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Warum am 14. Oktober nicht nur Nationalisten marschierten

Der 14. Oktober ist in der Ukraine der “Tag des Verteidigers”. Seit 2015 ersetzt er den früheren sowjetischen “Tag des Verteidigers des Vaterlandes”, der im Februar begangen wurde. Das neue Datum fällt mit dem Tag der ukrainischen Kosaken, dem Tag der Gründung der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) im Jahr 1942 und dem orthodoxen Fest Mariä Schutz zusammen. Traditionell führen an diesem Tag politische und gesellschaftliche Organisationen Aktionen durch. Eine davon ist der Marsch der Nationalisten, der erneut im Mittelpunkt der ausländischen Berichterstattung stand. Doch es gab auch andere wichtige Kundgebungen. Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:

Der Tag des Verteidigers wird in der Ukraine bereits zum fünften Mal begangen, aber zum ersten Mal findet er vor dem Hintergrund einer zunehmenden Protest-Stimmung in der Gesellschaft statt. Neben den üblichen Parolen waren in diesem Jahr auf den Straßen neue Forderungen an die Staatsmacht zu hören – nicht nur von “Rechten” oder “Ultra-Rechten”.

In der Hauptstadt Kiew und weiteren ukrainischen Städte kam es am Tag des Verteidigers wieder zu Kundgebungen unter dem Motto “Keine Kapitulation”. Nur eine Woche war seit der ersten Aktion am 6. Oktober vergangen, zu der rund 10.000 Menschen zum Maidan, dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, gekommen waren. Auch am 14. Oktober forderten Menschen erneut, “die Interessen der Ukraine nicht aufzugeben”. Augenzeugen und Journalisten sprachen von mehreren Zehntausend Demonstranten, die Polizei von 12.000.  An dem Marsch der Nationalisten nahmen hingegen nur 6000 Menschen teil.

Die Demonstranten auf dem Maidan betonten, sich “allen Entscheidungen der Staatsmacht entgegenzustellen, die zu einer Niederlage im Krieg mit Russland führen würden – darunter der Steinmeier-Formel, einem Sonderstatus für den Donbass sowie einer Truppenentflechtung”.

Marsch der Nationalisten: Wer sind sie und was wollen sie?

Die Teilnehmer des jährlichen UPA-Marsches versammelten sich am Denkmal für den ukrainischen Schriftsteller Taras Schewtschenko und zogen dann zum Präsidialamt und schließlich auf den Maidan. Vertreten waren die ultrarechten Organisationen “Nationaler Korps”, die Partei “Swoboda”, die “Nationale Miliz”, die “Ukrainische Freiwilligen-Armee” und einzelne Vertreter der rechtsradikalen Organisation “S14”.

Die ultrarechten Parteien und Organisationen waren wie immer laut, warfen Flyer und trugen Bandera-Plakate. Nach Angaben der Polizei gab es aber keine schwerwiegenden Verstöße. Die Hauptforderung des diesjährigen Marsches war, zu verhindern, dass im Zusammenhang mit der Zustimmung der Ukraine zur Steinmeier-Formel und zur Truppenentflechtung im Donbass nationale Interessen aufgegeben werden. Roman Tschernyschow, Sprecher des “Nationalen Korps”, sagte der Internetzeitung “Ukrainska Prawda”: “Was jetzt passiert, ist eine echte Bedrohung für unser Land. Wenn es zur Truppenentflechtung kommt, dann werden wir bald nicht mehr in der Lage sein, an der gesamten Frontlinie zu kämpfen. Das Militär ist auf unserer Seite. Die Leute, die in den Schützengräben sitzen, wissen um die Lage. Wenn wir den Ort Solote aufgeben, dann wird das eine echte Kapitulation sein.”

Gleichzeitig stehen Vertreter ultrarechter Parteien und Organisationen dem früheren Präsidenten Petro Poroschenko, der nach Ansicht der jetzigen Staatsmacht die Proteste schürt, äußerst ablehnend gegenüber. “Bei diesen Aktionen sind Parteifahnen unwichtig. Alle Versuche von Poroschenko, die Proteste für sich in Anspruch zu nehmen und sich als deren Anführer zu präsentieren, sind gescheitert. Poroschenko auf der Bühne des Maidan ist ein erbärmlicher Anblick. Wir verachten ihn als Politiker für alles, was er getan hat. Die Vereinbarungen von Minsk waren von Anfang an sehr schädlich und bereiteten eine Kapitulation”, sagte Tschernyschow.

Medienberichten zufolge hat der ukrainische Innenminister Arsen Awakow Einfluss auf Vertreter der nationalistischen Organisationen “Nationaler Korps” und “Nationale Miliz”. So hätten Vertreter des “Nationalen Korps” wiederholt Protestaktionen veranstaltet und damit Reden des ehemaligen Präsidenten Poroschenko in verschiedenen Städten der Ukraine gestört. Awakow wird vorgeworfen, die nationalistischen Organisationen bei seinem politischen Kampf auszunutzen. Er ist einer von zwei Ministern der ehemaligen Regierung, die nach der Wahl von Präsident Wolodymyr Selenskyj ihre Posten behalten haben.

“Bewegung gegen Kapitulation”: Oppositionelle, Veteranen und die Zivilgesellschaft

Zeitgleich mit dem Marsch der Nationalisten fand ein weiterer statt, an dem Kriegsveteranen und Freiwillige, aber auch Vertreter der oppositionellen politischen Kräfte, ehemalige Beamte und Vertreter der Intelligenzia teilnahmen.

