Ukrainer auf der Krim: Sechs Strafen für den Verzicht auf einen russischen Pass

Wie leben Ukrainer ohne russische Staatsangehörigkeit auf der Krim? Ein Teil der Krimbewohner, die auf eine Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation verzichten, erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung für die Krim. Aber es gibt auch jene, die dies aus prinzipiellen Erwägungen ablehnen. Allerdings sind aus Sicht der ukrainischen Gesetzgebung alle Dokumente ungültig, die auf der Krim von Vertretern der Russischen Föderation ausgestellt wurden. Probleme haben auch alle, die offiziell eine russische Staatsangehörigkeit ablehnen, sowie jene, die einfach einen russischen “Krimpass” nicht  annehmen. Darunter sind nicht nur pro-ukrainische Aktivisten. Es gibt auch “normale” Bürger der Krim, die ihre Position nicht öffentlich äußern.

Das Ukraine Crisis Media Center fasst einen Artikel der Ukrainska Prada zusammen

Sanktion 1 – Verfolgung für pro-ukrainische Positionen

“Als wir uns zum Beispiel in Armjansk in Wyschywankas [traditionell bestickte ukrainische Kleidungsstücke] fotografieren ließen, wurden wir ohne Begründung festgenommen und auf eine Polizeiwache gebracht, wo man uns verhörte. Zusätzlich wurde uns gesagt: “Man könnte Sie irgendwo ohne Kopf finden, weshalb Sie Fingerabdrücke abgeben müssen, denn andernfalls kann man Sie nicht identifizieren”, erinnert sich Michail, ein Aktivist des ukrainischen Kulturzentrums. Er lehnte, wie viele andere auch, russische Dokumente ab, wodurch er in den Bereich “besonderer Aufmerksamkeit” der russischen Sonderdienste geriet.

Ein weiteres Beispiel ist das von Wladimir Baluch: Er befindet sich seit dem 8. Dezember 2016 in einem Untersuchungsgefängnis auf der Krim. Menschenrechtler sind davon überzeugt, dass der Aktivist gerade für seine Position als ukrainischer Bürger verhaftet wurde. Wladimir wird zur Last gelegt, dass im Haus seiner Mutter Patronen gefunden wurden. Aber die Hausdurchsuchung wurde mit groben Verfahrensfehlern durchgeführt. Die Anklage hat keine Beweise für die Schuld von Baluch. Daraus folgt, dass er offenbar aus politischen Motiven verfolgt wird.

Für ihre Überzeugung litt auch die Krimbewohnerin Antonina (Name geändert). Die Frau berichtete, dass sie kürzlich mit einem Journalisten von ukrainischen Medien sprach. Nach der Veröffentlichung begannen die Nachbarn, die auch diese Medien verfolgten, ihr Kind in grober Form zu beleidigen (“Verschwinde von hier, Du Chochol” [im russischen ein Schimpfwort für Ukrainer]) und am Zaun ihres Hauses stand “Tod den Banderas” [Anhänger von Stepan Bandera, einem ukrainischen Nationalisten]. Die Polizei weigerte sich, auf die Vorfälle zu reagieren.

 Sanktion 2 – Einschränkungen bei der medizinischen Versorgung

Der Aktivist Michail erzählt, dass die Verfolgung für eine Überzeugung nur ein Problem der “Verweigerer” ist. Schwierigkeiten entstehen auch bei der ärztlichen Behandlung. Letztes Jahr wurde er krank, aber in der Poliklinik wurde ihm eine Behandlung verweigert, da er keine Versicherung hatte, die man aber nur mit russischem Pass erhält. Er musste sich an einen Ärzte wenden, den er persönlich kannte. Letztlich stellte sich heraus, dass er eine Lungenentzündung hatte und wurde zu Hause behandelt.

Die Krimbewohnerin Olena ist auch eine “Verweigerin”. Sie hat keinen russischen Pass, aber erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung. “Es war sehr seltsam, als ich mich in der Poliklinik registrierte, wo ich mein Kind zur Welt bringen wollte. Alle Ärzte kamen zur Anmeldestelle. Und sie hatten keine Ahnung, was sie in ihre Krankenakte schreiben sollten. Deshalb, weil ich keinen russischen Pass habe. Es gibt auch keine Angaben über meine Anmeldung.”

Da sich die Menschen um ihre Gesundheit sorgen, wird dies zu einem Instrument, mit dem die Krimbewohner gezwungen werden, einen Pass der Russischen Föderation anzunehmen.

Sanktion 3 – Kündigung

Seit März 2014 zählen alle Ukrainer auf der Krim für die “Behörden” als Ausländer, selbst wenn sie im Pass immer eine Registrierung auf der Krim hatten. Um als “ausländischer” Ukrainer auf der Krim eine Arbeit zu bekommen, ist eine Arbeitsgenehmigung notwendig. Wenn die Person keine solche Arbeitsgenehmigung will, ist die Situation ausweglos.

