Säuberungsaktion im Donbass

Im Donbass wächst die Liste der bekannten Toten so schnell, dass man gar nicht mehr hinterher kommt, sie zu verfolgen: Bednow, Ischtschenko, Wosnik, Mosgowoj, Dremow, Schilin, Pawlow, Bolotow [Anführer und Kommandeure der selbsternannten “Republiken”, die in letzten zwei Jahren unter ungeklärten Umständen getötet wurden]. In großer Zahl haben viele bekannte Rebellen des russischen Überfalls ihr Leben gelassen.

Der Mord an Michail Tolstych, Kampfname “Giwi”, war dabei nicht einfach nur ein weiterer Eintrag auf dieser Liste. Er zählte auch zum Mythos der “Volkswehr” im Donbass. Dieser Mythos wurde in den vergangenen drei Jahren von der russischen Propagandamaschine hartnäckig verbreitet. Und um ehrlich zu sein, kann man sich über diese Säuberungsaktionen Sorgen machen.

Gebrauchsanweisung

Vom ersten Tag an war der ganze Krieg im Donbass eine Geschichte der Instrumentalisierung. All ihre “Helden” waren konstruiert. Wir wissen fast nichts über die Vergangenheit der Feldkommandeure. “Motorola” habe früher Autos gewaschen, “Giwi” soll früher Fabrikarbeiter gewesen sein, und laut Gerüchten war Sachartschenko [Anführer der “Donezker Volksrepublik”] im Fleischhandel tätig. Der April 2014 war ein Wendepunkt und eine neue Zeit sollte anbrechen. Damals wurde in Moskau entschieden, eine Ruhmeshalle für die “heldenhaften Kämpfer für Neurussland” zu schaffen. All diese Leute machten daraufhin Karriere.

“Motorola” und “Giwi” sollten nach dem Plan von Moskau eine direkte Vorreiterrolle für die Vertreter des “Fußvolks” spielen. Das Versprechen des Erfolgsmodells: gestern warst du niemand, heute bist du alles. Der Traum eines jeden Revolutionärs: “Im Kampf sollst Du Dein Recht finden.” Es brauchte wenig, um ein ruhmreicher Feldherr mit eigenem Auto und eigener Wohnung zu werden. Man musste nur vom Sofa aufstehen, den Appellen im Fernsehen folgen und in den Donbass gehen. Eine Kalaschnikow war der Garant für den sozialen Aufstieg. “Motorola” und “Giwi” waren für verschiedene Zielgruppen ein Vorbild. Arsen Pawlow, Einwohner der Russischen Teilrepublik Komi, wurde von nun ab “Motorola” genannt und spielte das Paradebeispiel für russische Freiwillige aus der Provinz. Michail Tolstych, “Giwi” genannt, stammte aus Illowajsk, und wurde zum Orientierungspunkt für die ukrainischen Bürger in den besetzten Gebieten.

Aber jetzt gehört all das der Vergangenheit an. Durch ihren Tod wurde endlich diese “Truman Show” im Donbass beendet. Und wer meint, dass ihrem Tod ein Denkmal gesetzt wird, irrt sich. In allen Zeiten wurde die Geschichte von Siegern geschrieben. Und in der Zukunft wird es im Donbass keinen Platz für die “Feldherren von Neurussland” geben.

Man braucht keine Geigenspieler

Deshalb nicht, weil es kein “Neurussland” geben wird. In erster Linie deshalb nicht, weil Moskau es nicht braucht. Der Kreml will kein zweites Transnistrien, sondern eine gehorsame Ukraine. Die Schlacht wird nur darum geführt, wer die Bedingungen definiert, unter denen der okkupierte Donbass der Ukraine zurückgegeben wird.

In Moskau träumt man davon, den Donbass als Gegengift für die Unabhängigkeit einzusetzen. Als eine Art Impfstoff gegen die ukrainische Souveränität. Dafür ist nur eins notwendig: ein Sonderstatus für die Region, eine Amnestie für die Freischärler und deren Legitimierung durch Wahlen.

