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Russlands Geheimdienste erzählen dem Kreml Lügen, die ihm bequem sind

Mark Galeotti ist Experte des European Council on Foreign Relations und forscht zu Russlands Geheimdiensten. Journalisten von “Hromadske-TV” haben Mark Galeotti über die russischen Geheimdienste, ihre Tätigkeit in den postsowjetischen Ländern und im übrigen Europa befragt. Das UCMC veröffentlicht Auszüge aus dem Gespräch.

Vor kurzem haben Sie eine Studie zu den russischen Geheimdiensten veröffentlicht. Welche Rolle spielten sie bei den Ereignissen in der Ukraine in den letzten zwei Jahren? Was sind die Stärken der russischen Geheimdienste?

Die Rolle der russischen Geheimdienste bei den Ereignissen in der Ukraine war vielschichtig. Zum einen haben sie zum Beispiel maßgeblich Moskaus Streitkräfte bei der Eroberung der Krim unterstützt. Aber auch im Donbass haben sie eine wichtige Rolle gespielt. Zum anderen wurden große Anstrengungen unternommen, um in die ukrainische Regierung einzudringen, um im Vorhinein Kenntnis über sämtliche Pläne der ukrainischen Seite zu erlangen. Es ist wichtig, das Ausmaß der Tätigkeit dieser Geheimdienste, ihre Aggressivität und die Intensität ihrer Kampagnen zu verstehen. Das betrifft bei Weitem nicht nur die Ukraine, sondern auch viele Länder Westeuropas. Dabei geht es nicht nur darum, Informationen zu sammeln und Spionage zu betreiben. Es handelt sich auch um Aktivitäten der russischen Geheimdienste mit dem Ziel der Einflussnahme und Destabilisierung.

Was aber zugleich verwundert, ist das Ausmaß der Unordnung der russischen Geheimdienste. Sie sind so stark zerstückelt, dass es ihren verschiedenen Ablegern schwer fällt, untereinander zusammenzuarbeiten. Sie alle versuchen nach Kräften, die Aufmerksamkeit des Kreml auf sich zu ziehen. Genau aus diesem Grund berichten sie dem Kreml meist das, was man dort hören möchte. Das eigentliche Problem besteht nicht darin, dass der Kreml keine Informationen und Ratschläge von den Geheimdiensten bekommt, sondern darin, dass sie schlechter Qualität sind. Das ist mehr als beunruhigend, denn das bedeutet, dass das Vorgehen des Kreml unberechenbar sein kann.

Meist erzählen die Geheimdienste dem Kreml Lügen, die ihm bequem sind. Beispielsweise behaupten sie, die Ukraine sei sehr schwach und werde schon bald einen russischen Sieg anerkennen. Oder sie berichten der höchsten russischen Führung, die westlichen Staaten würden die Sanktionen gegen Russland nicht verlängern. So beruhigen sie den Kreml mit Behauptungen, dass alles gut wird. Es ist klar, dass dies den Kreml ermuntert, seine Kampagne zur Destabilisierung der Ukraine fortzusetzen, anstatt sich ein Bild von den Verlusten zu machen und sich zurückzuziehen.

Sind gerade dies die Schwachstellen der russischen Geheimdienste?

Ja. Meiner Meinung nach haben diese Schwachstellen aber nichts mit dem technischen Entwicklungsstand zu tun. Allgemein handelt es sich um schlaue, gut ausgebildete Leute, die über gewaltige Ressourcen verfügen. Weltweit sind sehr viele russische Spione im Einsatz. Die eigentlichen Schwachstellen befinden sich auf der Führungsebene dieses Systems, bei den Aufgaben, die gestellt werden. So ist der Kreml nicht in der Lage, demokratische Politiker zu verstehen. Moskau wird immer wieder befehlen, sich auf bestimmte Aspekte zu konzentrieren, die unwichtig sind. Zum Beispiel gibt es Spione in den USA, die unter einer seriösen Deckung arbeiten. Sie versuchen herauszufinden, was in den US-Denkfabriken vor sich geht. Aber die Denkfabriken haben keine geheimen Betätigungsfelder. Russland versteht das nicht. Der Kreml sieht ringsum nur Verschwörungen.

