Im Norden der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim, in Armjansk, wurde in der Nacht vom 23. auf dem 24. August in der Fabrik “Krymskij Titan” eine zunächst unbekannte Substanz freigesetzt. Wie später bekannt wurde, war es Schwefeltrioxid. Auch das ukrainische Festland, vor allem die Region Cherson, ist betroffen. Wie kam es zur Katastrophe und welche Gefahren bestehen? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:
Was genau ist passiert? Am 24. August bemerkten die Einwohner von Armjansk einen ungewöhnlichen Nebel und am nächsten Morgen war alles mit einem schmierigen rostfarbenen Film bedeckt. Von den Bäumen fielen Blätter. Die Menschen zeigten in sozialen Netzwerken Fotos von verschmutztem Obst und Gemüse in ihren Gärten. Auch Tiere verendeten.
Später gaben die Besatzungsbehörden zu: Ursache der Verschmutzung ist die Austrocknung eines Staubeckens in der Nähe des Chemieriesen “Krymskij Titan”. In dem gewaltigen Becken werden Abfälle aus der Produktion gesammelt, wo die Säuren mit Wasser verdünnt werden, damit sie nicht in die Umwelt gelangen. Aufgrund der Austrocknung des Beckens wird dort aber ständig Schwefeltrioxid freigesetzt, das Reizungen der Atemwege verursacht.
Die Fabrik ist einer der größten Hersteller von Titandioxid in Osteuropa. Der Stoff wird unter anderem bei der Herstellung von Farben und Lacken, Kunststoffen und Gummi verwendet. Die Anlage gehört Dmytro Firtasch, einem der wenigen ukrainischen Geschäftsleute, deren Eigentum auf der Krim von den Besatzungsbehörden nicht “verstaatlicht” wurde. 2014, nach der Annexion der Krim, wurde die Verwaltung der Fabrik “Krymskij Titan” der Geschäftsführung der Moskauer Firma “Titanium Investments” übertragen.
Warum trocknet das Staubecken aus? Bis 2014 wurde das Becken mit Wasser aus dem Nördlichen Krim-Kanal gespeist. Dieser wurde gebaut, nachdem die Krim im Jahre 1954 Teil der Ukrainischen SSR wurde. Bis zur Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 versorgte diese 400 Kilometer lange Arterie die Krim mit Wasser aus dem Fluss Dnjepr und deckte über 80 Prozent des Süßwasser-Bedarfs der Halbinsel.
Nach der russischen Besetzung der ukrainischen Krim wurde die Versorgung der Halbinsel mit Dnjepr-Wasser gestoppt. Die Gründe dafür waren sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Natur. Nach der Annexion der Krim durch Russland schlossen die lokalen Behörden keine entsprechenden Verträge und beglichen auch keine Schulden für geliefertes Wasser (ungefähr 1,5 Millionen Hrywnja). Außerdem war der Stopp der Wasserversorgung ein weiteres Druckmittel gegen die Besatzer. Im Mai 2014 errichtete die Ukraine einen temporären Damm und baut seit 2015 an einem ständigen. Seit der Kanal gesperrt ist hat sich das Wasser in dem Staubecken der Fabrik “Krymskij Titan” von 30 Millionen Kubikmeter auf weniger als zwei Millionen verringert.
Widersprüchliche Reaktionen der Besatzer. Obwohl es schon am 23. und 24. August Hinweise auf eine Verschmutzung gab, berichteten die russischen Medien darüber erst am 27. August. Zudem bestritten die Besatzer, dass die freigesetzten Stoffe schädlich sind und versicherten, dass keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen bestehe. Am 31. August meldete die Agentur “Interfax” unter Berufung auf den selbsternannten Chef der Krim, Sergej Aksjonow, die Produktion in der Fabrik “Krymskij Titan” werde nicht gestoppt und das Staubecken sofort mit Wasser befüllt. In derselben Nacht wurden die Straßen in Armjansk mit einer Sodalösung begossen. Am 1. September fanden in der Stadt noch Feiern anlässlich des Beginns des Schuljahres statt. Sie wurden lediglich etwas verkürzt, aber nicht abgesagt.
