Serhij Zhadan: Eine Anthologie darüber, wie der Donbass wirklich ist

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Das Lemberger Buchforum (Lviv Publishers’ Forum) ist die größte Buchmesse in Osteuropa. Dieses Jahr wird dort die Anthologie “Poroda” (Sorte), ein Sammelband von Werken ukrainischer Schriftsteller aus dem Donbass, vorgestellt. Während einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center haben Autoren der Anthologie berichtet, worin die Bedeutung und Besonderheit dieses Buches liegt.

Die Kultur kommt zu Wort, anstatt Politiker

In dem Sammelband sind 63 Autoren vertreten, die auf die eine oder andere Art mit den ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk verbunden sind. “In dem Buch über den Donbas gibt es keine Oligarchen”, sagte Serhij Zhadan. Der Schriftsteller und Übersetzer gehört dem Redaktionsteam des Sammelbandes an. “In ihm kommen weder Separatismus und Ukraine-Phobie noch depressive Bergleute vor. Ganz im Gegenteil. Darin geht es um die ukrainische Sprache, Literatur und die Liebe zur Ukraine. Es ist der Donbass, den man entweder nicht kennt, oder in anderen Regionen der Ukraine nicht wahrnehmen möchte. Aber mit dem Donbass, wie auch mit allen anderen Teilen des Landes, sollte man sich auseinandersetzen. Am besten kann man das über Schriftsteller, weil sie im Gegensatz zu den Politikern nicht lügen müssen”, berichtete Zhadan. Er ist überzeugt, ein solcher Sammelband hätte noch vor dem Krieg im Donbass erscheinen müssen. Aber auch jetzt sei er noch sehr aktuell, da er einen wichtigen Beitrag zur Vereinigung des Landes leiste. Die Anthologie würde, so Zhadan, den realen Donbass in all seiner Vielfalt widerspiegeln.

Vereinigte Vielfalt

Das Besondere an dem Sammelband ist, dass er kein monolithisches Werk ist. Unter den Autoren sind Klassiker der ukrainischen Literatur, die sich im Lehrplan aller Schulen wiederfinden. Aber auch zeitgenössische Autoren kommen darin vor. “Wir wollten verschiedene Generationen von Schriftstellern zu Wort kommen lassen. Darüber hinaus sind hier verschiedene Genres kombiniert: Prosa, Lyrik, Drama. Also eine große Anzahl von Werken in einem Band”, sagte Stanislaw Fedortschuk, Projektleiter der Anthologie. Er leitet zudem die gesellschaftliche Organisation “Ukrainischer Volksrat der Gebiete Donezk und Luhansk”.

Der Sammelband enthält auch Auszüge eines noch nicht erschienenen Romans von Iren Rozdobutko, der von dem Geschäftsmann John Hughes handelt. Der walisische Ingenieur gründete eine metallurgische Fabrik in der nach ihm benannten ukrainischen Stadt Jusowka, dem heutigen Donezk. Auch der Schriftsteller Ihor Koslowskyj ist in dem Sammelband vertreten. Derzeit befindet er sich in der Gefangenschaft der prorussischen Rebellen. Die Anthologie stellt sowohl ukrainisch- als auch russischsprachige Autoren vor. “Auch russischsprachige Autoren sind Vertreter der ukrainischen Kultur, weil sie sich klar mit der Ukraine assoziieren, oder dies zu Lebzeiten getan haben”, sagte Jurij Bedryk, Dichter, Übersetzer und Herausgeber des Verlags “Legende”. Unter den Autoren sind zudem Bürger anderer Länder, ukrainische Emigranten, die sich mit dem Donbass verbunden sehen.

Wenn der Krieg vorbei ist…

Die erste Auflage des Sammelbandes erreicht nur 2000 Exemplare. Die Hälfte davon geht kostenlos an Bibliotheken, Universitäten und Kulturstiftungen. Die andere Hälfte geht in den Handel. Die Teilnehmer der Pressekonferenz sagten, geplant sei die Übersetzung einzelner Teile der Anthologie ins Polnische und Tschechische. Mit der Zeit soll der Sammelband in allen Ländern vorgestellt werden, wo ethnische Ukrainer leben und Interesse an ukrainischer Kultur besteht. Viele Autoren konnten nicht in die Anthologie aufgenommen werden, weil sie in den besetzten Gebieten leben und Angst vor den Folgen einer solchen Veröffentlichung für ihr Leben haben. Werke von ihnen, so hoffen die Herausgeber des Sammelbandes, sollen in einer zweiten Auflage der Antologie erscheinen, wenn der Krieg im Osten der Ukraine vorbei ist.

Der Name des Sammelbandes “Poroda” (Sorte) sei ambivalent und gebe den Zustand wider, in dem sich die Binnenflüchtlinge befänden, meint Mykyta Hryhorow, Dichter, Übersetzer und einer der Autoren der Anthologie. “Auf der einen Seite wird von wertlosen ‘Sorten’ bei der Kohle gesprochen, auf der anderen Seite von der besten ‘Sorte’ von Menschen. Wenn diese beiden Konnotationen verbunden werden, wird der Zustand deutlich, in dem sich die Menschen befinden, die die Gebiete Donezk und Luhansk verlassen haben. Auf der einen Seite werden sie von so manchen verunglimpft und auf der anderen Seite sind sie vielleicht das Beste, was es in diesen Regionen gab”, so Hryhorow.