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“Alle befreien!” – Kreml-Geisel Oleh Senzow im Hungerstreik

Am 14. Mai 2018 hat der in Russland inhaftierte ukrainische Regisseur Oleh Senzow einen unbefristeten Hungerstreik erklärt. Was sind seine Forderungen? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:

Oleh Senzow ist aus einem einzigen Grund in den Hungerstreik getreten: er fordert die Freilassung aller Ukrainer, die in Russland und auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim inhaftiert sind. “Ich, Oleh Senzow, ein ukrainischer Bürger, unrechtmäßig von einem russischen Gericht verurteilt, befinde mich in einem Gefängnis in der Stadt Labytnangi, erkläre hiermit einen unbefristeten Hungerstreik, ab dem 14. Mai 2018. Die einzige Bedingung für die Beendigung ist die Freilassung aller ukrainischen politischen Gefangenen, die sich auf dem Territorium der Russischen Föderation befinden. Zusammen und bis zum Ende! Ruhm der Ukraine!”, schrieb der ukrainische Filmregisseur, der selbst von der Krim stammt.

Senzow erklärte, sollte seine Forderung nicht erfüllt werden, dann sei er bereit zu sterben. Seinem Anwalt sagte er, er habe sich zwei Monate lang auf diesen Schritt auch körperlich vorbereitet. Rechtsanwalt Dmitrij Dinse warnte allerdings seinen Mandanten vor möglichen bleibenden Gesundheitsschäden. Dinse schließt nicht aus, dass Senzow zu einer psychiatrischen Zwangsuntersuchung geschickt wird und dann zwangsernährt wird. “Er ist jetzt an einen sicheren Ort gebracht worden. Dorthin kommen Menschen, die Nahrung verweigern und hungern. Er sitzt dort allein ein. Er wurde bereits vom Gefängnisleiter besucht und man hat mit ihm geredet. Aber er ist entschlossen, den Hungerstreik bis zum Ende fortzusetzen, bis es ein Ergebnis gibt”, sagte Dinse dem ukrainischen Sender “Hromadske”.

Zahlreiche Festnahmen im Jahr 2014

Oleh Senzow und der ukrainische Aktivist Oleksandr Koltschenko wurden am 10. Mai 2014 auf der Krim von den russischen Besatzungsbehörden festgenommen. Sie wurden beschuldigt, Terroranschläge geplant zu haben. Senzow hatte zuvor öffentlich die Revolution der Würde in der Ukraine unterstützt und die Annexion der Krim durch Russland verurteilt. Trotz des eindeutig politischen Charakters des Falles, trotz fehlender Beweise und internationaler Proteste, verurteilte ein russisches Gericht Senzow und Koltschenko im August 2015 zu jeweils 20 und 10 Jahren Strafkolonie. Senzow und Koltschenko wurden anfangs in einem Moskauer Gefängnis festgehalten, dann in Rostow verurteilt und in Etappen erst in den Ural und später in die russische Arktis verlegt. Der TV-Sender “Hromadske International” hat dazu eine Dokumentation mit dem Titel “From Crimea to Siberia” in englischer Sprache veröffentlicht.

Zusammen mit Senzow und Koltschenko wurden 2014 auch Hennadij Afanasjew und Oleksij Tschyrnij auf der Krim verhaftet. Der Fotograf Afanasjew half während der Besetzung der Krim durch Russland ukrainischen Militärs, die auf der Halbinsel stationiert waren. Zudem nahm er an Protestaktionen teil. 2016 wurde er ausgetauscht. Tschyrnij befindet sich in Magadan in Haft. Er war Dozent für Militärgeschichte im Simferopol. Auch ihm wurden Anschläge zur Last gelegt, darunter auf das Lenin-Denkmal in Simferopol.