Evakuierung der Kinder. Am 4. September wurde eine dringende Erklärung von Sergej Aksjonow veröffentlicht. Darin gibt er zu, dass “letzte Nacht” die Menge der Schadstoffe in der Luft die zulässige Höchstmenge überschritten hatten. Dabei dauerten die giftigen Ausstöße schon mehr als zehn Tage an. Aus Armjansk wurden daraufhin die Kindern im Schul- und Vorschulalter evakuiert. Nach Angaben des “Gesundheitsministeriums” der Krim handelt es sich um rund 4000 Personen.
Kann ein Produktionsstopp das Problem lösen? Am 4. September wurde auf der Krim gemeldet, die Produktion in der Fabrik “Krymskij Titan” werde gestoppt. Drei von acht Öfen stünden still. Für einen vollständigen Stopp würden noch einige Tage benötigt. Doch ein Stopp wird nicht das Problem der giftigen Ausstöße nicht lösen, denn dazu muss erst das Staubecken mit Wasser gefüllt werden. Aber Wasser in solchen Mengen gibt es auf der Krim nicht. “Das Befüllen wird in einem Monat oder zwei beginnen, man muss noch eine Leitung legen”, sagte Aksjonow in Armjansk am 4. September.
Aber auf die Frage, von wo diese Leitung gebaut werden soll, weiß man auf der Krim offenbar keine Antwort. Als eine Möglichkeit gilt die Karkinitska-Bucht. Doch das Salzwasser aus dem Schwarzen Meer könnte die Lage noch verschlimmern. Dies soll noch von einem Labor geprüft werden.
Nach Angaben des “Katastrophenschutzes” der Krim werden derzeit täglich 52.000 Kubikmeter Wasser in das Staubecken gepumpt. Aber das ist nicht genug. Benötigt werden mehrere Millionen Kubikmeter
Die Reaktion der Ukraine.Die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denysowa, berichtete dem Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms, Erik Solheim, und Jan Dusik vom Regionalbüro für Europa über die Lage in Armjansk. Am 5. September nahm in Cherson eine Expertengruppe ihre Arbeit auf. Sie soll in den an die Krim grenzenden Bezirken die Umweltsituation untersuchen. Schon bald sollen Ergebnisse vorliegen, so der Katastrophenschutz in Cherson.
Schließung von Kontrollpunkten zwischen dem ukrainischen Festland und der Krim. Am 7. September wurde bekannt, dass zwei Checkpoints (Kalantschak und Tschaplynka) an der Grenze zur annektierten Krim wegen der giftigen Ausstöße der Fabrik “Krymskij Titan” ihre Arbeit vorerst eingestellt haben. Man wolle das Leben und die Gesundheit der Grenzschützer und Bürger schützen. Jetzt kann man die Verwaltungsgrenze zur annektierten Krim nur über den Kontrollpunkt Tschongar passieren. Bürger der Ukraine aus der besetzten Halbinsel, die versuchen, vor der Verschmutzung auf das Festland der Ukraine zu flüchten, sollen nach Angaben des Grenzschutzes beschleunigt abgefertigt werden. An den vorübergehend geschlossenen Checkpoints werden zwar weiterhin einige Grenzbeamte Dienst haben, aber sie werden Personen nur im Notfall durchlassen.
Die Reaktion des Präsidenten der Ukraine.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat von einer Umweltkatastrophe auf der Krim gesprochen und angeordnet, dass Kinder aus Armjansk zur Erholung in die Region Cherson eingeladen werden. “Wir müssen diese ukrainischen Kinder vor dieser Umweltgefahr retten. Unsere regionalen Verwaltungen fordere ich auf, entsprechenden Einladungen zu organisieren”, sagte Poroschenko bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Darüber hinaus betonte der Präsident, es müsse eine internationale Kommission gebildet werden, um “die ökologische Katastrophe zu stoppen”.