Spiegelbild der bestehenden Gesetzmäßigkeit.

Aber hier ist auch etwas Paradoxes. Trump, eine Reaktion auf die Eklektik, ist selbst ein groteskes Symbol des Postmodernismus, indem er überhaupt alle Prinzipien und Normen ablehnt. Er wurde zum Inbegriff der Wirklichkeit, die von einem Bewusstsein geschaffen wird, das manchmal krank ist. Trump wird also die Krise des amerikanischen Establishments und des amerikanischen Systems selbst nur verstärken.

Das Wichtigste ist, dass es Trump und seinem Team wohl kaum gelingen wird, Amerika und den Westen aus der ideologischen Krise zu führen. Aber indem er sie vertieft, wird ein neuer Anführer leichter in Erscheinung treten können, der über eine neue historische Mission Amerikas und über dessen Verantwortung als Rückgrat der Weltordnung nachdenken wird.

Interregnum, Liquid Modernity und die Welt der Post-Wahrheit

Sicher, Trump ist ein Spiegelbild und Trend unserer Zeit. Das ist eine Zeit des Interregnum, wie der italienische Marxist Antonio Gramsci sagen würde. Eine andere Definition für die Zeit gab der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman. Er definiert unsere Zeit als Liquid Modernity (flüssige Modernität), wo alles verschwommen ist und es keine Grenzen zwischen den Prinzipien und Normen gibt. Wo es keinen Freund und keinen Feind, keinen Frieden und keinen Krieg, kein Gesetz und keine Gesetzlosigkeit gibt: alles ist in einem Glas vermischt. Ja, es ist eine Zeit der “Post-Wahrheit”, wo es keine Wahrheit gibt, weil die Realität durch unser Bewusstsein entsteht und auch keine Notwendigkeit für einen Faktencheck besteht. In der liberalen Zivilisation ist die Notwendigkeit verschwunden, sich zu rechtfertigen. Es ist der Glaube entstanden, sorglos ohne Ideale Erfolg und Wohlstand erreichen zu können. Chirac und Sarkozy, Berlusconi, Schröder – sie alle sind Führer dieses “Flüssigen”, das nicht das Befolgen von Prinzipien erfordert.

Die Minsker Vereinbarungen zur Lösung des Kriegs im Donbass, wo Russland ein Beteiligter am Konflikt, aber auch Moderator und Schiedsrichter ist, ist ein Super-Beispiel für den Postmodernismus.

Aber diese Geschichte ist selbst eine Zeitbombe. Die Ablehnung von Standards oder die Befolgung doppelter Standards hat die Bildung einer Strategie und eine Antwort auf die vielen Herausforderungen der westlichen Gesellschaft erschwert. Was bedeutet “Brexit”? Das ist eine Rebellion gegen den postmodernen Eklektizismus und ein Versuch der Briten, in die Moderne zurückzukehren, also zu den alten traditionellen Werten, die immer vom Staat verteidigt wurden. Die wachsende Popularität der extremen Linken und der extremen Rechten in Europa ist auch eine Reaktion auf den Postmodernismus und Ausdruck für das Streben der europäischen Gesellschaft, zu vormals staatlichem Schutz und traditioneller Moral zurückzukehren.

Wie Russland das ausnutzt

Ich denke, dass Putins Kreml die gewaltige Lähmung auf der globalen Bühne und die Orientierungslosigkeit des Westens bei der Durchsetzung seiner inneren und äußeren Ziele erfolgreich ausnutzt. Wenn eine fremde Zivilisation verwirrt ist und ihre Orientierung verloren hat, warum sollte man dann nicht die glücklichen Umstände ausnutzen? Und der Kreml nutzt sie aus! Die russische Kampagne zur Diskreditierung westlicher Standards, denen der Westen selbst nicht immer konsequent folgt, kann mit Unterstützung linker und rechter Unzufriedener in der westlichen Gesellschaft selbst die westliche Geschlossenheit erfolgreich untergraben. Tatsächlich sympathisieren 37 Prozent der Anhänger der Republikaner in den Vereinigten Staaten, der am stärksten anti-russischen Partei, heute Putin. Das ist doch wohl eine Leistung! Und die Mittelmeerländer fordern zusammen mit Österreich die Aufhebung der russischen Sanktionen – eine wahre “fünfte Kolonne” innerhalb Europas. Und Paris ist auch wackelig, aber die Franzosen hatten schon immer einen Hang, mit Moskau zu spielen, um Washington zu ärgern. Gaullismus, wissen Sie!

Wie weiter?

Dem Kreml ist es gelungen, die Schwäche des Westens auszunutzen. Aber die russische Offensive hat die westliche Gesellschaft gezwungen, sich zu konsolidieren, um neue Siegeszüge des Kremls zu verhindern.

Natürlich werden die Befürworter einer Eindämmung Russlands und die Unterstützer eines “Engagement”, also der Einbeziehung Moskaus in einem Dialog, um Trump und um Einfluss auf seinen Kurs kämpfen. Dies zeigt sich in einer widersprüchlichen “Schaukelpolitik”, die ihren Ausdruck in der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen einer Eindämmung und Zusammenarbeit findet.