64 Ukrainer sind politische Gefangene

Als bekannt geworden war, dass Oleh Senzow in einen unbefristeten Hungerstreik getreten ist, rief der ukrainische Präsident Petro Poroschenko die internationale Gemeinschaft auf, den Kreml weiter unter Druck zu setzen. “Ich fordere die internationale Gemeinschaft nachdrücklich auf, weiterhin Druck auf den Kreml auszuüben, damit die ukrainischen politischen Gefangenen so bald wie möglich nach Hause zu ihren Familien zurückkehren können. Wir werden weiter kämpfen und alle Anstrengungen unternehmen, um alle unrechtmäßig inhaftierten Ukrainer freizubekommen, die auf der besetzten Krim, im besetzten Donbass und in der Russischen Föderation festgehalten werden”, heißt es auf der Facebook-Seite des ukrainischen Staatsoberhaupts.

In Russland und auf der annektierten Krim sind derzeit 64 Ukrainer als politische Gefangene in Haft. Zusammengenommen wurden sie zu 189 Jahren Gefängnis verurteilt. Bislang wurden acht Gefangene freigelassen. Eine Liste aller Gefangenen und Informationen über sie finden sich auf der englischsprachigen Webseite “Let My People Go“. Dort ist auch nachzulesen, wie man die Geiseln des Kremls unterstützten kann.

Wie reagiert Senzows Familie?

Senzows Familie lebt nach wie vor auf der Krim. Seine Mutter Ljudmyla ist 75 Jahre alt. Seit 2016 ist bekannt, dass sich Olehs Frau Alla, mit der er 15 Jahre verheiratet ist und zwei gemeinsame Kinder hat, sich von ihm scheiden möchte. Senzows Angehörige sagen, Oleh wünsche keine Besuche von Verwandten in der Strafkolonie. So falle es ihm leichter, durchzuhalten.

Senzows Schwester Natalia Kaplan äußerte die Befürchtung, der Hungerstreik ihres Bruders könnte möglicherweise ohne Erfolg bleiben: “Ich habe große Angst um ihn. Oleh ist seit vier Jahren in der Hölle – ohne Vitamine, ohne Sonne, ohne normale Ernährung. Er steht unter schrecklichem psychischem Druck. Seine Entscheidung macht uns nervös. Aber ich kenne Oleh und weiß, dass er nicht aufgeben wird. Ich kann nur hoffen, dass er überlebt und sein Ziel erreicht”, sagte sie.

Was unternimmt der ukrainische Staat?

Die ukrainischen Behörden haben nicht viele Möglichkeiten, um die ukrainischen politischen Gefangenen freizubekommen. Am effektivsten ist der Austausch gegen Russen, die in der Ukraine inhaftiert sind. In Freiheit gelangten auf diese Weise die einstige Kampfpilotin Nadija Sawtschenko, der Fotograf Hennadij Afanasjew und Jurij Soloschenko, ehemaliger Leiter einer ukrainischen Rüstungsfabrik, dem Russland Spionage vorgeworfen hatte.

Der ukrainische Staat will laut einer vor kurzem getroffenen Regierungsentscheidung fast 97 Millionen Hrywnja (umgerechnet 3,2 Millionen Euro) für die Bezahlung von Anwälten bereitstellen, die die ukrainischen politischen Gefangenen in Russland, im besetzten Teil des Donbass und auf der annektierten Krim vertreten. Bisher müssen die Familien der Gefangenen die Anwälte selbst bezahlen. Für eine Lösung des Problems hatten sich Menschenrechts-Stiftungen, Aktivisten und zivilgesellschaftliche Organisationen eingesetzt.

Doch die staatlichen Gelder, die für die Verteidigung der politischen Gefangenen bestimmt sind, gibt es bisher leider nur auf dem Papier. Es soll noch eine Kommission gebildet werden, die sich um die Verteilung der Gelder kümmern wird. Ihr sollen nur Vertreter der Ministerien für Justiz, Finanzen, Soziales, Inneres sowie des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) angehören. Allerdings wird sich keine dieser Behörden ganz den politischen Gefangenen widmen und die Gerichtsprozesse in Russland verfolgen können. Organisationen, die die Menschenrechtslage seit Beginn der Annexion der Krim und des bewaffneten Konflikts im Donbass überwachen, bleiben außen vor.