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“Der beste Freund aller Präsidenten” – Achmetow und Selenskyj

In letzter Zeit schwindet der Einfluss des Oligarchen Ihor Kolomojskyj auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Gleichzeitig nähert sich der “beste Freund” aller bisherigen Präsidenten, der reichste ukrainische Oligarch Rinat Achmetow, dem jetzigen Staatsoberhaupt immer mehr an. In diesem Kontext veröffentlichte anlässlich des ersten Jahrestages von Selenskyjs Wahlsieg die Internetzeitung “Ukrajinska Prawda” einen Artikel. Hier eine Zusammenfassung vom Ukraine Crisis Media Center:

Als “Mediator” präsentiert sich Präsident Wolodymyr Selenskyj der Bevölkerung, umgeben von unterschiedlichen Expertengruppen. Diese Rolle erinnert – was das Verhältnis zu den Oligarchen angeht – an die Präsidentschaft von Leonid Kutschma. Selenskyj sieht sich am Tisch mit den Oligarchen nicht als Spieler, sondern als Croupier. Wie einst Kutschma nimmt er am Spiel nicht teil, sondern sorgt dafür, dass jeder die Spielregeln einhält und niemand Asse aus dem Ärmel zieht. Der Versuch, zwischen den beiden mächtigsten Oligarchen – Ihor Kolomojskyj und Rinat Achmetow – zu balancieren, ist wohl die wichtigste Entwicklung in der ukrainischen Politik ein Jahr nach Selenskyjs Wahlsieg.

Achmetow und die Wahlen 2019. Im vergangenen Jahr schien Rinat Achmetows politischer Einfluss am Ende zu sein. Denn bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr konnten weder sein formeller Kandidat Oleksandr Wilkul noch seine informellen Favoriten Petro Poroschenko und Oleh Ljaschko gegen Wolodymyr Selenskyj gewinnen. Und bei den Parlamentswahlen im Sommer konnten Achmetows Partei “Oppositionsblock” und die Partei von Oleh Ljaschko die für den Einzug ins Parlament geltende Hürde von fünf Prozent nicht überwinden.

Somit konnte sich der reichste Mann der Ukraine auf nur wenige fraktionslose Abgeordnete des “Oppositionsblocks” stützen, die über Direktmandate verfügen. Angeführt werden sie von Achmetows Geschäftspartner Wadim Nowinskij. Ferner kann sich der Oligarch noch auf einige Abgeordnete in Julia Tymoschenkos Fraktion “Vaterland” verlassen, darunter auf Serhij Taruta und Mychajlo Wolynez.

Zu Beginn der neuen politischen Saison verfügte Achmetow also nicht über eine solche Kraft im Parlament, die seinen Interessen entsprechen würde. Doch dieser Zustand dauerte nicht lange an.

Selenskyj und Achmetow brauchen einander. Langjährige Beobachter der ukrainischen Politik meinen, “wenn man Präsident der Ukraine ist, dann braucht man Achmetow, aber auch Achmetow braucht den Präsidenten”. Bereits im Juni 2019 sagte Selenskyj in Kolomojskyjs TV-Sender “1+1”, er werde auf die Oligarchen einreden, damit sie dem Staat helfen. Im Sommer erklärte der Präsident gegenüber der “Ukrajinska Prawda”, er habe sich unter anderem mit Achmetow getroffen. Damals schaffte die Stiftung des Oligarchen 200 Krankenwagen an, die an die Regionen des Landes verteilt wurden.

Gerade mit Umsicht und Verbindlichkeit gegenüber der Staatsmacht verdient sich Achmetow die Aufmerksamkeit des Präsidialamts. Sobald etwas nötig ist, streckt Achmetow seine helfende Hand aus. Als ein Flugzeug nach Wuhan gebraucht wurde, um die dort festsitzenden ukrainischen Staatsbürger zu evakuieren, stellte er die Maschine seines Fußballclubs Schachtar zur Verfügung. Und zur Eindämmung des Coronavirus stellte er 300 Millionen Hrywnja (ca. 10 Millionen Euro) bereit.

