Die Lage im Donbass, Zivilgesellschaft in der Ukraine, GOGOLFEST sowie weitere Themen: Übersicht der ukrainischen Pressenachrichten #56, 1. – 7. Mai 2018

Die Lage im Kampfgebiet im Osten der Ukraine

 

Ende der ATO und Beginn der OOS. Am 30. April 2018 wurde die Anti-Terror-Operation (ATO) offiziell beendet. Gleichzeitig begann im Donbass die Operation der Vereinten Kräfte (OOS). Einzelheiten dazu in dem Artikel des Ukraine Crisis Media Center “Alter Krieg, neue Regeln: Das Ende der ATO und der Beginn einer neuen Operation im Donbass“.

Beschuss von Ortschaften. In der letzten Woche haben die prorussischen Rebellen ihre Kampfhandlungen im Donbass mit hoher Intensität fortgesetzt. Dabei setzten sie Waffen ein, die gemäß den Minsker Vereinbarungen verboten sind: Mörser (82 mm und 120 mm), Artillerie (122 mm und 152 mm) sowie Panzer. Darüber hinaus beschossen die Rebellen insgesamt siebenmal folgende Orte: am 1. Mai Wohnbezirke von Trojizke , am 3. Mai Wohnbezirke von Sajzewe (sechs Häuser wurden beschädigt), am 5. Mai Wohnbezirke von Luhanske und am 6. Mai wieder Luhanske, Mykolajiwka und zweimal Sajzewe. Bei dem Beschuss wurde zivile Infrastruktur zerstört sowie ein Zivilist verwundet.

UNICEF über die Schulen nahe der Front. In den vergangenen 16 Monaten wurden im Osten der Ukraine mindestens 45 Schulen beschädigt. Das geht aus einem Bericht von UNICEF, dem Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, hervor. “UNICEF und seine Partner haben mindestens acht Fälle registriert, in denen sich militärische Objekte und Objekte bewaffneter Gruppen in einem Umkreis von 500 Metern von Kindergärten und Schulen befunden hatten. In zwei Fällen waren sie nur wenige Meter von Bildungseinrichtungen entfernt. Seit Ausbruch des Konflikts wurden im Osten der Ukraine mehr als 700 Schulen beschädigt”, so UNICEF.


Bellingcat und SBU: Russland am Beschuss von Mariupol im Jahr 2015 beteiligt

Am 24. Januar 2015 wurde die Stadt Mariupol, die im Osten der Ukraine unweit der Front liegt, beschossen. Dabei kamen 30 Zivilisten ums Leben und mehr als 100 wurden verletzt. Drei Jahre später liegen Beweise dafür vor, dass an dem Beschuss russische Offiziere beteiligt waren.

Bellingcat nennt die Namen von neun russischen Offizieren. Mitarbeiter des investigativen Recherche-Netzwerks Bellingcat haben bestätigt, dass Mariupol am 24. Januar 2015 vom Territorium aus beschossen wurde, das sich unter der Kontrolle der Russischen Föderation befindet. Bellingcat hat auch die Namen der daran beteiligten Rebellen und russischen Militärs veröffentlicht. “Bellingcat hat herausgefunden, dass russische Militärkommandanten, die für das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation tätig waren, Anweisungen gaben, den Beschuss leiteten und Ratschläge erteilten”, heißt es im Bericht. Den Bellingcat-Mitarbeitern ist es gelungen, neun russische Offiziere zu identifizieren, darunter einen General, zwei Oberste und drei Oberstleutnants, die direkt an dem Beschuss beteiligt waren. Bellingcat untersuchte Audio- und Videomaterial, das die ukrainischen Behörden dem Internationalen Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens gegen Russland vorgelegt hatten. Geprüft wurden dabei die Ereignisse selbst, die Namen, Aufenthaltsorte, die Metadaten von Telefonaten, Satellitenbilder, Beiträge in sozialen Netzwerken sowie Stimmproben aus öffentlichen Auftritten mehrerer identifizierter Personen. Bellingcat hat angekündigt, den vollständigen Bericht über die neun russischen Offiziere Ende dieser Woche vorzulegen.

SBU: “Den Beschuss von Mariupol im Jahr 2015 haben russische Militärs organisiert.” Auf dem Gebiet der Russischen Föderation hat die Operation der Chef der Raketentruppen des Südlichen Militärbezirks der russischen Streitkräfte, Generalmajor Stepan Jaroschtschuk, geleitet. Das erklärte am 7. Mai auf einer Pressekonferenz der Chef des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU), Wasly Hryzak. “Dank harter Arbeit konnte minutengenau erfasst und dokumentiert werden, wann die russischen Einheiten die russisch-ukrainische Grenze überschritten und wie sie zu den Stellungen der Terroristen gelangten, von denen aus der Beschuss von Mariupol durchgeführt wurde. Von Russland aus leitete die Operation unmittelbar Generalmajor Stepan Jaroschtschuk”, sagte Hryzak. Ihm zufolge fand der SBU heraus, dass zwei Bataillone ausgerüstet mit BM-21-Mehrfachraketenwerfern der Streitkräfte der Russischen Föderation mehr als 120 Mal mit Splittergranaten vom Typ S-21OF auf die friedliche Stadt gefeuert haben.