Die Veranstalter bezeichneten die Kundgebung am 14. Oktober, wie auch schon die vom 6. Oktober auf dem Maidan, als gesellschaftliche Aktion und riefen die Teilnehmer auf, die Veranstaltung nicht für Parteiinteressen zu nutzen. Unter den Unterzeichnern eines Aufrufs an Präsident Selenskyj sind auch viele gesellschaftliche Aktivisten, die keinen Hehl aus ihren politischen Sympathien für den früheren Präsidenten Poroschenko machen.

Die Parteien der Opposition. Neben Poroschenkos Partei “Europäische Solidarität” befinden sich auch die Parteien “Stimme” und “Vaterland” zur Staatsmacht in Opposition. Alle drei Parteien riefen Präsident Selenskyj auf, seine Pläne für eine “De-Okkupation des Donbass” zu erläutern. Die Chefin der Partei “Vaterland”, Julia Tymoschenko, nannte die Steinmeier-Formel zwar inakzeptabel, doch ihre Partei nahm an den Protesten nicht teil.

Die Partei “Stimme” hingegen sprach sich nicht nur im Parlament gegen die “Putin-Steinmeier-Formel” aus, sondern beteiligte sich auch an den Protesten in Kiew und Lwiw. “Die Ukrainer müssen die Grenzen des Kompromisses kennen, den der Präsident und seine Partei der ‘Diener des Volkes’ für akzeptabel halten. Wir haben allgemeine Parolen gehört, dass der Präsident sein Bestes für Frieden tut, aber wir haben nicht gehört, welchen Preis er dafür zu zahlen bereit ist”, sagte Inna Sowsun, Abgeordnete der Partei “Stimme”.

Auch Vertreter der politischen Kraft “Demokratische Axt”, die nicht im Parlament vertreten ist und oft als liberaler Flügel von Poroschenkos Anhängern bezeichnet wird, nahmen ebenfalls an den Protesten teil. Offiziell hatte die Partei “keinen Präsidentschaftskandidaten unterstützt”. Sie machte aber keinen Hehl aus ihrer negativen Haltung gegenüber Selenskyj.

Außenpolitiker und Beamte. Neben Vertretern der politischen Opposition unterstützendie “Bewegung gegen Kapitulation”auch ukrainische Außenpolitiker und Beamte, darunter Wolodymyr Omeljan, ehemaliger Minister für Infrastruktur in der Regierung von Wolodymyr Hrojsman, Uljana Suprun, ehemaligeamtierendeGesundheitsministerin, Roman Bessmertnyj, ehemaliges Mitglied der TrilateralenKontaktgruppe in Minsk und andere.

Über die neue Protestbewegung sagte der ehemalige ukrainische Außenminister Wolodymyr Ohrysko: “Das ist keine politische Struktur, sondern eine Struktur, die in nationalen Kategorien denkt und nicht in parteipolitischen. Und darin liegt, denke ich, ihre sehr wichtige Kraft (…) Wenn diese Bewegung von politischen Kräften unterstützt wird, für die nationale Interessen an erster Stelle stehen, dann gerne, keine Frage. Das heißt aber nicht, dass wir da wieder etliche Parteifahnen und dergleichen sehen werden.”

Kriegsveteranen.Wichtig ist, dass beim Marsch auch Teilnehmer am Krieg im Donbass dabei waren. Unter den Veteranen, die zu den neuen Protestaktionen kommen, sind Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Ansichten. Viele von ihnen waren Teilnehmer der Revolution der Würde 2013/2014 und gehörten zu den ersten, die in den Freiwilligen-Bataillonen an die Front gingen.

Der Kriegsveteran Hlib Babitsch sagte über die Proteste: “Mein Gesundheitszustand erlaubt es mir jetzt nicht, an vorderster Front zu stehen. Aber ich habe mehr als fünf Jahre dem Kampf für die Ukraine gewidmet. Das Land ist mir wichtig. Hunderte von Veteranen, Menschen, die real ihr Leben für die Freiheit des Landes riskiert haben, kommen zu diesen Protesten (…). Kein Kriegsveteran hat für Poroschenko gekämpft. Sie haben für die Ukraine gekämpft. Und jetzt demonstrieren wir für unser Land. Es gibt keine bestimmten Persönlichkeiten, für die dies getan wird.”

Die Zivilgesellschaft. Vertreter der Intelligenzia, insbesondere Kulturschaffende, wurden zu verschiedenen Zeiten zu Symbolen ukrainischer Proteste. Sie schlossen sich Aktionen an und unterstützten die Demonstranten.

Auch diesmal unterstützen die “Bewegung gegen Kapitulation” Pädagogen, Musiker, Schriftsteller und Wissenschaftler, darunter der Ehrenpräsident der Kiewer Mohyla-Akademie Wjatscheslaw Brjuchowezkyj, der Dissident und bekannte Aktivist der jüdischen Bewegung in der Ukraine Josef Zissels und der ehemalige Bildungsminister Serhij Kwit.

Unter all diesen Menschen sind ausgesprochene Anhänger Poroschenkos, aber auch seine entschiedenen Gegner. Somit bringen die Proteste ganz unterschiedliche Menschen zusammen. Einige von ihnen verfolgen dabei ihre eigenen politischen Ambitionen. Andere hingegen wollen den Entwicklungen, die für ihr Land von schicksalshafter Bedeutung sind, nicht einfach gleichgültig gegenüberstehen.