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Belarus: Warum man dem “Interview” von Roman Protasewitsch im Staatsfernsehen nicht trauen sollte

Der belarussische staatliche TV-Kanal “ONT” hat ein “Interview” mit dem inhaftierten Blogger Roman Protasewitsch ausgestrahlt. Geführt wurde es vom Direktor des Senders, Marat Markow, höchstpersönlich. Der nach einer erzwungenen Landung einer Ryanair-Maschine in Minsk festgenommene Protasewitsch, Mitbegründer des Telegram-Kanals “Nexta”, “gesteht” in dem “Interview”, das eher einer Vernehmung gleicht, im Jahr 2020 unerlaubte Proteste organisiert zu haben. Das Video ist auf YouTube zu sehen und dauert über anderthalb Stunden. Angeblich, so der Moderator, habe das “Gespräch” über vier Stunden gedauert.

Was sagt Protasewitsch in dem “Interview”?

Zu Beginn des “Gesprächs” betont Protasewitsch, der in Belarus in einem KGB-Untersuchungsgefängnis sitzt, angeblich freiwillig dem “Interview” zugestimmt zu haben und sich “gut” zu fühlen. Er sagt auch mit Nachdruck, dass er vor der Aufzeichnung beim Sender nicht in der Maske gewesen sei. Gleichzeitig stellt die belarussische Zeitung “Nascha Niwa” fest, dass an Protasewitschs Handgelenken Druckstellen von Handschellen zu sehen sind. Am Ende des “Gesprächs” bedeckt Protasewitsch emotional sein Gesicht mit beiden Händen und weint.

Er sagt mehrmals, bei den Ermittlungen aktiv mitzuarbeiten. Protasewitsch gibt an, seine “Schuld” gemäß Artikel 342 des Strafgesetzbuches der Republik Belarus (Organisation unerlaubter Aktionen) eingestanden zu haben, und zwar gleich nachdem gegen ihn Vorwürfe erhoben und ihm entsprechende Dokumente vorgelegt wurden, die angeblich seine Beteiligung an den Aktionen belegen, die ihm zur Last gelegt werden. 

“Ich gebe offen zu. Ich war einer von denen, die am 9. August Aufrufe veröffentlicht haben, auf die Straße zu gehen. Die von mir veröffentlichten Aufrufe trugen zu den Unruhen auf den Straßen bei und Minsk erlebte drei Tage Chaos”, sagt Protasewitsch über die Massenproteste in belarussischen Städten nach der Präsidentschaftswahl im August 2020.

Er sagt auch, er habe nichts mit dem von den belarussischen Behörden als extremistisch eingestuften Telegram-Kanal “BlackBookBelarus” zu tun, der Angaben über Sicherheitskräfte veröffentlicht. Zudem gibt er zu, dass seine mit ihm festgenommene Freundin Sofia Sapega, die angeblich Redakteurin des Telegram-Kanal “BlackBookBelarus” ist, in die Sache involviert ist.

Protasewitsch spricht ferner über die Finanzierung des Wahlkampf der belarussischen Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja, seine Reise in den Donbass und Litauens Haltung zur Oppositionsbewegung in Belarus. Außerdem gibt er zu, dass es Konflikte und gegenseitige Verdächtigungen innerhalb der belarussischen Opposition gibt.

Protasewitsch sagt auch, an Vorbereitungen eines “Attentats” auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko beteiligt gewesen zu sein: “Ich sollte das Bindeglied zwischen den Verschwörern und dem Hauptquartier von Tichanowskaja sein”, erläutert er und fügt hinzu, er sei von der belarussischen Opposition enttäuscht und wolle sich aus der Politik zurückziehen.

Der Gründer des oppositionellen Telegram-Kanals “Nexta” sagt zudem, er habe Lukaschenko viel kritisiert, jedoch später begriffen, dass er das Richtige tue, und dass er Lukaschenko “zweifellos” respektiere: “Anfangs habe ich ihn kritisiert, aber je mehr ich mich in die Politik begab, desto mehr wurde mir klar, dass viele der Dinge, für die Lukaschenko kritisiert wurde, in Wirklichkeit nur Versuche waren, Druck auszuüben. In vielen Momenten hat er gehandelt wie ein Mensch, der – verzeihen Sie mir den Ausdruck – stählerne Eier in der Hose hat.”

In dem “Interview” äußert Protasewitsch außerdem die Bitte, nicht zum Verhör an die selbsternannte “Volksrepublik Luhansk” im Osten der Ukraine ausgeliefert zu werden.