Das ist die Schwäche Nummer Eins. Die zweite Schwäche ist die Politisierung der Geheimdienste. Egal wie gut die Spione oder Analytiker sind, bei der Übergabe der Informationen werden nicht die wahren Erkenntnisse weitergegeben, sondern das, was die Führung hören möchte, das, was für sie angenehm ist und ihren Erwartungen entspricht. Diesbezüglich ist die Spionagearbeit sehr ineffektiv. Das ist das größte Problem. Es geht nicht darum, dass die Aufklärung nicht an notwendigen Informationen kommt. Sie überbringt dem Kreml einfach keine schlechten Nachrichten.

Was ist der Unterschied zwischen dem Vorgehen der russischen Geheimdienste in Westeuropa, in Osteuropa und in den postsowjetischen Ländern?

Es gibt große Unterschiede. Russland betrachtet, mit Ausnahme der baltischen Länder, sämtliche postsowjetischen Staaten als seine Einflusssphäre und erlaubt sich, dort recht aggressiv vorzugehen. Aber in diesen Ländern regieren vorwiegend Machthaber, die Russland gegenüber freundlich eingestellt sind. Zum Beispiel sind in Zentralasien die russischen Geheimdienste größtenteils damit beschäftigt, die Diktaturen vor Ort zu unterstützen. In Mittel- und Osteuropa, dazu kann man auch die Ukraine zählen, sind die russischen Geheimdienste in erster Linie daran interessiert, eine Tagesordnung durchzusetzen, die russische Interessen berücksichtigt. Dort geht es weniger darum, direkte russische Einflussnahme herzustellen. Das ist an den verschiedenen Kampagnen zur politischen Destabilisierung zu sehen.

Was Westeuropa betrifft, so geht es dort vor allem darum, Informationen zu sammeln und den Westen zu “spalten”. Das heißt nicht, dass ein Einmarsch in Europa geplant wird. Was erreicht werden soll, ist die Überzeugung, dass die Europäische Union und alle ihre Institutionen gespalten und schwach sind und dass man Moskaus Spiel nichts entgegenzusetzen hat! Gerade deswegen werden Bewegungen unterstützt, die den Untergang und die Spaltung der EU sowie den Austritt einzelner Mitgliedsländer wollen. Ziel ist, den Westen mit eigenen inneren Problemen zu beschäftigen, damit er nicht konsolidiert mit einer gemeinsamen Front gegen Russland auftreten kann.

Wenn die Spaltung Europas das Ziel ist, welche Länder sind dann von den russischen Geheimdiensten am meisten gefährdet?

Die russischen Geheimdienste können in die Arbeit von Politikern und Diplomaten eingreifen. Wir sehen eine beängstigende Zunahme von Aktivitäten der Jobbik-Partei in Ungarn. Dieses Land beunruhigt mich am meisten. Tschechien hat jetzt einen Präsidenten, der einige russische Positionen ganz offen unterstützt. Was die skandinavischen Länder betrifft, so versucht Russland nach Kräften einen Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands zu verhindern.

Das Wichtigste ist, dass Russland jede politische Schwäche ausnutzten wird. In Moskau war man zum Beispiel über die Aussicht, Schottland könnte aus dem Vereinigten Königreich austreten, sehr erfreut. Ebenso hofft man auf einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Ferner erfreut sich in Frankreich die ultrarechte Partei Front Nationale von Marie Le Pen zunehmender Beliebtheit. In all dem sieht Russland für sich Möglichkeiten. Sobald die russischen Geheimdienste eine gewisse Spaltung und Verwundbarkeit des Westens erkennen, werden sie dies zu jeder Zeit und unter jeglichen Bedingungen ausnutzen.

Tetjana Oharkowa, “Hromadske International”