Experten: Nach drei Jahren ist die Krim zu einer Grauzone und einem “Territorium der Angst” geworden

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Nach drei Jahren russischer Besatzung ist die Krim zu einer Grauzone und einem “Territorium der Angst” geworden. Auf der Halbinsel herrscht totale Kontrolle. Es gibt keine Meinungsfreiheit, stattdessen nur völlig kontrollierte Medien und verfälschte historische “Fakten”. Der Tourismus hat keine Priorität mehr, sondern der militärisch-industrielle Komplex. Die Krim braucht die Unterstützung der ukrainischen Regierung und der Medien. Um die Krim zurückzuholen, muss man den Kontakt mit den Menschen auf der Halbinsel aufrechterhalten und einen Ministerrat der Krim auf dem ukrainischen Festland bilden. Der Staat, die Medien und Aktivisten müssen eng zusammenarbeiten. Diese Überzeugungen äußerten die Teilnehmer einer Diskussion im Ukraine Crisis Media Center.

Russland war sehr konsequent in seiner Vorgehensweise: Ende März 2014 hat es innerhalb weniger Tage die wichtigsten administrativen Einrichtungen der Halbinsel besetzt. Russische Reisepässe wurden innerhalb eines Monats ausgestellt, nachdem das Ergebnis des “Referendums” vom 16. März verkündet worden war. Viele Menschen wurden gezwungen, ihre ukrainischen Reisepässe abzugeben. “Dies ist ein Versuch, teilweise herausfinden, was aus der Krim nach drei Jahren der Besatzung geworden ist. (…) Dies ist eine sehr umfangreiche Entwicklung, und sie kann nicht nur aus einer Perspektive betrachtet werden. Zunächst sind dies politische Veränderungen auf der Halbinsel und ebenso wirtschaftliche, soziale und kulturelle. Es herrscht Gesetzlosigkeit im Bereich der Menschenrechte”, erklärte Gayana Yüksel, Redakteurin der “Agency Crimean News” und Mitglied des Medschlis (Volksvertretung der Krimtataren).

Russische Medienpolitik auf der Krim

Laut Gayana Yüksel leidet vor allem der Informationsbereich. Die russischen Behörden verhinderten sehr schnell jegliche Form der Meinungsfreiheit, indem sie ein Lizenzverfahren eingeführt haben. “Eine absolut offene und freie Halbinsel, die für die Medien frei zugänglich war und wo es mehrere Forschungs- und Beobachterteams gab, ist in eine Grauzone verwandelt worden. (…) Mehrere hundert Medienorganisationen waren vor der Besatzung auf der Krim registriert”, erzählte Gayana Yüksel. Elf davon arbeiten derzeit von der Ukraine aus. Unter ihnen sind die Kanäle “ATR”, “Chernomorka”, “Agency Crimean News”, “Black Sea News” und andere. “Wir haben eine große Anzahl an Verstößen gegen Journalisten und Medienagenturen in den drei Jahren der Besatzung festgestellt”, fügte Yüksel  hinzu.

Andrij Klymenko, Ökonom, Experte der NGO “Maidan of Foreign Affairs” und Redakteur der “Black Sea News” fügte hinzu, dass die Menschen Angst hätten, ihre Meinung öffentlich kundzutun, und das nicht ohne Grund. Alle Einrichtungen würden überwacht und kontrolliert und es würden strafrechtliche Verfolgungen stattfinden. Es gebe auch Gefängnisstrafen.

Kulturelle Aspekte

“Die Situation im Kulturbereich ist sehr schwierig und alarmierend. Selbstverständlich beeinflusst die russische Propaganda Meinungen und setzt die Menschen auf der Krim massiv unter Druck. (…) Es gibt massive Verfälschungen historischer Fakten. Sie versuchen die Krim als ein rein russisches Territorium darzustellen, ein Territorium, das niemals in Verbindung zu Ukrainern oder Krimtataren stand”, sagte Yüksel. Die russische Regierung betreibe aktive Propaganda in Schulen und Kindergärten, um die Meinungen der jüngeren Generation zu manipulieren.