Einfluss von Achmetows Medien. Die TV-Sender “Ukrajina” und der Nachrichtenkanal “Ukrajina 24”, die Achmetow gehören, berichten detailliert und komplementär über die Aktivitäten der jetzigen Staatsmacht. Auftritte von Selenskyj und hochrangigen Vertretern des Präsidialamtes in Sendungen des Kanals “Ukrajina” werden mit Kyrylo Tymoschenko, dem stellvertretenden Leiter des Präsidenten-Büros, abgestimmt. Er ist für die Medienarbeit des ukrainischen Staatsoberhaupts zuständig.

Auffällig ist, dass Selenskyj nicht mehr in Sendungen des Kanals “1+1” auftritt. Dabei hatte er in Kolomojskyjs Sender im Wahlkampf sich und sein Team vorgestellt. Jetzt bevorzugt Selenskyj offenbar Sawik Schusters Talkshow “Redefreiheit”, die bei Achmetows TV-Kanal “Ukrajina” läuft. 

Einen Sender wie diesen braucht Selenskyj insbesondere im Zusammenhang mit einem möglichen Konflikt mit Kolomojskyj. Denn dieser droht zwischen dem Präsidenten und dem Oligarchen nach der endgültigen Verabschiedung des neuen Bankengesetzes, das auch als “Anti-Kolomojskyj-Gesetz” bezeichnet wird. Es soll verhindern, dass verstaatlichte Banken an ihre früheren Eigentümer zurückgegeben werden können. Kolomojskyj hat es auf die im Jahr 2016 verstaatlichte PrivatBank abgesehen. Gleichzeitig steht Achmetow zunehmend in der Gunst des Präsidenten und seines Umfelds. Dadurch nimmt sein – wenn auch nicht immer sichtbarer – Einfluss zu. 

Achmetows Leute in Ämtern. Nach der Absetzung der Regierung von Oleksij Hontscharuk Anfang März 2020 wurde Denys Schmyhal neuer Premierminister. Zuvor war er als Manager bei Achmetows Energieunternehmen DTEK tätig. Zwar betrachtet Selenskyj ihn nicht als “Achmetows Mann”, aber niemand weiß, wie sich Schmyhals einstige Verbindungen zu Achmetow in Zukunft noch auswirken werden.

Zur amtierenden Energieministerin in der neuen Regierung wurde Olha Buslawez ernannt. Sie hat den Entwurf des Beschlusses der Regierung mit erarbeitet, der einen Rabatt für Achmetows DTEK beim Kauf von Gas beim ukrainischen Staatskonzern Naftogaz vorsieht. Laut dem Vorsitzenden des Energie-Ausschusses im Parlament, Andrij Herus, hatte das von Buslawez geleitete für Energiemärkte zuständige Direktorat des Energieministeriums während der Präsidentschaft von Petro Poroschenko die berüchtigte Tarifformel Rotterdam Plus gebilligt. Die Ernennung von Buslawez, einer “Vertreterin von Achmetow”, trotz heftigen Protests von Ihor Kolomojskyj, könnte Selenskyjs erster Versuch sein, in der Rolle eines Croupiers unter den Oligarchen aufzutreten. Gleichzeitig erlaubt die nur vorübergehende Ernennung von Buslawez ihren Posten bei weiteren Abmachungen noch auszutauschen.

Erwähnenswert ist auch die Aufhebung der Beschlüsse bezüglich des Imports von Strom aus Russland, die Alternativen zum Strom von Achmetows Unternehmen schafften. Mit seinen Unternehmen besitzt der Oligarch auf dem Strommarkt praktisch eine Monopolstellung.

Wolodymyr Selenskyj versucht, allmählich ein Gleichgewicht zwischen den Oligarchen herzustellen und situative Allianzen zu schmieden. Kurz gesagt, der neue Präsident will die Rolle eines Schiedsrichters übernehmen und zu einer ausgleichenden und leitenden Kraft werden – wie einst Präsident Leonid Kutschma mit seiner sogenannten multivektoralen Politik.