MH17: Ein Gerichtsprozess rückt immer näher

Die Boeing 777 der Malaysia Airlines mit der Flugnummer MH17 war am 17. Juli 2014 unterwegs von Amsterdam nach Kuala Lumpur. Über der ostukrainischen Region Donezk, beim Dorf Hrabowe nahe der Stadt Tores, wurde die Maschine abgeschossen. Alle 298 Menschen an Bord wurden getötet. Unter ihnen 80 Kinder, davon drei Säuglinge. 196 der Toten waren Niederländer. Unter den Opfern befanden sich außerdem Bürger aus Australien, Belgien, Kanada, Deutschland, Indonesien, Irland, Israel, Italien, Malaysia, Neuseeland, den Philippinen, Rumänien, Südafrika, Vietnam, Großbritannien und den USA. Die Katastrophe gehört zu den größten in der Geschichte der Luftfahrt. Was sind die jüngsten Beweise für die Beteiligung Russlands an dieser Tragödie? Auf welche Fragen fehlen immer noch Antworten? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:

Erklärung der G7: Moskau muss Verantwortung übernehmen. Am 15. Juli haben die G7-Außenminister auf der Website der kanadischen Regierung, die derzeit den G7-Vorsitz innehat, eine Erklärung veröffentlicht. Darin wird Moskau aufgefordert, auf Fragen zur Tragödie des Flugs MH17 sowie zur Beteiligung russischer Soldaten endlich offiziell Stellung zu nehmen. Die G7 betont, dass nach internationalem Recht die Personen, die für den Abschuss einer Buk-Rakete auf das Flugzeug verantwortlich seien, zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

Gemeinsames Ermittlerteam: Es war eine russische Buk-Rakete. Das Joint Investigation Team (JIT), das die offiziellen Untersuchungen zur MH17-Katastrophe durchführt, erklärte im Mai 2018, das Buk-Raketensystem, mit dem die Maschine abgeschossen worden sei, stamme von der 53. Luftabwehr-Brigade der russischen Streitkräfte, die in der russischen Stadt Kursk stationiert gewesen sei.

Ein Angehöriger des Ermittlerteams sagte, dank mehrerer einzigartiger Beweise sei es möglich geworden, das Buk-Raketensystem genau zu identifizieren. Die Beweise seien auf Foto- und Videomaterial gefunden worden, das aus sozialen Netzwerken stamme.

Wilbert Paulissen, Chefermittler der niederländischen Polizei, sagte über die Beweise, sie seien wie Fingerabdrücke des Raketensystems. “Alle Fahrzeuge des Konvois, die das Raketensystem begleiteten, gehörten den russischen Streitkräften”, unterstrich er.

Gemeinsames Ermittlerteam: Die Namen der Täter sind bekannt. Die Ermittler verfügen über eine Liste von Personen, die verdächtigt werden, das Buk-Raketensystem von Russland in den Donbass transportiert und von dort auf das Flugzeug abgefeuert zu haben. Deren Namen sind aber noch nicht offiziell bekanntgegeben worden.

Das Ermittlerteam erklärte, dass es ihm “mit sehr großer Sicherheit” gelungen sei, die Identität eines der Verdächtigen zu klären – eines Mannes, der sich hinter den Pseudonymen “Andrej Iwanowitsch” und “Orion” versteckt habe. Die Ermittler sind überzeugt, dass es sich bei ihm um Oleg Iwannikow handelt, einen aktiven Mitarbeiter der “Hauptverwaltung für Aufklärung” (GRU) beim russischen militärischen Nachrichtendienst. Den Ermittlern zufolge koordinierte Iwannikow 2014 und 2015 in der ostukrainischen Region Luhansk die prorussischen Separatisten sowie die Angehörigen des russischen privaten Sicherheits- und Militärunternehmens, das als “Wagner-Gruppe” bekannt ist. Diese Aufgabe nahm Iwannikow auch im Juli 2014 wahr, als die MH17 abgeschossen wurde.

Untersuchungen von Bellingcat. Experten des investigativen Recherche-Netzwerks Bellingcat konnten die Identität eines weiteren Verdächtigen klären. Es handelt sich um einen Generaloberst der russischen Armee in Reserve, der in den Untersuchungen unter dem Pseudonym “Delphin” erscheint.

Bellingcat hatte bereits im Jahr 2015 nach der Analyse von Fotos, Videoaufnahmen, Satellitenbildern und anderen Daten mitgeteilt, das Buk-Raketensystem sei aus Russland herangeschafft und unmittelbar nach dem Abschuss des malaysischen Flugzeugs wieder nach Russland zurückgebracht worden. Später konnte Bellingcat in mehreren Berichten seine Untersuchungsergebnisse noch konkretisieren und stellte fest, dass das Raketensystem von jener Luftabwehr-Brigade im russischen Kursk stammt.