Zivilgesellschaft in der Ukraine: Umfrage und Experten-Meinungen

Die Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen” hat zusammen mit dem Kiewer Rasumkow-Forschungszentrum zwischen dem 15. und 19. Dezember 2017 untersucht, welche Einstellung die ukrainische Bevölkerung zur Zivilgesellschaft hat. Im Rahmen der Studie wurden auch Experten befragt.

Wie wird die Zivilgesellschaft bewertet? Die Bevölkerung schätzt den Grad der Entwicklung der Zivilgesellschaft in der Ukraine nicht besonders hoch ein. Etwa ein Drittel der Befragten hält sie für mittelmäßig und ein weiteres Drittel findet, dass sie eher schlecht entwickelt ist. Nur zehn Prozent finden, dass die Zivilgesellschaft in der Ukraine hoch entwickelt ist.

Junge Menschen sind aktiver. 7 Prozent der Befragten gaben an, gesellschaftlich aktiv zu sein. 87 Prozent sagten, sich nicht gesellschaftlich zu engagieren. Am aktivsten sind junge Menschen – mehr als 10 Prozent der Befragten. Das geringste gesellschaftliche Engagement ist mit nur 2 Prozent im Osten des Landes zu beobachten.

Bereitschaft zur Freiwilligentätigkeit. Etwa 12 Prozent der Befragten waren im Laufe des Jahres ehrenamtlich tätig. Diese Zahl ist seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2012 relativ stabil. Das höchste Maß an Freiwilligentätigkeit besteht unter Jugendlichen (18 Prozent) sowie im Westen und im Zentrum der Ukraine (etwa 15 Prozent).

Bereitschaft zur Wohltätigkeit. 41 Prozent der Befragten spendeten im Laufe des Jahres bestimmten Personen oder Organisationen Geld oder ließen ihnen materielle Unterstützung zukommen. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Die Bereitschaft zur Wohltätigkeit war laut Umfragen im November 2015 mit 47 Prozent am höchsten. Dennoch ist der Wille zu karitativen Aktivitäten heute immer noch deutlich höher als das noch vor der Revolution der Würde war. Im Dezember 2012 spendeten etwa 29 Prozent der Befragten für wohltätige Zwecke.

Stärkerer Einfluss auf die Regierung. Experten zufolge waren gleich nach der Revolution der Würde die Möglichkeiten für Nichtregierungsorganisationen, auf Entscheidungsträger Einfluss zu nehmen, deutlich gestiegen: von 2,1 auf 3,5 Punkte – gemessen auf einer 5-Punkte-Skala. In den darauffolgenden Jahren nach der Revolution begann dieser Einfluss jedoch leicht nachzulassen. Dennoch liegt der Wert mit 3,2 Punkten im Jahr 2017 immer noch klar über den Werten vor dem Jahr 2014.

Wirksame Hebel der Zivilgesellschaft. Nach Ansicht der befragten Experten sind das die effektivsten Hebel, um auf die Regierung Einfluss zu nehmen: Zusammenarbeit mit den Medien (71 Prozent), Bildung starker Vereinigungen, Bewegungen und NGOs (63 Prozent), Appelle an die Weltgemeinschaft und internationale Organisationen (60 Prozent), öffentliche Diskussionen, Runde Tische und Anhörungen zu dringenden sozialen Problemen und Erarbeitung eigener Lösungsvorschläge (58 Prozent), Besetzung öffentlicher Ämter in der Regierung, in Ministerien und Kommunen mit NGO-Vertretern (54 Prozent).


Kultur: GOGOLFEST in der Front-Stadt Mariupol

Das GOGOLFEST, ein multidisziplinäres Festival zeitgenössischer Kunst, gibt es schon seit zehn Jahren. In diesem Jahr findet es zum ersten Mal nicht in Kiew, sondern in der Stadt Mariupol in der Region Donezk statt, also unweit der Front. Der Gründer des Festivals ist der Theaterregisseur Wlad Trojizkyj. Daher hat die Veranstaltung traditionell ein starkes Theater- und Performance-Programm. Im Herbst 2017 äußerte Trojizkyj noch die Befürchtung, das Festival aufgrund fehlender Finanzierung wahrscheinlich nicht weiterführen zu können. Doch das Festival änderte sein Format und konnte schließlich vom 27. April bis 1. Mai 2018 in Mariupol unter der Bezeichnung GOGOLFEST [Startup] stattfinden.

Eine solche “kulturelle Dezentralisierung”, also weg von bislang bewährten und traditionellen Kulturzentren hin zu Orten vor allem nahe der Front im Osten der Ukraine, ist in der Ukraine inzwischen zu einem gewissen Trend geworden. Mit dem Festival kamen Theater-, Musik-, Literatur- und Filmvorführungen nach Mariupol, aber auch visuelle Kunst und Veranstaltungen für Kinder. Zum musikalischen Programm gehörten die Gruppen DachaBracha und Dakh Daughters, die einst unter der Leitung von Trojizkyj ihre Karriere begannen. Die Theatergruppen Wild Theater, Theater Practicum, Mizanthrop und Publizist führten Stücke auf. Das Festival fand nicht nur in der Stadt, sondern auch an der Küste des Asowschen Meeres statt, an dem Mariupol liegt. Einbezogen wurden auch Kultur-Initiativen vor Ort, zum Beispiel die Plattform TJU.