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Erfolge und Rückschläge im ukrainischen IT-Bereich 2016

Das Ukraine Crisis Media Center veröffentlicht eine Übersetzung des Artikels von Ewropejska Prawda mit unbedeutenden Kürzungen und Änderungen.

Der ukrainischen IT-Branche werden 2,7 Milliarden US-Dollar, bzw. 3,3 Prozent des ukrainischen BIPs, mit 91.000 Programmierern zugeschrieben.

Experten des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PricewaterhouseCoopers schätzen für 2020, dass Exporte der IT-Branche 27,2 Milliarden Hryvna dem Staatshaushalt einbringen.

Welche Erfolge und Rückschläge zeigte das Land 2016 auf dem Weg zu diesem ambitionierten Ziel?

Rückschlag 1 – Durchsuchungen

Die IT-Branche der Ukraine leidet unter Durchsuchungen, Bestellungen bei Konkurrenten und Erpressungen, sowie dem Aufzwingen eines ” Kryscha” im Stile der 1990er Jahre [wörtlich übersetzt – “Dach”, was in der postsowjetischen Welt eine Person oder eine Organisation bedeutet, die einem Unternehmen gegen Geld Schutz gewährt]. Darüber sprechen Unternehmen und Juristen aus der IT-Branche.

Der ukrainische Geheimdienst SBU, Staatsanwälte, das Innenministerium und die Steuerinspektion “überfallen” mittlere und große Unternehmen unter dem Vorwand, Terrorismus und Separatismus zu bekämpfen. In den vergangenen eineinhalb Jahren erlebten IT-Unternehmen über 50 Durchsuchungen, wobei allerdings keine Strafsache vor Gericht eingeleitet wurde. Die Beamten wurden auch nicht strafrechtlich für die Überschreitung ihrer Vollmachten verfolgt.

Während der Durchsuchungen verhalten sich die Behördenvertreter frech, halten sich nicht an Vorschriften der Strafprozessordnung und verbieten, Videos über ihre Aktionen aufzunehmen. Sie beschlagnahmen Videoüberwachungsanlagen, Geld, Wertgegenstände und Server.

Der dadurch direkt verursachte jährliche Verlust der Branche beträgt 10-20 Millionen US-Dollar. Die Folgeschäden können im Land bis zu 100 Millionen US-Dollar durch Nichtinvestitionen erreichen. Die Durchsuchungen befördern die Schattenwirtschaft in der Branche, die Abwanderung von Spezialisten ins Ausland und einen Wechsel der Steuerresidenz von ukrainischen IT-Unternehmen.

Erfolg 1 – Agrartechnologie

Innovative Unternehmer und die meisten Risikokapitalgeber interessieren sich am stärksten für den Landwirtschaftsbereich. Es ist der einzige Sektor auf dem Binnenmarkt, wo Geld hinfließt und Innovationen gefragt sind. 2015 exportierte die Ukraine Nahrungsmittel und Landwirtschaftsprodukte für 14,5 Milliarden US-Dollar. Dies ist um ein vielfaches mehr, als durch den Export von Produkten aus der Metallurgie eingenommen wurde.

Ein leuchtendes Beispiel für ein innovatives Projekt war die Symbiose mit der Landwirtschaftbranche durch Drone.ua. Das Unternehmen wurde 2013 gegründet und ist heute weltweit bekannt. Die Tätigkeit besteht in der Datenerfassung von Aussaaten durch Drohnen und deren Interpretation.

Das Potential der Agrartechnologie ist riesig, da der Anteil der Landwirtschaft an der ukrainischen Wirtschaft sehr hoch ist.

Rückschlag 2 – Abwanderung von Startups

Die allermeisten erfolgreichen ukrainischen Startups verlassen das Land. Im Ausland werden sie durch globale Absatzmärkte, “intelligentes” Geld und bessere Möglichkeiten beim Networking gelockt. Im besten Fall bleibt das Herstellerteam in der Ukraine, aber alle Investitionen und Einnahmen der Unternehmen laufen über juristische Personen im Ausland.

Denis Gurskij, Gründer des Startup-Inkubators “1991”, berichtete, dass Tschechien und Polen viel freigiebiger bei “Startgeld” sind. “Deshalb gehen unsere Startups mit Vergnügen dorthin und haben ein gutes Gefühl dabei, wenn sie die polnische Wirtschaft fördern.”

Estland, Lettland, Litauen, Polen und Kanada haben besondere Programme auf Staatsniveau, um für hunderte Millionen Euro die besten Spezialisten und innovativsten Unternehmer aus der Ukraine anzuwerben. Derzeit verliert die Ukraine den Kampf gegen den Braindrain.

Erfolg 2 – Aufhebung der Registrierung von Ausländischen Investitionen

Fast gewonnen. Im Oktober 2016 übernahm das Parlament den Gesetzentwurf über die Aufhebung der verbindlichen staatlichen Registrierung von ausländischen Investitionen. Die Gesetzgebung vereinfachte ebenfalls die Regelung von Besuchen im Land durch ausländische Investoren.

