Zwischen dem 18. und 20. Februar 2014 starben im Zentrum von Kiew mehr als 100 Menschen, mehrere Dutzend verschwanden spurlos und mehr als 1000 wurden verletzt. Das war die tragischste Etappe der Revolution der Würde.
Gedenkveranstaltungen. Vier Jahre später fand am Morgen des 18. Februar in Kiew auf der Straße der Helden der Himmlischen Hundertschaft ein Gottesdienst für die Opfer während der Revolution der Würde statt, an dem über 100 Menschen teilnahmen. Im Kulturzentrum Mystetskyi Arsenal wurde im Beisein des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und seiner Gattin Maryna eine Ausstellung eröffnet, die den Teilnehmern der Revolution der Würde gewidmet ist.
Ermittlungen. Alle Verbrechen, die während der Ereignisse begangen wurden, sind zu einem großen “Fall Maidan” zusammengefasst worden. Er beinhaltet 89 Strafverfahren. Unter anderem wird wegen der Ermordung von 91 Menschen (78 Demonstranten und 13 Polizisten) ermittelt. Jewhenija Sakrewska ist die Anwältin der Angehörigen der Helden der Himmlischen Hundertschaft, wie die Opfer unter den Maidan-Aktivisten genannt werden. In einem Interview zum Stand der Ermittlungen sagte sie, dass die meisten Fälle bereits Gerichten vorlägen. Doch sie seien steckengeblieben in der Etappe, wo geprüft werden solle, ob die Anklageschriften dem Gesetz entsprechen würden. “Laut Regeln muss diese Überprüfung innerhalb von 15 Tagen angesetzt werden, doch in Wirklichkeit kann dies auch Jahre dauern”, so die Anwältin.
Verzögerung der Verfahren. Sakrewska sagte weiter, Richter würden sich ungern dieser schwierigen Fälle mit vielen Beteiligten annehmen. “Das nutzen die Anwälte der Angeklagten aus und reichen alles ein, was eingereicht werden kann. Dann fordern sie, die Anklageschrift zurückzuziehen, den Fall zu schließen und die Zuständigkeit zu ändern. Sie wenden bei den Verfahren alle möglichen Tricks an. Oft ist es für Richter leichter, sich überhaupt keine Gedanken zu machen und die Anklageschrift einfach an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben. Und so dreht sich alles im Kreis”, erläuterte die Anwältin.
Veränderungen im Justizwesen. Ein anderes Problem in diesem Zusammenhang ist die Reduzierung von Richtern. An einigen Gerichten sei die Anzahl der Richter halbiert, manchmal sogar noch mehr reduziert worden, so Sakrewska. Sie betonte: “Das Mandat vieler Richter ist abgelaufen und nicht verlängert worden, vielleicht in Erwartung einer Justizreform. Außerdem gab es einen Erlass über die Abschaffung von Bezirksgerichten, einschließlich solcher, die Maidan-Fälle prüfen. Wenn die Gesetze nicht geändert werden, dann wird man von den neuen Gerichten, die anstelle von Bezirksgerichten eingerichtet werden, alle nicht abgeschlossenen Fälle von neuen Richter erneut prüfen lassen müssen.”
Gibt es bereits Gerichtsurteile? Abgeschlossen ist der Fall von Andrij Jefimin aus Charkiw. Er war Angehöriger der Sondereinheit “Berkut” und hatte den Aktivisten Serhij Didytsch am 18. Februar 2014 mit einem Schlagstock auf den Kopf so geschlagen, dass er unter die Räder eines Lastwagens geriet. Jefimin wurde zu fünf Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Auch ist das Verfahren in erster Instanz gegen Jurij Krysin abgeschlossen, der bezahlte Schlägertrupps, sogenannte “Tituschki”, koordiniert hatte, die am 18. Februar 2014 den Journalisten Wjatscheslaw Weremij getötet hatten. Aber das Urteil ist noch nicht in Kraft getreten, da die Opfer und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt haben.
Wo gibt es Fortschritte? Das Verfahren um die Erschießungen auf der Institutska-Straße am 20. Februar 2014 hat die Hälfte seines Weges vor Gericht bereits bewältigt. Zwei Morde vom 18. Februar 2014 werden relativ intensiv geprüft. Fortschritte gibt es auch in zwei Verfahren im Zusammenhang mit der gewaltsamen Auflösung der Studenten-Demo am 30. November 2013 auf dem Kiewer Maidan. Geprüft wird auch ein Fall von Folter nahe dem Kiewer Dynamo-Stadion. Verdächtigt werden die “Berkut”-Angehörigen aus Charkiw Wladyslaw Mastega, Artem Wojlokow und Andrij Handrykin. Mastega und Wojlokow sind jedoch 2017 nach Russland geflohen.
Wer ist in Gewahrsam? Fünf “Berkut”-Angehörige sind im Zusammenhang mit den Erschießungen auf der Institutska-Straße am 20. Februar 2014 in Haft. Auch der ehemalige Kommandeur einer “Berkut”-Einheit aus Charkiw, Wiktor Schapowalow, sitzt wegen der Ereignisse vom 18. Februar 2014 im Gefängnis. Alexander Schtschegolew, damals Chef des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) in der Stadt Kiew, ist ebenfalls in Haft – im Zusammenhang mit der damals durchgeführten sogenannten Anti-Terror-Operation auf dem Maidan. Hinter Gittern ist auch Oleh Schadrow, der zu den “Tituschki” gehörte. Im wird vorgeworfen, Maidan-Aktivisten am 18. und 19. Februar 2014 überfallen zu haben.
Wie viele Angeklagte sind aus der Ukraine geflohen? Insgesamt haben sich 21 ehemalige “Berkut”-Angehörige, denen vorgeworfen wird, am 20. Februar 2014 auf der Institutska-Straße Menschen erschossen zu haben, nach Russland abgesetzt. Die meisten von ihnen haben die russische Staatsbürgerschaft erhalten, einige arbeiten sogar in den Sicherheitsbehörden des Landes. In Russland befinden sich auch vier ehemalige “Berkut”-Angehörige aus Charkiw, die schon in Gewahrsam waren, aber fliehen konnten. (Der ursprüngliche Artikel wurde von Atlantic Council im UkraineAlert-Blog veröffentlicht)