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Olesja Schukowska: “Der Maidan hat mein Land und Leben verändert”

An ihr Gesicht erinnert sich das ganze Land: Olesja Schukowska gehörte zu den freiwilligen Sanitätern auf dem Maidan. Die damals 21-Jährige wurde am 20. Februar 2014, dem tragischsten Tag der Maidan-Ereignisse, von einem Schuss getroffen. Doch sie überlebte – im Unterschied zu über 50 anderen Aktivisten, die an diesem Tag getötet wurden. Vier Jahre später hat sich das Ukraine Crisis Media Center (UCMC) mit Olesja Schukowska getroffen. In dem Gespräch blickt sie auf jenen Tag zurück. Sie erzählt, wie sich seitdem ihr Leben verändert hat.

“Es gab zwei Maidane: einen guten, friedlichen und einen finsteren, blutigen”

Olesja Schukowska stammt aus Kremenez, einer Stadt in der Region Ternopil im Westen der Ukraine. Am 4. Dezember 2013 fuhr sie erstmals zum Maidan nach Kiew, wo sie in Zelten, im Gewerkschaftshaus und im Gebäude der Stadtverwaltung übernachtete. Sie verteilte Medikamente und kümmerte sich als Sanitäterin um Menschen.

“Ein weiteres Foto wenige Stunden vor dem Schuss”, schrieb Olesja rückblickend am 31. März 2014 auf Facebook.

Olesja fuhr als einzige junge Frau mit 16 jungen Männern in einem Bus zum Maidan. Vorher sei sie nur ein Mal in Kiew gewesen, als Achtklässlerin, sagt Kristina Berdynskych. Sie ist Journalistin und Autorin des Projekts “#maidaners”, das Aktivisten der Revolution der Würde 2013/2014 gewidmet ist. Olesja sei sehr verärgert darüber gewesen, dass am 30. November 2013 Studenten, die auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz – dem Maidan – für die Unterzeichnung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen demonstriert hatten, von Kräften der damaligen Spezialeinheit “Berkut” brutal zusammengeschlagen wurden.

“Das erste Mal kam Olesja für fünf Tage nach Kiew und sprach einfach nur mit Menschen. Insgesamt pendelte sie in der ganzen Zeit mehr als zehn Mal zwischen Kiew und ihrer Heimatstadt. Erst half sie als Freiwillige in der Küche mit und ab dem 31. Dezember gehörte sie zu den freiwilligen Sanitätern. Sie ist ja auch ausgebildete Sanitäterin”, berichtet Kristina Berdynskych. Mehrmals sei sei erkältet gewesen und nach Hause gefahren. “Doch als Olesja wieder gesund war, kehrte sie zum Maidan zurück”, so die Journalistin.

Am 17. November 2014 schrieb Olesja auf Facebook: “Ich habe immer gesagt, dass es für mich zwei Maidane gab: einen guten, friedlichen und einen finsteren, blutigen.” Auf dem Maidan fand Olesja Freunde und Gleichgesinnte. Gerne denkt sie an die “Höllen-Tonne” zurück, ein Zelt, in dem sich die Aktivisten aufwärmen konnten. Dort traf sie auf Menschen aus verschiedenen Regionen des Landes – aus Luhansk, Saporischschja, Poltawa und Ternopil. Am 18. Februar, als die tragischsten Ereignisse der Revolution der Würde begannen, brannte das Zelt nieder.

 

“Heute habe ich dieses Foto von der Sanitätsstelle in der Prorisna-Straße bekommen. Das Foto hat der Arzt Mykola Wlasenko am 19. Februar 2014 gemacht”, so Olesja am 20. Februar 2018 auf Facebook.

“Ich drückte mit einer Hand meine Blutader zu”

Olesja stand am 20. Februar 2014 früh auf. Sie ging zum St. Michaelskloster, um dort Medikamente zu holen. Als sie auf den Maidan zurückkehrte, traf sie auf Freunde. Sie schaute auf die Uhr. Es war 11.37 Uhr. Um 11.40 wurde sie von einem Schuss eines Scharfschützen getroffen.