Dadurch können die dann legitimierten Freischärler die Kontrolle über die Grenze erhalten. Diese Vorstellung ruft in der ukrainischen Gesellschaft Allergien hervor. Nicht zuletzt dank jenen Personen, die im Krieg gegen Kiew Karriere machten. Und um den Donbass wieder an die Ukraine zurückzugeben, muss Moskau das Gerede über “unüberwindliche Widersprüche” beenden.

“Motorola”, “Giwi” und vergleichbare “Freiheitskämpfer” waren für den unbesetzten Teil des Landes Reizfiguren. Während der drei Kriegsjahre wurden sie zum personifizierten Bösen und zur Verkörperung der bewaffneten Ukrainophobie. Das ist mit dem Phänomen vergleichbar, wenn der Feind des eigenen Wertesystems durch Personen konkret sichtbar wird.

“Friede um jeden Preis” war bisher unmöglich, weil das bedeutet hätte, dass “Giwi” und “Motorola” im Parlament sitzen könnten. Jetzt geht das aber nicht mehr. Sie sind tot. Das Band zwischen Gefühl und dieser Logik wurde einfach zerrissen. Nun ist es schwieriger, wegen dieser Vorstellung die Fäuste zu ballen.

Es ist jetzt auch nicht mehr so wichtig, wer aus welchem Grund die Feldkommandeure im Donbass beseitigen ließ. Früher oder später muss sich Moskau trotzdem mit dieser Frage beschäftigen. Um die Ukraine mit dem Donbass zu “impfen”, müssen sinnlose Reizfiguren weggeräumt werden. “Giwi” und “Motorola” waren notwendig, um Freiwillige zu rekrutieren. Aber die Situation hat sich geändert. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Ihre Nachfolger werden bereits keine Karrieren mehr machen.

Werte und Preise

Gerade das ist das wichtigste an der ganzen Geschichte. Der Jubel über den Tod der beiden Feldkommandeure kann als weiterer Beweis dazu dienen, wie stark Kriege personifiziert sind. Aber in den vergangenen drei Jahren kämpfte die Ukraine weder gegen “Giwi” und “Motorola”, noch gegen Mosgowoj und Drjomow. Jenseits der Schützengräben saß immer der Kreml. Und es wäre ein großer Fehler, wenn man den Krieg um Werte mit einem Krieg gegen konkrete Personen verwechselt.

Das heißt nicht, dass keine weiteren Feldherren noch als Helden fallen werden. Aber ihre Namen haben keine Bedeutung. Sachartschenko, Plotnizkij, Chodakowskij… Sie alle erfüllen nur eine Rolle in einem Schmierentheater, aber ihre Fäden werden im Hintergrund von Marionettenspielern gezogen. Doch wenn sie durch bezaubernde Leute mit einem aufrichtigen Lächeln austauscht würden, hieße das dann, dass die Ukraine gewonnen hätte?

Die gesamte Geschichte des derzeitigen Widerstandes ist nicht nur eine Schlacht um Unabhängigkeit und Souveränität, sondern auch eine Schlacht zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen prosowjetisch und postsowjetischen, sowie zwischen Beherrscht werden und Freiheit. Es ist der Versuch, das verlorene Jahr 1918 zu wiederholen [1918 wurde die Ukrainische Volksrepublik aus den ukrainischen Gebieten gegründet, die bis dahin zum Russischen Reich gehört hatten]. Es ist auch heute wieder eine Schlacht um das Recht, ohne Rücksicht auf die ehemalige Kolonialmacht zu leben. Ein mentaler Zusammenstoß zwischen Ukrainern und Kleinrussen. [Als Kleinrussen wurden die Ukrainer im Russischen Reich bezeichnet.]

Es wäre ein großer Fehler, all das zu vergessen.

Pawlo Kasarin, für Ukrainska Prawda