Am Rande der Katastrophe: Der Donbass könnte zum Teil unbewohnbar werden

Seit Beginn des bewaffneten Konflikts im Donbass hat sich die Umweltsituation in der Region verschlechtert. Die Folgen der Kämpfe könnten eine ökologische Katastrophe auslösen, die nicht nur den Donbass betreffen würde, sagte in einem Interview für die ukrainische Internetzeitung  “OstroV” der Ökologe und Experte des Zoї Environment Network, Dmitri Averin. Hier eine vom Ukraine Crisis Media Center gekürzte Fassung des Interviews.

Wirkt sich der Krieg im Donbass auf die Umwelt der Region aus?

Der Donbass ist die am dichtesten mit Industrie vollgestopfte Region der Ukraine und Europas. Im Jahr 2013 hatten die Emissionen in der Region einen Anteil von 44 Prozent an den gesamten Emissionen in der Ukraine. Die Kämpfe im Osten der Ukraine wirken sich praktisch auf alle Bereiche der Umwelt aus.

Welche gefährlichen Betriebe gibt es heute im Donbass?

Im Donbass gibt es mehrere große metallurgische Unternehmen, die im Laufe des Konflikts beschädigt wurden. Das sind die Stahlwerke in Makijiwka, Donezk und Jenakijewo, das Metallurgie-Kombinat in Altschewsk und die Kokerei in Awdijiwka sowie die Wärmekraftwerke in Luhansk, Slowjansk, Wuhlehirsk und Myroniwka. Es gab Ausfälle in den Wärmekraftwerken in Starobeschewe, Kurachiwsk und Sujiwka. Beschädigt wurden auch Chemiebetriebe, darunter die Raffinerie in Lyssytschansk, die Chemische Fabrik in Donezk, die Stickstoff-Fabrik in Sewerodonezk sowie das Styrol-Werk in Horliwka. Große Umweltgefahren gehen auch von den Kohleminen aus. Die Kämpfe bedrohen sie besonders, da sie ununterbrochen mit Strom versorgt werden müssen.

Welche Gefahren gehen von beschädigten großen Fabriken aus?

Notfall-Unterbrechungen des Betriebs solch großer Unternehmen können sehr gefährliche und kaum vorhersehbare Folgen haben. Durch die Zerstörung der Produktionsinfrastruktur und die Notfall-Unterbrechungen des Betriebs nehmen die Risiken solcher Folgen deutlich zu. Die in solchen Notfällen entstehenden Emissionen verunreinigen die Luft, das Oberflächen- und Grundwasser sowie die Böden.

Zum Beispiel kam es im Jahr 2015 durch den Beschuss der Kokerei in Awdijiwka zu einem Brand. Es trat Kokereigas aus mit einem hohen Gehalt an Benzol, Schwefelwasserstoff und Ammoniak. Vielen Menschen ist auch klar, wie die Lage im Phenol-Werk in Dscherschinsk ist, das sich praktisch an der Demarkationslinie befindet. Sollte der Damm zerstört werden, könnten flüssige chemische Abfälle in den Fluss Siwerskyj Donez und weiter bis ins Asowsche Meer gelangen.

Eines der größten Umweltprobleme im Donbass ist die Flutung von Bergwerken. Das führt zu Veränderungen im Grundwasser. Nicht ausgeschlossen ist die Überflutung und Versalzung von Böden, weil das Grubenwasser im Donbass einen besonders hohen Salzgehalt hat.

Wieso sind die Minen im Donbass geflutet?

Das Abpumpen von Grubenwasser wird in den Bergwerken gestoppt, wenn es zu Störungen im normalen Betrieb und zu Stromausfällen im Notfall kommt, aber auch, wenn Gebäude oder Pumpanlagen zerstört werden. Heute funktioniert fast im gesamten Gebiet von Horliwka bis Solote die Entwässerung nicht mehr.

Wann bekommen die Menschen im Donbass die negativen Folgen für die Umwelt zu spüren?

In der Region Donezk ist der Wassergehalt der Flüsse gestiegen, was auf einen erhöhten Grundwasserspiegel hindeuten könnte. Dieses Wasser dringt ungereinigt in Oberflächengewässer vor, wodurch sich der Salzgehalt verändert, was sich wiederum auf die Qualität der Trinkwasserversorgung und die chemische Zusammensetzung des Wassers in den Flüssen der Region auswirkt. Darüber hinaus werden durch eine Erhöhung des Grundwasserspiegels Böden geflutet und an der Oberfläche tritt Methan aus. Methan ist ein explosives Gas, das sich in den Kellern und Eingängen von Häusern ansammeln kann, was zu gefährlichen Situationen führen kann. Ich denke, dass in fünf bis zehn Jahren der Donbass zum Teil unbewohnbar werden könnte.

Die OSZE macht auf die Wasseraufbereitungsanlage in Donezk aufmerksam. Sollte sie zerstört werden, käme es zu einer Umweltkatastrophe. Welche Gefahren drohen?

Die Wasseraufbereitung erfolgt in allen Filterstationen mit Chlor, einem Stoff, der für Mensch und Umwelt sehr gefährlich ist. Sollte die Anlage beschädigt werden, könnte Chlor freigesetzt werden. Vom Epizentrum der Freisetzung aus könnten Gebiete in einem Umkreis von mehreren  Kilometern verpestet werden.

Besteht die Gefahr einer erhöhten radioaktiven Strahlung in den von Kiew nicht kontrollierten Gebieten des Donbass?

In der Region Donezk gibt es mehrere Objekte, deren Beschädigung eine radioaktive Kontamination großer Flächen zur Folge haben kann. Zum einen ist es die Mine “Junkom” in Bunhe (dem früheren Junokomunariwsk). Dort wurde in den späten 1970er Jahren eine unterirdische Atomexplosion erzeugt. Man wollte im Rahmen eines Experiments auf diese Weise die Spannung in der Gesteinsmasse abbauen. Da derzeit die Grube geflutet wird, kann das Grubenwasser radioaktiv verseucht werden, was sich künftig auch auf die Oberflächengewässer auswirken kann. Zum anderen werden auf dem Gelände der Donezker Fabrik für chemische Erzeugnisse radioaktive Abfälle des damaligen Verteidigungsministeriums der UdSSR gelagert. Der Zustand der Lagerstätte bereitet schon seit den 2000er Jahren Sorgen. Wie es um die Dichtigkeit des Lagers heute steht, ist unbekannt, vor allem angesichts dessen, dass es auf dem Gelände der Anlage 2014 und 2015 mehrere Explosionen gab.

Was unternimmt die ukrainische Seite, um eine Umweltkatastrophe zu verhindern?

Mit der Frage ist das Ministerium befasst, das für die vorübergehend besetzten Gebiete zuständig ist, aber auch das ukrainische Umweltministerium und verschiedene internationale Organisationen. Zum Beispiel arbeitet auf Anfrage des ukrainischen Umweltministeriums der Projektkoordinator der OSZE in der Ukraine an einem Projekt, um den Schaden zu untersuchen, der der Umwelt durch den bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine zugefügt wurde. Auch werden ständig Strom- und Wasserleitungen repariert, Dämme verstärkt und vieles andere getan. Aber nicht alles hängt von der ukrainischen Seite ab, denn für die Reparaturen muss im Gemeinsamen Kontroll- und Koordinierungszentrum mit der russischen Seite immer erst eine Waffenruhe vereinbart werden.