Blog aus Luhansk: In einem Rechtsraum?

Photo: BBC Ukraine – Luhansk

Das Ukraine Crisis Media Center veröffentlicht die deutsche Übersetzung eines Artikels von Jana Wiktorowa, der bei BBC Ukraine erschienen ist.

In der “Volksrepublik Luhansk” ist es sehr schwierig, irgendwelche rechtlichen Schritte zu unternehmen. Alle wichtigen Notwendigkeiten des Lebens kann man schon erledigen: Brot wird heute verkauft, wie auch im Sommer 2014. Medikamente kann man in Apotheken kaufen oder bei Schmugglern bestellen. Doch was es gar nicht mehr gibt, ist ein angemessener Schutz der Rechte der Menschen.

Im Herbst 2014 versuchten mit mir befreundete Geschäftsleute, die nach einem Urlaub nach Luhansk zurückkehrt waren, ihren Kleinbus wiederzufinden. Auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz erwartete sie eine schriftliche Mitteilung eines “Kommandeurs“, versehen mit Datum und unleserlicher Unterschrift. Darin hieß es, ihr Fahrzeug sei in den Dienst der Armee gestellt worden.

Eigentum ohne Recht?

Welche Ansprüche konnte man schon gegenüber dem Parkwächter erheben? Was hätte er allein gegen diese bewaffneten Leute ausrichten können? Meine Freunde jammerten nur über sich selbst und darüber, dass sie all dies nicht haben kommen sehen. Ihre lange Suche in “Militärobjekten” und die Kontaktaufnahme zu irgendwelchen “Behördenvertretern” führte schließlich zu einem Ergebnis. Sie erhielten eine schriftliche Antwort: Im August 2014 sei der Kleinbus unter Beschuss geraten. Er habe nicht mehr repariert werden können und sei auf dem Schlachtfeld zurückgelassen worden. Keine Bestätigung oder Beweise. Geh’, such’ und überzeug’ dich selbst.

Nach drei Jahren kann man sagen, dass in diesen Gebieten mittlerweile wenigstens einige “Gesetze” wirken. Zum Beispiel muss man seit April 2017 für den Kauf oder Verkauf einer Immobilie nicht mehr die “Grenzen der Republik” verlassen. Früher fuhren Käufer und Verkäufer in die nächste von der Ukraine kontrollierte Stadt, um eine notarielle Beglaubigung für ihr Geschäft zu erhalten. Das ist jetzt natürlich viel einfacher, aber trotzdem gibt es genügend Risiken. Das größte ist, dass die Ukraine diese Geschäfte nicht anerkennt. Das heißt, die Verträge könnten annulliert werden, wenn die ukrainischen Behörden wieder die Macht übernehmen.

Wohnungskauf mit Hypotheken

Werden Banken neuen Wohnungseigentümern ihre Schulden und Zinsen erlassen? Werden sie wirklich einstigen Eigentümern hohe Beträge abschreiben? Alles hängt von der Überzeugung des Käufers und der Überzeugungskraft des Verkäufers ab. Dabei hoffen beide fest, dass die ukrainische Staatsmacht nicht mehr zurückkommt, auch deshalb, weil dann niemand niemandem mehr etwas zurückzahlen muss. Die häufigste Antwort bei Anrufen von Banken lautet: “Ja, ich bin in Luhansk! Kommen Sie doch und holen Sie sich alles, was ich Ihnen schulde!”

Entwertetes Eigentum

Aber den Menschen ist klar, dass die Wohnungspreise gefallen sind. Wer eine Wohnung verkauft, kann für das Geld nirgends eine vergleichbare Wohnung kaufen. Die Nebenkosten einer leerstehenden Wohnung zu bezahlen, ist teuer, aber es ist genauso dumm, eine Wohnung zu einem Spottpreis zu verkaufen.

Die Immobilienpreise sind tatsächlich um das Dreifache gefallen, wenn man sie mit den Preisen vor dem Krieg vergleicht. Das ist auch der Grund, warum viele Menschen nervös werden. Denn wer sich kurz vor dem Krieg eine Wohnung gekauft hatte, zahlt immer noch die Schulden ab.

Seit April 2017 gibt es in der sogenannten “Republik” ein Register, durch das es möglich ist, ein Erbe anzutreten. Viele Leute eilten zu diesem Amt. Doch dort erfuhren sie, dass alle Dokumente vor dem Sommer 2014 ungültig sind. Nun benötigen sie neue technische Bescheinigungen, neue Schätzungen ihres Eigentums und Quittungen, die Einzahlungen bei einer lokalen Bank belegen.

“Aufs Ehrenwort”

Bei beweglichem Eigentum verhält es sich anders. Die “Gesetze” für PKWs sollen im September beschlossen werden. Aber bereits heute kann man ein Auto mit einer Generalvollmacht kaufen oder verkaufen. Diese Vollmacht wird von lokalen Notaren ausgestellt. Die maximale Gültigkeit für eine solche “Vollmacht” beträgt drei Jahre, was 2000 Rubel (ca. 35 Euro) kostet und nur dort gültig ist. Niemand kann ausschließen, dass der Fahrzeugeigentümer sein Auto auf dem von der Ukraine kontrollierten Gebiet als gestohlen gemeldet hat. Alles hängt vom Ehrenwort des Verkäufers ab. Gleichzeitig kann das Auto über eine ukrainische Bank auf Kredit gekauft sein. Man braucht Dokumente, die bezeugen, dass der Kredit abbezahlt wurde.

Im Autohaus vor Ort, wo man ein Auto auf Kommission kaufen und verkaufen kann, wurde mir gesagt: “Unser Name ist Garantie dafür, dass mit dem Auto alles in Ordnung ist”. Das Autohaus gibt es noch kein Jahr und sie reden schon von Garantien. Aber die Autohäuser prüfen die Fahrzeuge tatsächlich bei den ukrainischen Registrierstellen auf Kredite oder, ob sie als gestohlen gemeldet sind. Man sagt, so mancher habe sich mit solchen Verkäufen die Finger verbrannt. Doch die Autohäuser helfen gerne. Für 100 US-Dollar besorgen sie eine Vollmacht aus der Ukraine.

Ferner verhandeln hier die Gerichte nur Strafsachen. Scheidungen, Vaterschaftsklagen oder Klagen gegen Nachbarn nach einer Überschwemmung einer Wohnung werden nicht angenommen.

Die gefragteste “juristische Privatdienstleistung” in diesen Gebieten besteht darin, ein Foto in den Pass zu kleben, Bankkarten zu verlängern oder eine Identifizierung bei einer ukrainischen Bank durchzuführen. Viele Rentner vertrauen dem Wort “juristisch” und sind überzeugt, dass sie nicht betrogen werden. Die Einwohner sind so naiv zu glauben, dass sie in einem rechtlichen Raum leben und dass der “Staat” für ihre Sicherheit bürgt.