Auf dem Gebiet der Ukraine leben 19 Nationalitäten. Laut der letzten Volkszählung von 2001 waren 78 Prozent der ukrainischen Bürger ethnische Ukrainer. Die größte ethnische Minderheit bildeten mit 17 Prozent der Bevölkerung Russen. Die restlichen fünf Prozent sind andere Minderheiten, unter denen sich Ungarn mit 156.000 oder 0,3 Prozent der Gesamtlandesbevölkerung befinden. Nachdem die ungarische Regierung auf die Annahme des neuen ukrainischen Bildungsgesetzes heftig reagierte, erfuhr die ganze Welt davon, dass in der Ukraine auch Ungarn leben. Das Ukraine Crisis Media Center entschied, darüber aufzuklären, wie Ungarn in der Ukraine leben und ob es wirklich einen ungarischen Separatismus im Land gibt.
Demographie
Ungarn leben bereits seit dem 9. Jahrhundert auf dem Gebiet der Ukraine. Die meisten davon in Transkarpatien, das an Ungarn grenzt. Dort bilden sie 12 Prozent der transkarpatischen Bevölkerung. In der Ukraine ist Berehowe die „ungarische Hauptstadt“, wo fast die Hälfte der Bewohner ungarischer Herkunft ist. Im Verwaltungsbezirk von Berehowe sind drei Viertel der Bevölkerung Ungarn. Ein weiterer Bezirk mit vielen Ungarn ist der von Uschhorod mit 33 Prozent. In anderen Bezirken von Transkarpatien leben viel weniger Ungarn, und weitere 5.000 Ungarn sind ungleichmäßig über die gesamte Ukraine verteilt.
Was die Sprachenfrage betrifft, sehen fast 13 Prozent der Einwohner von Transkarpatien Ungarisch als ihre Muttersprache. Von 95 Prozent der Ungarn in der Ukraine ist Ungarisch ihre Muttersprache. Die Hälfte der Ungarn in der Ukraine gibt an, dass sie fließend Ukrainisch beherrschen, und ein Drittel gibt an, dass sie fließend Russisch beherrschen.
Erhalt der ungarischen Kultur in der Ukraine
Die Ungarn in der Ukraine entwickeln ihre Ausbildungsinfrastruktur sehr aktiv. Heute beinhaltet sie eine vollständige Vertikale von Vorschulinstitutionen bis zu Hochschulen. Mit Stand vom Lehrjahr 2008/2009 gab es in der Ukraine 99 Einrichtungen mit Ungarisch als Lehrsprache. An vier Hochschulen in Transkarpatien gibt es Gruppen mit ungarischer Unterrichtssprache. In Berehowe existiert das ungarische pädagogische Institut namens Ferenz II. Es gibt zwei ungarische ethnisch-politisch Parteien und über 20 verschiedene Gesellschaftsorganisationen. Zudem existieren ungarische Zeitungen und Zeitschriften: 88 Periodika sind registriert, die teilweise mit Mitteln aus dem Lokalbudget finanziert werden. Außerdem werden von Ungarn viele Bücher herausgegeben und es gibt das Berufstheater namens G. Illyés. Im staatlichen Radio und Fernsehen der Region von Transkarpatien gibt es eine ungarische Redaktion, wobei auch Sendungen in Ungarisch gesendet werden.
Wohin führt die ungarische Unterstützung der Ungarn in der Ukraine?
Es existieren Programme der ungarischen Regierung zur Finanzierung ungarischer Ausbildungsinstitutionen und ungarischer Ärzte in Transkarpatien. Dadurch soll die sprachliche und kulturelle Bindung der Ungarn in der Ukraine zu ihrer ethnischen Heimat unterstützt und entwickelt werden. Aber das ist nicht das Einzige, was Ungarn tut. Laut Angaben des ungarischen Staatssekretärs Árpád János Potápi vom Februar 2015 erhielten 95.000 Einwohner von Transkarpatien die ungarische Staatsangehörigkeit, was die Arbeitsgenehmigung für ukrainische Ungarn in den EU-Staaten erleichterte. Außerdem ist die ungarische Staatsbürgerschaft Voraussetzung, um eine ungarische Rente zu erhalten.
Nach Angaben von Elmir Kewsegi, dem Redakteur der ungarischsprachigen Zeitung „Karpati Igaz Szo“, leben zirka ein Drittel der Ungarn aus Transkarpatien heute im Ausland. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine siedelten über 10.000 ethnische Ungarn nach Ungarn um. Der Vorsitzende des ungarischen politischen Lebens in Transkarpatien, der Parlamentsabgeordnete Wassily Brenzowitsch, erklärte, dass sich die ungarische Minderheit durch die Arbeitsmigration in dem Gebiet „am Rand einer echten Katastrophe“ befindet.