Warum wurde der Flug MH17 abgeschossen? Nach und nach fanden die Ermittler Antworten auf fast alle Fragen, was den Abschuss des Passagierflugzeug über dem Donbass angeht. Die einzige noch nicht beantwortete Frage ist, warum und mit welchem Ziel die Maschine abgeschossen wurde.

Zu den plausiblen Antworten gehört die des ehemaligen Chefs des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU), Walentyn Nalywajtschenko. Ihm zufolge sollten die prorussischen Rebellen statt der malaysischen Maschine ein Flugzeug der russischen Aeroflot abschießen, das zum selben Zeitpunkt über dem Donbass von Moskau nach Larnaca unterwegs war. Russland, so Nalywajtschenko, habe vorgehabt, die ukrainische Armee des Terrorismus zu beschuldigen und die Katastrophe als Vorwand für eine massive Invasion russischer Truppen in der Ukraine zu nehmen.

Am 18. Juli 2014 hatte der SBU ein abgefangenes Gespräch russischer Militärs veröffentlicht, in dem es um den Transport des Buk-Raketensystems geht. Darin wird erwähnt, dass das Raketensystem in der Nähe eines Dorfes, Perwomajske genannt, aufgestellt worden sei. Doch die russischen Militärs kannten sich in der Gegend schlecht aus und wussten nicht, dass es in der Region Donezk drei Dörfer mit dem Namen “Perwomajske” gibt. Statt zum Dorf Perwomajske zu fahren, das westlich von Donezk liegt und über dem jenes russische Flugzeug fliegen sollte, fuhren die russischen Militärs zum Dorf Perwomajske, das sich südöstlich von Donezk befindet. Die Folge war, dass nicht das russische, sondern das malaysische Passagierflugzeug abgeschossen wurde.

Russland bestreitet Beteiligung am MH17-Abschuss. Schon im Jahr 2014 verbreiteten russische Medien verschiedene Versionen über die Ursachen der Tragödie. Das russische Verteidigungsministerium und der Hersteller von Buk-Raketen, der größte russische Rüstungskonzern Almas-Antei, behaupteten, die Rakete sei von einem Gebiet aus abgeschossen worden, das sich zu jener Zeit unter der Kontrolle der ukrainischen Armee befunden habe.

Im Zusammenhang mit der MH17-Katastrophe leiteten auch die russischen Behörden Ermittlungen ein und erklärten, sie würden in erster Linie die Version prüfen, wonach das Passagierflugzeug von einer Su-25-Maschine der ukrainischen Luftstreitkräfte abgeschossen worden sei. Verschiedene Experten haben aber nachgewiesen, dass dies gar nicht nicht möglich ist: Eine Su-25 kann nicht so hoch fliegen wie ein Passagierflugzeug und hat auch keine Raketen, die in der Lage wären, ein Flugzeug auf einer Höhe von zehn Kilometern zu zerstören.

Im Frühsommer 2018 wies der russische Präsident Wladimir Putin in einem Interview für den österreichischen Fernsehsender ORF erneut den Vorwurf zurück, Russlands sei am Absturz der MH17 beteiligt gewesen. Er sagte, alle Konfliktparteien im Donbass würden Waffen aus sowjetischer und russischer Produktion verwenden.

Wo wird es einen Gerichtsprozess geben? Die Ermittlungen befinden sich inzwischen in einer Endphase und sie sollen mit einem Gerichtsprozess abgeschlossen werden. Seit 2015 treten fünf Länder, die den Abschuss des Flugzeugs der Malaysian Airlines untersuchen, für die Einrichtung eines internationalen Tribunals ein: Malaysia, dem das Flugzeug gehörte, die Ukraine, über der es abgeschossen wurde, sowie die Niederlande, Australien und Belgien, deren Bürger an Bord des Flugzeugs waren.

Bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 29. Juli 2015 legte Russland als einziges Land ein Veto gegen die Resolution zur Einrichtung eines internationalen MH17-Tribunals ein.

Der internationale Vertrag, der von den Niederlanden und der Ukraine unterzeichnet und vom niederländischen Parlament am 12. Juni 2018 gebilligt wurde, bekräftigt, dass der Prozess vor einem niederländischen Gericht stattfinden soll – höchstwahrscheinlich in Den Haag.

Wo sollen die Urteile vollstreckt werden? Das Abkommen zwischen den Niederlanden und der Ukraine sieht vor, dass das Gericht während des MH17-Prozesses bei den Verhandlungen auch Videoschalten nutzen darf. Sollten die vom niederländischen Gericht verurteilten Personen nicht an die Niederlande ausgeliefert werden, dann können dem Abkommen zufolge die Urteile auch auf dem Territorium der Ukraine vollstreckt werden. Sollte sich also eine verurteilte Person in der Ukraine aufhalten, kann sie sofort in Haft genommen werden.