Die Registrierung von Investitionen ist ein undurchsichtiges bürokratisches Hindernis für den Verkauf von Investorenrechten. Ein ausländischer Investor, der kein Mitarbeiter des Unternehmens ist, hat kein Recht, die Ukraine zu besuchen, um die Tätigkeit seines Unternehmens zu kontrollieren.

Rückschlag 3 – IT-Outsourcing als Rohstoff

Der inländische IT-Sektor, sowie 70 Prozent der Wirtschaft, verkauft Wissen und Zeit der ukrainischen IT-Spezialisten als Rohstoff. Dabei hat ein fertiges IT-Produkt einen höheren Wert.

In der Ukraine fehlen starke Player, die motiviert sind, eigene Produkte zu schaffen, statt das Outsourcing zu entwickeln. Dies spielt starken Weltkonzernen in die Hände. Sie haben Interesse an der Nutzung von billigem “Rohstoff”, um Produkte mit hohem Mehrwert herzustellen, die von den “Rohstofflieferanten” letztlich wieder gekauft werden.

Erfolg 3 – Fond für Fonds

Der Staat äußerte im Namen des stellvertretenden Chefs der Präsidialverwaltung, Dmitro Schymkiw, die Bereitschaft, die Gründung eines “Fonds für Fonds” (FF) zu beauftragen. Dieser ist notwendig, um ukrainische Startups innerhalb des Landes zu finanzieren, damit sie nicht ins Ausland abwandern.

Der FF ist ein Instrument, um große Investitionen zu gewinnen, und ein Verbindungsglied zwischen großen weltweiten Investoren, lokalen Venture-Fonds und Startups. Der Aufsichtsratschef des ukrainischen Verbands für Risikokapital (UCVA), Andrij Kolodjuk, meint, dass der FF 500 Millionen US-Dollar heranziehen kann.

Für die Ukraine ist dieses Instrument der Finanzierungsgewinnung nicht einzigartig. Vergleichbare Projekte gibt es in vielen Staaten: in den USA, in EU-Ländern, in Kanada und China.

Rückschlag 4 – Abwanderung von IT-Spezialisten aus der Ukraine

In den vergangenen zwei Jahren wanderten 9.000 IT-Spezialisten aus der Ukraine ab. Sie gingen in die USA und in die EU. Die Spezialisten verließen das Land aus Karrieregründen und besseren Lebensbedingungen. Dabei verlassen IT-Spezialisten mit sieben oder mehr Berufsjahren scharenweise das Land, die den größten Umsatz von Outsourcing-Unternehmen erwirtschafteten.

Erfolg 4 – Vereinfachung des IT-Dienstleistungsexports

Im November 2016 übernahm das Parlament ein Gesetz zur Aufhebung des verbindlichen Abschlusses eines schriftlichen Außenwirtschaftsvertrags. Heute kann man einen Vertrag in elektronischer Form abschließen, faktisch sogar per Email.

Das Gesetz vereinfacht die Bedingungen zur Zusammenarbeit mit ausländischen Kunden im Bereich des Dienstleistungsexports bedeutend. Es verringert auch die Anzahl der Verfahren bedeutend, durch die der Staatliche Fiskaldienst die Steuern nachberechnet.

Rückschlag 5 – Kein PayPal in der Ukraine

Das globale Internetbezahlsystem PayPal plant für das nächste Jahr nicht, seine Dienstleistungen auf die Ukraine auszuweiten. “Seitens von PayPal gibt es kein Interesse an der Ukraine”, erklärte der Abteilungsdirektor für Zahlungssysteme und innovative Entwicklungen bei der Ukrainischen Nationalbank (NBU), Sergij Schazkij. Die NBU nahm in Bezug auf PayPal eine stark abwartende Stellung ein.

Obwohl die ukrainische IT-Branche mehrere alternative Zahlungssysteme erfolgreich nutzt, bleibt PayPal bisher ein fast alternativloses Zahlungsinstrument beim grenzübergreifenden elektronischen Handel. Die Führung von PayPal nannte Barrieren für den Export von Dienstleistungen und Produkten. Diese Situation bremst die Entwicklung des ukrainischen grenzüberschreitenden e-Commerce und von kleinen e-Unternehmen. Dadurch verliert in erster Linie der Staat.

Erfolg 5 – Telekom-Cluster

Die in der Ukraine tätigen Mobilfunkbetreiber wollen ein Ökosystem für Telekom-Startups gründen. Im April 2016 startete WDNH-Tech zusammen mit dem Unternehmen “Kyivstar” einen Accelerator für IT-Projekte im Bereich der Telekommunikation und Nachrichtenübermittlung. Im Oktober suchte der Betreiber drei Projekte zur Förderung eines kommerziellen Starts aus: Gravitec, inCust und Virbox.

Außerdem eröffnete “Kyivstar”, Vodafone und das Outsourcingunternehmen EPAM mit Hilfe des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung und Handel ein Hi-Tech Office. Dies ist zur Unterstützung von ukrainischen Startups und innovativen Projekten mit kommerziellem Potential bestimmt. Das Office gewährt eine Finanzierung, sowie Inkubations- und Accelerator-Programme.

Autor: Wsewolod Nekrasow