Ungefähr 10.000 Rentner in Transkarpatien erhalten eine ungarische Rente. Laut einem Interregierungsabkommen müssen sie eine Staatsangehörigkeit aufgeben, um nicht zwei Renten gleichzeitig zu erhalten. Und selbst wenn die meisten von ihnen weiter in Transkarpatien leben wollen, verliert die Ukraine dadurch weitere 10.000 Einwohner, die bereits jetzt nicht berechtigt sind, an Wahlen teilzunehmen.
Die ungarische Minderheit nimmt in der Ukraine auch deshalb ab, weil die Jugend nach der Schule abwandert, um im Ausland Arbeit zu finden. Wegen der fehlenden wirtschaftlichen Bindungen mit der Ukraine verlieren die Jugendlichen auch ihre kulturelle Wurzeln. In der Ukraine gibt es keine qualitativen Lehrbücher, nach denen man ungarische Kinder in Ukrainisch lehren kann und im Alltag sprechen sie kein Ukrainisch. Die meisten Jugendlichen in den Dörfern mit einer ungarischen Bevölkerungsmehrheit können kein Ukrainisch auf ausreichend hohem Niveau, um damit eine Schulprüfung zu bestehen.
Gibt es faktisch einen ungarischen Separatismus?
Gábor Vona, Vorsitzender der rechtsgerichteten ungarischen Partei „Jobbik“, meint, dass ein Grundziel der Partei sei, in Transkarpatien eine ungarisch-russinische Autonomie zu schaffen. Die Russinen von Transkarpatien sehen sich als eigene Nation, haben allerdings keinen Status als nationale Minderheit. „Jobbik“ bekommt dadurch noch mehr Gewicht, indem sie eine weitere Partei für ihre Bewegung gewinnt. „Jobbik“ behauptet, dass sie zusammen mit den Russinen und den Ungarn in Transkarpatien über die Hälfte der Einwohner der Region repräsentieren. Allerdings sind laut der Volkszählung von 2001 in Transkarpatien 80,5 Prozent Ukrainer, 12 Prozent Ungarn, 2,5 Prozent Rumänen, 2,4 Prozent Russen, 1,1 Zigeuner, 0,4 Prozent Slowaken, und vereinzelt noch Deutsche, Weißrussen, Juden und Polen. Zirka 10.000 Personen sahen sich als Russinen, was weniger als ein Prozent der Einwohner in Transkarpatien sind.
Ildiko Molnar, ein Mitarbeiter des ungarischen Regionalfernsehens, versichert: „In Transkarpatien wird es ruhig bleiben. Es sind besondere Menschen und es ist ein besonderer Teil der Ukraine. Hier leben seit tausenden von Jahren verschiedenen Nationalitäten. Es gibt keinen Bedarf nach einer Autonomie. Vielleicht denken manche über eine Autonomie nach, aber es ist keine allgemeine Tendenz. Ich kann nicht sehen, dass es jetzt in Transkarpatien einen großen Aufstand geben soll. Wir sind ein ruhiges und friedliebendes Volk. Wir sind aneinander gewöhnt.“
Separatistische Aktionen, die in Ungarn als Antwort auf die neue ukrainische Bildungsgesetzgebung Anfang Oktober 2017 stattfanden, sowie die heftigen Erklärungen der ungarischen Regierung, fanden unter den Ungarn in der Ukraine keinen Wiederhall. „Ukrainer und Ungarn können ruhig schlafen. Die meisten Ungarn, die in der Ukraine leben, wollen, dass Transkarpatien ukrainisch bleibt“, meint Tibor Tompa, stellvertretender Vorsitzende der Kiewer ungarischen Gesellschaft.
Zusammenfassung
Derzeit haben die Ungarn in Transkarpatien alle Möglichkeiten, ihre Kultur zu entwickeln und keinerlei Probleme, ihre Sprache zu lernen. Es gibt auch keine aktive und allgemeine Bewegung für eine Autonomie der Region oder für einen Beitritt an Ungarn. Allerdings existieren Probleme bei der Integration in die ukrainische Gesellschaft, und deren Folgen sind, dass viele in Nachbarländer auswandern. Der ukrainische Staat sollte den Ungarn nicht nur bei der Entwicklung ihrer ethnischen Kultur die gleichen Chancen geben, sondern auch bei der Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte, Pflichten und Freiheiten in der Ukraine. Zumindest sollte die Ukraine den Ungarn die Möglichkeit einräumen, Ukrainisch zu lernen.