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Aufstieg und Fall im Osten der Ukraine

Aleksandr Nykonorow, Volodymyr Jermolenko

Der Anführer der selbsternannten “Donezker Volksrepublik”, Alexandr Sacharchenko (rechts), und sein Luhansker Kollege Igor Plotnizkij während einer Pressekonferenz in Donezk am 8. Juli 2015. REUTERS / Igor Tkatschenko

Die “Donezker Volksrepublik” (“DVR”) und “Luhansker Volksrepublik” (“LVR”) sind selbsternannte Gebilde, die mit starker Unterstützung Russlands im Frühjahr 2014 im Osten der Ukraine geschaffen wurden. Versuche der Ukraine, diese Gebiete im Frühjahr und Sommer des Jahres 2014 wieder in den ukrainischen Staat einzugliedern, wurden mit einer groß angelegten Invasion russischer Truppen im August desselben Jahres verhindert. Dies führte zur Einrichtung einer mehr oder weniger festen Trennlinie zwischen den von der Ukraine kontrollierten Gebieten und den von prorussischen Separatisten gemäß den Minsker Vereinbarungen kontrollierten Gebieten. Seitdem haben die sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” eigene politische Institutionen und eine von russischen Lieferungen abhängige Währung und Wirtschaft.

Basierend auf einer kontinuierlichen Beobachtung offen zugänglicher Quellen sind einige der wichtigsten Entwicklungen in den abtrünnigen Gebieten im vergangenen Jahr analysiert worden.

Nach und nach sterben ehemalige Anführer

Eine der wichtigsten Entwicklungen 2016-2017 ist, dass nach und nach ehemalige Anführer oder entscheidende Figuren der “Donezker Volksrepublik” und “Luhansker Volksrepublik” ihr Leben verloren. Einige kamen bei Anschlägen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten ums Leben, andere unter mysteriösen Umständen in Russland.

Michail Tolstych (“Givi”), einer der wichtigsten Anführer der “DVR”-Rebellen wurde am 8. Februar 2017 in seinem Büro nahe Donezk getötet. Sein enger Freund Arsenij Pawlow (“Motorola”) wurde in Donezk in der Nähe seiner Wohnung im Oktober 2016 getötet. Oleg Anaschtschenko, Polizeichef der “LVR”, starb durch eine Autobombe am 4. Februar 2017. Walerij Bolotow, der erste Anführer der “LVR”, starb am 27. Januar 2017 in Moskau. Angeblich wurde er vergiftet. Im September 2016 wurde Oleg Schylin, ehemaliger Anführer der Gruppierung “Oplot”, in der Nähe von Moskau ermordet.

Die Separatisten machen die Ukraine für all diese Morde verantwortlich. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die ukrainischen Streitkräfte in dem nicht von ihnen kontrollierten Gebiet eine Operation durchführen und dann alle Spuren verwischen konnten. Diese Morde sind wahrscheinlich die Folge von Bemühungen der Anführer der “DVR” und “LVR” – und wahrscheinlich ihrer russischen Aufseher – die Anführer und Truppenkommandeure zu beseitigen, die am wenigsten kontrollierbar und unzuverlässig waren. Die Beseitigung dieser Störenfriede sollte den Weg frei machen, Personen aus dem Umfeld der ehemaligen Führung der Partei der Regionen oder des Kremls selbst auf Schlüsselpositionen zu platzieren.

Die Entwicklung in der sogenannten “Donezker Volksrepublik”

Im Jahr 2016 versuchte das von Alexandr Sachartschenko angeführte autoritäre Regime seine Macht in der “DVR” zu festigen. Sachartschenkos Gegner wurden allmählich von der politischen Bühne verdrängt. Dies sind jene Personen und politischen Kräfte:

  1. Alexandr Chodakowskij, Feldkommandeur separatistischer Bataillone und Gründer des Bataillons “Wostok”. Im September 2016 kehrte er von der Krim nach Donezk zurück und verstärkte seine oppositionelle Betätigung. Die Folge war, dass Sachartschenkos Anhänger ihm nicht erlaubt haben, Teil der politischen Führung der “DVR” zu werden. Er wurde vom Posten des Sekretärs des “Sicherheitsrates der DVR” entlassen. Seine Anhänger im “Volksrat”, dem “Parlament der DVR” wurden zum Rücktritt gezwungen.

