Sybe Schaap im Interview: „Das Wirtschaftspotential der Ukraine ist enorm“

Sybe Schaap

Sybe Schaap ist ein niederländischer Politiker, Parlamentsabgeordneter der Liberalen Partei der Niederlande und Vorsitzender des größten  Wasserschutzverbands in Holland. Er studierte Philosophie und untersucht die Probleme von totalitären und post-totalitären Gesellschaften. Am Abend vor der niederländischen Ratifizierung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU führte das Ukraine Crisis Media Center ein Interview mit Herrn Schaap. Dabei ging es um die Vorteile dieses Abkommens und die Bedrohungen des wachsenden Populismus in Europa und in der Ukraine, sowie das Wirtschaftspotential der Ukraine.

Vorteile des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens für Europa

Die bevorstehende Abstimmung ist nur ein i-Punkt der Geschichte. Die Debatten der letzten Wochen zeigten, dass eine große Mehrheit des Senats für das Abkommen ist, wie auch unsere Regierung dafür ist. Die Niederländer werden auch dafür sein, sobald sie verstehen, welche Vorteile es bringt. Wir sind bereits der drittgrößte Investor in der Ukraine, selbst ohne dieses Abkommen, und es wird mehr werden. Sie müssen Ihren Staat verbessern, ihn in einen Verfassungsstaat wandeln, in dem Rechtshoheit herrscht und der eine stabile Demokratie ist. Das wird eine gute Zeit, um in der Ukraine zu investieren. Die geographische Lage der Ukraine, der Zugang zum Schwarzen Meer, eröffnet dem Land die Türen zur Schifffahrt und zum Handel. Hier könnte so viel gemacht werden! Für Europa wäre es auch von Vorteil, die Ukraine Schritt für Schritt in die Normalität der EU zu integrieren.

Die Ukraine könnte eine sehr erfolgreiche Zukunft haben, wenn das Land richtig organisiert wäre. Es gibt nicht nur viele Kooperationsmöglichkeiten zwischen der Ukraine und den Niederlanden, sondern mit der gesamten EU. Sie haben das Potential, ein wichtiger Partner für Europa zu sein.

Was ist Populismus und woher kommt er in Europa?

„Populismus“ kommt von dem lateinischen Wort „populus“, was „Volk“ bedeutet. Deshalb meinen Populisten: „Wir sind das Volk! Und wir müssen als Volk geschützt werden! Und wir müssen die Traditionen, die wir als Volk haben, beschützen!“ Aber das Wort „Volk“ ist irreführend, denn wenn man „wir“ sagt, wird sofort ein „ihr“, die anderen innerhalb eines abgegrenzten Bereichs, unterstellt. Und durch den Populismus wird die Gesellschaft in mehrere Gruppen eingeteilt: in ein „wir“ gegen all die anderen, die beschuldigt werden, kein Teil dieses „wir“ zu sein.

Es gab eine Geschichte mit radikaleren Populistentypen: die Nazis oder die Kommunisten, die sofort damit begannen, jene anzuschwärzen, die sie nicht zum „wir“ zählten – die Juden oder die wohlhabenden Bauern. Diese Leute versuchten sich zu verstecken und sie fürchteten eine offene Gesellschaft. Es geht immer um eine Abschottung, wie bei Donald Trump in den USA. Das erste, was er sagte, war: „Ich will eine Mauer, um die USA gegen „sie“ zu schützen – die Mexikaner“. Und das ist gefährlich, weil wir eine offene Gesellschaft haben. Wir brauchen offene Grenzen. Wir brauchen internationale Beziehungen und die Möglichkeiten für die Menschen, um zu reisen, sich auszutauschen oder jeweils die anderen Universitäten zu besuchen. Die Wirtschaft ist offen, die Wissenschaft ist offen – das ist eine offene Welt. Populisten fürchten sich genau davor. Und das Argument der niederländischen Populisten war: „Oh, die Ukraine ist so weit weg. Sie sind alle kriminell und korrupt!“ Es war fast so, als würde Putin persönlich all das predigen.

Populismus in der Ukraine

In der Ukraine ist Populismus sehr gut möglich, weil es jetzt ein freies Land ist. Und man kann denken: gut, es ist unser Land, und wir müssen es als Ukrainer aufbauen. Aber es gibt nicht nur Ukrainer, sondern auch Tataren oder Russen, und jeder von ihnen ist Teil der Gesellschaft. Und vielleicht gibt es den Gedanken, dass man die Gesellschaft gegen sie verteidigen müsse. Machen Sie das nicht! Tappen Sie nicht in diese Falle, um eine geschlossene Gesellschaft zu werden. Sie müssen für alle Menschen da sein. Ob links oder rechts, das ist solange in Ordnung, solange es einen Dialog gibt. Sie sollten in Diskussion bleiben und nicht durch eine Laune gespalten werden.

Wirtschaftspotential der Ukraine

Das Potential ist enorm. Ich weiß das aus meiner Erfahrung im Landwirtschaftsbereich. Als ich 1992 oder 1993 zum ersten Mal als niederländischer Landwirt hierher kam und Ihre Böden sah, machte mich das total verrückt: das ist der beste Boden auf der Welt; hier könnten wir die besten Lebensmittel anbauen, wie ich es mit Kartoffeln machte. Aber Sie brauchen einen stabilen Staat und eine Stabilität der Rechtshoheit. Sie müssen eine repräsentative Demokratie aufbauen, einen Verfassungsstaat. Sie brauchen einen Staat, der den Unternehmen Sicherheit bietet. Nicht in wirtschaftlicher Hinsicht, das nennt sich Wettbewerb, der gut ist, sondern im Sinne von Gesetzen, damit Investitionen durch legale Instrumente geschützt sind. Investoren brauchen einen vertrauenswürdigen Staat mit Stabilität. Und wenn Sie das schaffen, werden auch Investoren in der Ukraine Schlange stehen.