Sanktionen und Investitionen

Die Sanktionen gegen Russland funktionieren. “Es gibt weder normale Banken mit internationalen Geschäften, noch Investitionen oder Investoren auf der Krim”, erklärte Andrij Klymenko. In den Augen der Welt ist Russland zu einem “giftigen Asset geworden, mit dem es riskant ist, Geschäfte zu machen”. “Russland kann weder Kredite anlocken, noch seine Großprojekte finanzieren. (…) Es muss das Geld aus den “beiseite gelegten” Reserven nehmen. Die ukrainischen und europäischen Sanktionen haben die Modernisierung der russischen Hochseeflotte komplett durcheinander gebracht”, berichtete Klymenko.

Auf der Welle der Euphorie im Jahr 2014 kam die Idee auf, die Krim zum Aushängeschild Russlands zu machen, nach dem Vorbild von Sotschi. “Diese Idee wurde nun aufgegeben. Der entscheidende Grund war die zivile Blockade der Krim im Jahr 2015. Im Jahr 2016 wurde die Krim zur Insel. Der Handel und die Transportwege haben sich verändert”, merkte Andrij Klymenko an.

Die benötigten Mengen an Fracht können nicht über den Luftweg transportiert werden. Der Hauptweg ist der Seeweg. “Die einzigen vorhandenen Lieferwege sind der Hafen von Sewastopol und die Kertsch-Fähre. Der Hafen von Sewastopol ist nur zu fünf Prozent seiner Kapazitäten vor dem Krieg ausgelastet. Andere Häfen wurden stillgelegt (…) Russland verliert Milliarden, um all die Probleme zu lösen. Die Insel wird weiterhin dem Besatzer Geld aus den Taschen ziehen”, erklärte Klymenko.

Militarisierung der Halbinsel

Russland hat eine gewaltige Anzahl von Raketenkomplexen auf der Krim stationiert und kontrolliert somit das Schwarze Meer. “Heute ermöglicht das ganze System aus Seestreitkräften, Luftwaffe und Raketen Russland die komplette Kontrolle über das Schwarze Meer”, betonte Klymenko. Die Krim gehöre zum südlichen Militärbezirk, also zu dem, dessen Militärs im Donbass im Einsatz seien. “Der militärisch-industrielle Komplex wird zur treibenden Kraft auf der Krim”, fügte der Experte hinzu.

Hindernisse und Schritte zur Beendigung der Besatzung der Halbinsel

“Rechtlich gesehen haben die Ereignisse auf der Krim auf der Ebene internationaler Organisationen eine angemessene Bewertung erhalten, und das trotz der massiven Attacke der russischen Regierung und Propaganda in der internationalen Arena was die Krim angeht. Und das freut uns. Russland versucht die gewaltsamen Besetzung als legal darzustellen”, erklärte Gayana Yüksel.

Andrij Klymenko betonte, notwendig sei, ein Register der Urlaubs- und Militäreinrichtungen auf der Krim zu erstellen, die für die Russische Föderation zu einer Trophäe geworden sind.

“Je mehr Krim-Bewohner ukrainische Dokumente besitzen, desto ukrainischer ist die Krim”, sagte Valentyna Samar. Sie ist Ökonomin und Chefredakteurin der Nachrichtenagentur “Center for Investigative Journalism”, Expertin der NGO “Maidan of foreign affairs” sowie Redakteurin der Webseite “Black Sea News”. Ihr zufolge haben die ukrainischen Behörden die destruktive Politik Putins begünstigt. Beispielsweise dadurch, dass die Bewohner der Krim zu Nicht-Residenten in der Ukraine erklärt worden sind, was sie von der übrigen Ukraine abgetrennt habe. “Wir brauchen eine Strategie. Es gibt nur den Entwurf eines Aktionsplan für die Krim und Sewastopol, aber das ist eine Taktik ohne Strategie. Die ukrainischen Behörden brauchen Menschen, die sich professionell mit Gegenpropaganda befassen können. Derzeit mangelt es an Lobbyisten, die sich mit Fragen der Krim beschäftigen. Dem ukrainischen Ministerium für die vorübergehend besetzten Gebiete und der Abteilung für die Autonome Republik Krim und die Stadt Sewastopol fehlen motivierte Mitarbeiter. Die territoriale Integrität der Ukraine sowie die Rückkehr der Krim und des Donbass sollten früher oder später in Gesetzen festgeschrieben werden,” sagte Valentyna Samar abschließend.