In den vergangenen zwei Wochen ist in der Ukraine ein Skandal entbrannt. Journalisten in der Ukraine, aber auch im Ausland sind empört. Die Generalstaatsanwaltschaft hat per Gerichtsbeschluss Zugriff auf die Daten der Mobiltelefone von mindestens zwei Journalisten erhalten.
Wie alles begann. Vor zwei Wochen ist es zu einem negativen Präzedenzfall für die Pressefreiheit in der Ukraine gekommen. Laut Gerichtsbeschluss bekommt die Generalstaatsanwaltschaft Zugang zu den Daten der Mobiltelefone von mindestens zwei Journalisten: Natalie Sedletska und Kristina Berdynskykh. Sedletska ist Autorin und Moderatorin des investigativen TV-Magazins “Schemy” (Schemata), eines gemeinsamen Projekts von “Radio Liberty” und dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen TV-Kanal “UA:Perschyj”. Berdynskykh ist für die Zeitschrift “Nowoje Wremja” tätig.
Am 4. September war bekannt geworden, dass ein Gericht der Generalstaatsanwaltschaft erlaubt hatte, auf Sedletskas Telefon-Daten der vergangenen 17 Monate zuzugreifen. Am nächsten Tag teilte auch die Journalistin Berdynskykh mit, die Staatsanwaltschaft gehe mit solchen Maßnahmen auch gegen sie vor.
Warum gerade diese Journalistinnen? Derzeit ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen Artem Sytnyk, den Leiter des Nationalen Anti-Korruptions-Büros. Sytnyk ist ein situativer Gegner des Generalstaatsanwalts Jurij Luzenko. Vor mehr als einem Jahr soll Sytnyk angeblich einigen Journalisten bei einem Off-the-Record-Meeting Informationen aus laufenden Untersuchung weitergegeben und damit gegen das Gesetz verstoßen haben. Daher ermittelt die Staatsanwaltschaft.
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Die Journalisten, die angeblich bei diesem Treffen anwesend waren, weigerten sich, den Ermittlern darüber zu berichten. Laut ukrainischem Gesetz haben sie dazu das Recht. Denn unabhängig davon, ob Sytnyk gegen das Gesetz verstoßen hat oder nicht, dürfen und sollten Journalisten ihre Informationsquellen schützen. Die Strafprozessordnung der Ukraine (Artikel 65, Teil 2, Abschnitt 6) sieht vor, dass ein Journalist nicht als Zeuge befragt werden kann, wenn es um Informationen geht, die er von einer Quelle unter Bedingungen der Geheimhaltung erhalten hat. Das heißt, dass beide Journalistinnen das volle Recht hatten, die Aussage zu verweigern.
Doch als die Staatsanwaltschaft per Gerichtsbeschluss trotzdem Zugang zu den Daten der Telefone (Lokalisierung, Anruflisten und SMS) erhielt, wandten sich die Journalistinnen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Am 18. September lag das Ergebnis vor. Der Straßburger Gerichtshof untersagte den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden, auf die Daten der Journalistinnen zuzugreifen. Es handelt sich aber um ein vorläufiges Verbot für die Dauer eines Monats. Damit soll eine mögliche Verletzung der Menschenrechte gestoppt werden, solange eine vollständige Prüfung des Falls noch in Vorbereitung ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch nicht reagiert.
Streit mit der Generalstaatsanwaltschaft.“Radio Liberty” äußerte sich empört über den Gerichtsentscheid, derGeneralstaatsanwaltschaft den Zugriff auf Sedletskas Telefondaten zu erlauben. Die Generalstaatsanwaltschaft wies darauf hin den Vorwurf zurück, Sedletskas Telefon überhaupt abzuhören. Die Behörde erklärte, sich auf keinen Fall in die berufliche Tätigkeit und das private Leben der Journalistin einzumischen. Sedletska sagte gegenüber dem ukrainischen TV-Sender “Hromadske”, der vom Gericht genehmigte Datenzugriff schließe den Inhalt von SMS-Nachrichten ein.
Am 5. September, also nach der Erlaubnis des Zugriffs auf die Telefondaten, bestellte Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko die Journalistin Sedletska zu einem Treffen hinter verschlossenen Türen ein. Den Vorschlag von “Radio Liberty”, in einer Live-Sendung öffentlich auf Fragen bezüglich des Falls Stellung zu nehmen, lehnte Luzenko ab.
Am 7. September demonstrierten Journalisten und Aktivisten zur Unterstützung von Natalie Sedletska in Kiew vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft. Sie forderten die Behörde auf, die Erlaubnis des Zugriffs auf die Telefondaten nicht wahrzunehmen. Am 13. September wurde bekannt, dass Sedletska gegen die gerichtliche Erlaubnis Beschwerde eingereicht hat.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sagte bezüglich der Erlaubnis für die Generalstaatsanwaltschaft, auf Telefondaten von Journalisten zuzugreifen, er rate den Medienvertretern, sich mit dem Generalstaatsanwalt zu treffen und “alle Fragen zu beseitigen”.
Ergebnisse eines Medien-Monitorings. Seit Beginn des Jahres hat das Kiewer Institut für Massen-Informationen (IMI) 67 Fälle dokumentiert, wo Journalisten bei ihrer legitimen beruflichen Tätigkeit behindert wurden. Ferner wurden 24 Fälle festgestellt, wo Journalisten gedroht wurde. Es gab 22 Fälle, wo Journalisten verprügelt wurden und 12 Fälle, wo Journalisten der Zugang zu Informationen eingeschränkt wurde. Im Jahr 2017 verzeichnete das IMI 281 Fälle von Verletzungen der Redefreiheit, etwas mehr als im Vorjahr (264 Fälle im Jahr 2016, 310 im Jahr 2015, 995 im Jahr 2014). Das geht aus dem jährlichen Bericht des IMI “Barometer der Meinungsfreiheit” hervor.