“Ich habe gar nicht begriffen, was passiert. Der junge Mann, der mir gegenüber stand, sagte zu mir: ‘Du bist verletzt.’ Dann senkte ich meinen Kopf und stellte fest, dass meine Jacke mit Blut durchtränkt war”, erinnert sich Olesja. “Mein Bewusstsein verlor ich nicht für eine Sekunde. Gleich in der Nähe stand ein Krankenwagen und die Jungs halfen mir dorthin. Dabei hielt ich mit einer Hand die verletzte Ader zu. Im Krankenwagen schrieb ich dann per Handy meinen ‘Abschiedsbrief’, wie ich damals dachte”, so Olesja. Heute lächelt sie darüber.

Das Foto nach ihrer Verletzung sowie ihre wenigen Worte verbreiteten sich rasant in sozialen Netzwerken und Medien weltweit.

“Wir müssen kämpfen! Es ist unser Land!”

Nach ihrer Verletzung wurde Olesja operiert. Sie war elf Tage in einem Kiewer Krankenhaus. Am 2. März stand sie wieder auf dem Maidan. “Ich kann nicht im Krankenhaus liegen und nur die Nachrichten hören, ich gehe auf den Maidan, wenigstens für kurze Zeit! Wir müssen kämpfen! Es ist unser Land!”, schrieb Olesja am 2. März 2014  auf Facebook.

Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus hielt sie sich vom 7. bis 13. März 2014 mit einer Delegation des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Frankreich auf. Sie traf unter anderem den französischen Staatschef Francois Hollande. “Meine Mission war es zu berichten, was auf dem Maidan geschah”, sagt sie im Gespräch mit dem UCMC.

Keine überzeugenden Ermittlungen

Mit den Untersuchungen zu den Erschießungen auf dem Maidan wurde sofort begonnen. Aber auch vier Jahre nach den Ereignissen gibt es immer noch keine überzeugenden Ergebnisse, und vor allem keine Urteile und Bestrafungen. Im Rahmen der Ermittlungen haben Olesja wie auch andere Opfer als Zeugen ausgesagt. “Mir wurde gesagt, dass ein Berkut-Angehöriger auf mich geschossen habe, aber er sei nach Russland geflohen und seine Waffe vernichtet. Ich kann mich nicht einmal an seinen Namen erinnern”, sagt Olesja. Sie betont, sie wolle sich nicht mit dem Wunsch nach Rache belasten und versuche, einfach weiterzuleben.

Es begann ein neues Leben

Nach dem Maidan entschied sich Olesja, sich ernsthaft der Medizin zu widmen. Im Sommer 2014 begann sie ein Medizinstudium an der Kiewer Bohomolez-Universität. Obwohl ständig von Korruption im Gesundheitswesen und in Hochschulen gesprochen wird, wurde Olesja ohne Probleme aufgenommen. Sie sagt, sie sei an der Uni bislang noch nicht mit Korruption konfrontiert worden.  Am meisten interessiere sie sich für Neurologie und Gastroenterologie. Freizeit habe sie kaum. Dennoch habe sie in den vergangenen vier Jahren an vielen Freiwilligen-Projekten teilgenommen. “Wenn ich Zeit habe, gehe ich in Tierheime oder Krankenhäuser. Zusammen mit einer Freundin haben wir mitgeholfen, für Soldaten Tarnnetze zu weben”, sagt sie.

Nun ist Olesja 25 Jahre alt. Journalisten, die an die Ereignisse von vor vier Jahren erinnern wollen, schreiben sie jedes Jahr am 20. Februar an. Olesja sagt, zwar freue es sie, dass man an sie denke, doch Interviews gebe sie nicht sehr gerne.

Über die Reformen in der Ukraine möchte sie nicht sprechen. Auch will sie nicht sagen, wem sie bei den nächsten Wahlen ihre Stimme geben wird. “Es gibt natürlich Enttäuschung und Kummer, aber ich denke, dass nicht alles sofort bewältigt werden kann. Wir haben eine innere Revolution gemacht, doch wird sind von einem Aggressor-Staat von außen angegriffen worden. Wer konnte das vorhersehen?”, unterstreicht Olesja.

Für sie ist der 20. Februar wie ein zweiter Geburtstag. “Ich bereue nichts, weder dass ich zum Maidan gegangen bin, noch dass ich verletzt wurde. Das war eine wichtige Erfahrung für mich. Als ich zum Maidan ging, wollte ich, dass sich etwas im Land ändert, aber auch in meinem Leben. So ist es auch gekommen”, sagt Olesja.