    2. Andrij Purgin, Gründer der Separatisten-Organisation “Republik Donezk”. Das von ihm geleitete und vom führenden russischen Politiker Wjatscheslaw Wolodin unterstützte separatistische Projekt “Südrussland” hatte zum Ziel, einzelne radikale Separatisten-Gruppierungen zu konsolidieren. Aber vor kurzem wurde Purgin vom politischen Prozess ausgeschlossen. Die Medien der “DVR” erwähnen ihn fast gar nicht mehr.

    3. Die Kommunisten, angeführt von Boris Litwinow, ehemaliger Leiter des Parlaments der sogenannten “DVR”, wurden von Sachartschenkos Regime völlig an den Rand gedrängt. Trotz der teilweisen Rückkehr der selbsternannten “Volksrepublik” zu sowjetischen Idealen und zur alten kommunistischen Rhetorik, wurden die Kommunisten selbst marginalisiert.

    4. Die Unterstützer des politischen Projekts “Noworossija” (Neurussland), das zum Ziel hatte, die prorussischen Gebiete auf den ganzen Osten und Süden der Ukraine auszuweiten, haben im Jahr 2016 stark an Einfluss verloren. Manch einer wurde eingesperrt, andere mussten fliehen. Der politische Flügel der Gruppe, vertreten durch das Umfeld von Pawel Gubarjew, kann die Politik der “DVR” nicht mehr beeinflussen. Diese Gruppe wird selten in den Medien erwähnt.

Heute kann man die Sachartschenko-Gruppe in mehrere Untergruppen unterteilen. Sie werden von mehreren wichtigen Spielern gesteuert:

1. Aleksandr Timofejew und Kostjantin Kuleschow koordinieren die Arbeit des “Ministeriums für Einnahmen und Gebühren der DVR”. Es befasst sich mit einer sogenannten Steuerpolitik, aber vor allem mit der Besetzung von Märkten, mit Erpressung und Schmuggel. Aleksandr Timofejew ist “Minister für Einnahmen und Gebühren”. Er soll Wladislaw Surkow nahe stehen, dem Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Timofejew ist ein wichtiger Koordinator der separatistischen Republiken innerhalb der russischen Regierung.

2. Sergej Sawdowjejew ist Kommandeur der Gruppe, die das Bataillon “Legion” koordiniert, die gedeckt vom “Volksrat” gewaltsam Märkte besetzt. Sawdowjejew leitet zudem die Separatisten-Organisation “Donbass Oplot” (Bollwerk Donbass). Sachartschenko nutzt Sawdowjejew aus, um Timofejew entgegenzuwirken.

3. Die militärischen Organisationen, die Organe für Sicherheit und Aufklärung, bekannt als “Silowiki”, sind durch Arsen Pawlow, Michail Tolstych, Ivan Kondratow und Andrej Borisow vertreten. Die “Silowiki” haben viel an Einfluss verloren, nachdem Pawlow und Tolstych bei Anschlägen ums Leben gekommen waren. Kondratow verließ den Posten des Chefs der “Republikanischen Garde”, einer bewaffneten Formation der “DVR”. Derzeit ist dieser Flügel von Sachartschenkos Kräften durch ein paar Bataillone vertreten.

Die wichtigsten Clans in der Sachartschenko-Gruppe kämpfen ständig um die Kontrolle über verschiedene Lebensbereiche der “DVR”. Gerade aus diesem Grund baut Sachartschenko den “Donbass Oplot” aus, eine Organisation, die von Sawdowjejew geleitet wird. Wahrscheinlich wird sie folgende Personen einschließen:

  1. Denis Puschilin ist der Leiter des “Volksrates”, des Parlaments der sogenannten “Donezker Volksrepublik”. Diese Gruppe ist wichtig und versucht ständig, ihren Einfluss zu erhöhen. Lokale Quellen berichten regelmäßig über Spannungen zwischen Puschilin und Sachartschenko, dem “Regierungschef” und “Staatsoberhaupt” der “DVR”. Dabei geht es vor allem um die Minsker Vereinbarungen und die künftige Entwicklung der “DVR”. Diese Spannungen könnten Puschilins Position gefährden.
  2. Im Jahr 2016 sind außerdem neue Einfluss-Zentren innerhalb der Führung der “DVR” entstanden. Dazu zählen: Dmitrij Trapesnikow, stellvertretender Ministerpräsident der “DVR”; Alexej Granowskij, Minister für Industrie und Handel; Maksim Leschtschenko, Leiter der Administration der “DVR”. Derzeit wird Leschtschenkos Position schwächer, während Trapesnikows und Granowskijs Positionen stärker werden. Granowskij konnte eine Unterstützung durch russische Geldgeber auftun, was ihm ermöglicht hat, ein neues Einfluss-Zentrum zu schaffen. Seitdem wird er oft als möglicher Ersatz für Sachartschenko gehandelt, aber er ist nicht der einzige.