Zudem sagt er, er wisse schon welche Reaktionen es seitens seiner Kollegen auf dieses “Interview” geben werde. Über seinen Zustand während der erzwungenen Landung des Ryanair-Flugzeugs in Minsk sagt er, er habe sich gefühlt, “als würde er zum Schafott gehen”.

Warum darf man Protasewitschs Worten nicht trauen?

Es ist zu bezweifeln, dass die Äußerungen von Roman Protasewitsch ehrlich sind, da er sich in Zwangshaft befindet und Folterungen in dem Untersuchungsgefängnis nicht auszuschließen sind. Seine Eltern sind überzeugt, dass ihr Sohn dort misshandelt wurde.

Was sagen Protasewitschs Eltern? Unmittelbar nach dem “Interview” erklärte der Vater von Roman Protasewitsch gegenüber AFP, es habe ihm wehgetan, seinen Sohn so zu sehen: “Ich kenne meinen Sohn sehr gut und ich bin mir sicher, dass er so etwas nie gesagt hätte. Man hat ihn gebrochen und gezwungen, dies zu tun.”

Im Gespräch mit “Nastojascheje Vremja” sagte der Vater des Bloggers, das sogenannte “Interview” mit seinem Sohn sei “das Ergebnis einer Woche Folter”. Außerdem schließt er nicht aus, dass Roman unter Psychopharmaka gestanden habe. Der Vater des inhaftierten Journalisten sagte weiter: “Bei uns hat ein Moderator des Staatsfernsehens mehr Rechte als ein Anwalt, den man Roman seit über fünf Tagen verwehrt. Es ist wirklich schrecklich, was hier passiert. Für mich als Vater ist das sehr schwer. Wenn man dieses Video sieht, merkt man, dass Roman ständig einen inneren Kampf führt, zwischen dem, was er zu sagen hat und dem, was er niemals sagen würde. Das sieht man an seinem Gesicht sehr gut. Ich bin sicher, das dies die Folge seines mehr als einwöchigen Aufenthaltes in den Kerkern des KGB-Untersuchungsgefängnisses ist, von Schikane und Folter. Zuerst versuchten sie ihn zu erwürgen, dann schlugen sie ihn, jetzt sieht man Druckstellen von den Handschellen.” 

Protasewitschs Vater glaubt, sein Sohn sei eingeschüchtert und mit Psychopharmaka vollgestopft worden. Ihm zufolge ist es unklar, wo er sich derzeit befindet. Der Vater befürchtet, dass die belarussische Führung “vor nichts Halt machen wird”.

“Jetzt wird er von den staatlichen Medien als Neonazi, Faschist und Extremist bezeichnet, ohne jegliche Beweise dafür zu haben. Wo ist der Beweis, dass er ein Neonazi, Faschist und Extremist ist? Jetzt, wo Lukaschenko ihn festgenommen hat, beginnt die Suche danach: Wie kann man ihn in den Medien so darstellen, wie es das Regime will? Daher ist es nicht verwunderlich, dass man ihn zwingt, zu sagen, was gebraucht wird. Ich glaube kein Wort von dem, was mein Sohn sagt”, so Protasewitschs Vater.

Was sagt Swetlana Tichanowskajas Berater Franak Wjatschorka? Er sagte ebenfalls gegenüber “Nastojascheje Vremja”: “Wir haben jetzt zwei Roman Protasewitschs – einen in Freiheit und einen beim KGB. Das sind zwei verschiedene Personen. Was wir gehört und gesehen haben, ist ein ganz anderer Roman Protasewitsch. Da sagt er, was ihm aufgetragen wurde. Es ist klar, die Worte, die Formulierungen und die Art und Weise, wie er die Informationen präsentiert, und auch dieses Lob für Lukaschenko, das alles ist das Ergebnis von Folter, das Ergebnis seines psychischen und physischen Zustands, in den er versetzt wurde. Lukaschenko hat eine Folterkammer nicht nur für Einzelpersonen eingerichtet, sondern für das gesamte belarussische Volk.”

Wjatschorka betonte, egal was Roman Protasewitsch sagte und tue, man werde alles dafür tun, damit er wieder freikommt: “Denn er ist eine Geisel. Wenn ein Mensch eine Geisel ist, tut er verschiedene Dinge, und wir wissen nicht genau, was seine Motive sind und warum er auf die eine oder andere Weise spricht.”