Zum Beispiel wurde Gurij Korniljew, ein Kandidat für Biologische Wissenschaften aus Jalta, am 8. März 2016 entlassen. Der Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass seine Entlassung damit zusammenhängt, weil er darauf verzichtete, die russische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Nachdem sein Arbeitgeber erfuhr, dass Korniljew keinen russischen Pass hat, schlug er ihm mehrfach vor, seine Erklärung über den Verzicht auf die russische Staatsbürgerschaft zurückzunehmen, was aber erfolglos blieb. Korniljew berichtete, dass mit ihm zusammen zwei weitere Mitarbeiter des Nikitsker Botanischen Gartens wegen ihrer pro-ukrainischen Position entlassen wurden.

Arbeitgeber, die Ukrainer auf der Krim einstellen, erhalten Strafen.

Sanktion 4 – Die Unmöglichkeit der Fahrzeugummeldung

Die Krimbewohnerin Antonina berichtete über weitere Schikanen. Ohne russischen Pass ist es nicht möglich, sein Auto “auf neue Weise” anzumelden. Es ist damit unmöglich, ein russisches Kennzeichen für ein Auto auf der Krim zu erhalten.

Übrigens “riet” ihr der Zoll von Simferopol, das Auto gegen die Bezahlung einer Zollgebühr zu importieren. Allerdings ist dies teuer und die Ausführung in jeder Hinsicht schwierig: zuerst muss gezahlt werden, und erst dann kann importiert werden.

“Man kann sagen, ich wurde gezwungen, meine Registrierung im Pass zu ändern. Ich konnte mich bei einer Freundin in Mykolajew (Festland der Ukraine) anmelden. Derzeit komme ich als Ausländerin für 90 Tage über eine Einreisekarte auf die Krim, wobei ich das Auto laut den Zollregeln für den vorübergehenden Import einführen darf”, erklärte Antonina.

Sanktion 5 – Keine Bankdienstleistungen

Krimbewohner, die einen ukrainischen Pass, aber keine Aufenthaltsgenehmigung haben, werden von Banken abgewiesen.

Jurij Formus, Einwohner von Jalta, wandte sich an die Schwarzmeer-Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, um den staatlichen Zoll für eine Anrufung des Gerichtes zu bezahlen. Bei der Bank zeigte er seinen ukrainischen Pass mit Wohnort in Jalta. Die Bank verweigerte ihm jegliche Dienstleistungen. In der offiziellen Erklärung wurde ihm erklärt, dass nur Personen bedient werden, die Dokumente der Russischen Föderation oder eines ausländischen Staates besitzen.

“Um hier mit einer Aufenthaltsgenehmigung ein Privatunternehmen zu führen, müssen unzählige Dokumente ausgefüllt werden. Außerdem gibt es Probleme bei der Kontoeröffnung und Bankkarten gibt es erst gar nicht”, sagte die Krimbewohnerin Elena.

Sanktion 6 – Leben ohne Aufenthaltsanmeldung

Elena berichtete auch über ein weiteres Problem, mit dem man rechnen muss. Wer auf der Krim über kein Eigentumsrecht auf Wohnraum verfügt, muss für seinen Aufenthalt einen Sozialmietvertrag vorweisen. Das heißt: einen Vertrag mit der Stadtverwaltung über das Recht, in einer Wohnung zu leben.

Die Eltern von Elena leben im Wohnheim. Sie haben kein Eigentumsrecht auf diese Wohnung. Als Elena die Aufenthaltsgenehmigung erhielt, wurde sie automatisch in dieser Wohnung “angemeldet”. Aber als ihre Eltern einen Sozialmietvertrag für diese Wohnung wollten, wurde ihnen dieser verweigert.

“Sie verwiesen darauf, dass in der Wohnung Ukrainer angemeldet seien – ich und mein Kind. Das Argument, dass ich dort seit über 20 Jahren angemeldet bin, zählte nicht”, berichtete Elena.

Letztlich entschied die Frau, sich von dieser Wohnung komplett abzumelden. Damit war sie gänzlich ohne Aufenthaltsanmeldung. Als sie versuchte, sich an einem anderen Wohnort anzumelden, wurde ihr gesagt, dass sich nur Eigentümer des Wohnraums anmelden können.

In der russischen Gesetzgebung sind solche Fälle nicht abgedeckt. Und wenn “Verweigerer” auf solche “Gesetzeslücken” stoßen, verschließen die Lokalbehörden einfach die Augen davor. “Sie erwecken den Eindruck, dass es uns hier überhaupt nicht gibt”, sagt die Krimbewohnerin.

Der Artikel schließt mit einem anonymen Zitat einer Ukrainerin, die auf der Krim lebt: “Die einzige Lösung dieser Probleme ist eine Deokkupation. Andernfalls werden sie uns entweder ins Gefängnis bringen, oder aus unseren Häusern vertrieben. Meine Mutter ist für Putin, sowie die Eltern meines Mannes. Die einzigen, an die wir uns wenden können, sind aufrichtige und gute Freunde. Und an die Ukraine, an die wir glauben und die wir im Herzen tragen.”