Die Entwicklung in der sogenannten “Luhansker Volksrepublik”

Im Gegensatz zur “DVR” wurde im Jahr 2015 in der selbsternannten “Luhansker Volksrepublik” eine starke Machtvertikale geschaffen. Dies geschah unmittelbar nach der Beseitigung der wichtigsten unabhängigen Feldkommandeure, die das Projekt “Neurussland” unterstützt hatten. Daher gibt es in der “LVR” lediglich einige wichtige politische Figuren:

  1. Während des ganzen Jahres 2016 kritisierte der Anführer der abtrünnigen “LVR”, Igor Plotnizkij, Oppositionsgruppen. Er sagte nach dem Attentat auf ihn im August 2016, es habe gegen ihn einen Aufstand und eine Verschwörung gegeben. Dies nutzte er aus, um gegen seine Gegner vorzugehen. Als Folge wurde Gennadij Zypkalow in Untersuchungshaft in einer Einzelzelle der “Generalstaatsanwalt der LVR” getötet. Aleksej Karjakin floh nach Russland. Viele andere Personen, die Zypkalow und Karjakin nahe standen, wurden verhaftet oder umgebracht.
  2. Nach seiner Ankunft in Russland setzte Karjakin seine politische Arbeit im Zusammenhang mit der “LVR” fort. Mehrmals wurde berichtet, er habe Verbindungen zu Walerij Bolotow, dem ehemaligen Anführer der “LVR”. Bolotow gründete eine neue Bewegung “Jedinjenije” (Einheit), die das Projekt “Neurussland” wieder beleben will. Die Bewegung unterstützt Separatismus im Osten der Ukraine und versucht, Plotnizkijs Politik zu diskreditieren. Bolotow starb unter mysteriösen Umständen Ende Januar in Moskau.
  3. Leonid Pasjetschnik und Wladimir Pajo haben erheblichen Einfluss. Ihre Gruppe koordiniert das “Ministerium für Staatssicherheit der LVR”. Geleitet wird es von Pasjetschnik. Pajo ist der offizielle Leiter der Spionageabwehr. Er überwacht im Auftrag des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation (FSB) die Aktivitäten der Separatisten. Beide stehen mit der Plotnizkij-Gruppe offen in Konkurrenz. Zusammenstöße zwischen ihnen sollen dazu dienen, die Kontrolle über den Schmuggel mit Kohle und Drogen, aber auch mit Waffen zu übernehmen. Es gibt Gerüchte, wonach sich ein Coup wegen der Rivalität zwischen den beiden zusammenbraut.
  4. Unterdessen haben im Jahr 2015 die oppositionelle Bewegungen, darunter auch die “Kommunistische Partei der LVR”, an Einfluss verloren.

Im vergangenen Jahr verschärfte sich der Konflikt zwischen Sachartschenko (“DVR”) und Plotnizkij (“LVR”). Hervorgerufen wurde er durch einen möglichen Zusammenschluss der beiden “Republiken” zu einem einzigen quasi-Staat. Aufgrund dieses Konflikts verschärfte Anfang 2017 Plotnizkij die Zollkontrollen an der Grenze zur “DVR” und schränkte den Warenfluss aus der “DVR” in die “LVR” ein.

Verschiedene Gruppen konkurrieren um die Macht in den abtrünnigen Republiken im Osten der Ukraine, und dieser Machtkampf ist höchst undemokratisch. In ihm werden Gegner nach und nach an den Rand gedrängt oder getötet.

Oleksandr Nykonorow ist Journalist von Depo.ua. Er ist Binnenflüchtling aus Luhansk und lebt heute in Kiew. Er hat den Separatismus in der Ukraine über viele Jahre untersucht. Volodymyr Jermolenko ist Experte von Internews Ukraine und Koordinator bei UkraineWorld Group.