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Selenskyj und die Oligarchen: Hat eine De-Oligarchisierung eine Chance?

Letzte Woche hat sich der Wolodymyr Selenskyj an das Volk gewandt und nochmals die große Bedeutung von Sanktionen gegen Wiktor Medwedtschuk bekräftigt. Der ukrainische Präsident machte auch deutlich, dass er die US-Sanktionen gegen Ihor Kolomojskyj unterstütze. Gleichzeitig nannte Selenskyj mehrere weitere Namen: Rinat Achmetow, Dmytro Firtasch, Wiktor Pintschuk und Petro Poroschenko. Ist dies der Beginn eines großen Kampfes gegen die Oligarchen des Landes? Wird Präsident Selenskyj auf diesem Weg Erfolg haben? Diesen Fragen geht ein Artikel von Roman Romanjuk und Roman Krawez nach, der von der Zeitung “Ukrajinska Prawda” veröffentlicht wurde. Hier sind die wichtigsten Thesen:

Wie alles begann: “anti-oligarchischer Kandidat”. 2019 stimmten die Wähler weniger für Wolodymyr Selenskyj, sondern eher für Wasyl Holoborodko, eine Figur, die der Schauspieler Selenskyj in der Fernsehserie “Diener des Volkes” spielte. Holoborodko, ein einfacher Lehrer, ein Mann des Volkes, bekommt in der Serie die Chance, das Land zu regieren und den alten Eliten zu zeigen, wo es lang geht.

In der politischen Realität musste Präsident Selenskyj jedoch sehr schnell nach Wegen suchen, um mit den Oligarchen zu koexistieren. Der neue Präsident versuchte lange, eine Politik der gleichen Distanz zu den verschiedenen Oligarchen aufrechtzuhalten.

Nach alter ukrainischer Tradition versuchten die Oligarchen abwechselnd, die Rolle des Lieblings des neuen Präsidenten einzunehmen. Pintschuk, Kolomojskyj, Achmetow, Ljowotschkin – auf die eine oder andere Weise haben sie sich in den letzten zwei Jahren an den Präsidenten und sein Umfeld angenähert, doch keinem von ihnen ist es gelungen, Teil davon zu werden.

“Nachnamen machen hier keinen Unterschied. Es sind Medwedtschuk, Kolomojskyj, Poroschenko, Achmetow, Pintschuk, Firtasch oder sonst jemand. Wichtig ist, ob man bereit ist, legal und transparent zu arbeiten, oder weiterhin Monopole schaffen, die Medien kontrollieren, Einfluss auf Abgeordnete und andere Beamte nehmen will. Das erste wird unterstützt, mit dem letzteren ist es vorbei”, sagte Selenskyj und begrüßte die US-Sanktionen gegen seinen ehemaligen Geschäftspartner und Anhänger Ihor Kolomojskyj.

Ist ein echter Krieg gegen Oligarchen unmöglich? Die Legitimität des Präsidenten, eines ehemaligen Komikers, und damit auch der gesamten gegenwärtigen Regierung, basiert auf Selenskyjs hohen persönlichen Beliebtheitswerten. Ein offener Krieg gegen die “alten” oligarchischen Gruppen ist in erster Linie ein Krieg gegen ihre Medienimperien. Zu was diese in der Lage sind, kann Selenskyj an Arsenij Jazenjuk oder Petro Poroschenko sehen, deren Umfragewerte seit Jahren Minusrekorde brechen. Für Selenskyjs Machtausbau wäre eine solche Entwicklung eine Katastrophe. Daher will der Präsident lieber eine friedliche Koexistenz im Rahmen klarer Vereinbarungen. Er mischt sich nicht in die Geschäfte ein, sondern nimmt die Rolle eines Vermittlers ein, eines Richters der letzten Instanz. Doch in letzter Zeit weicht diese Rolle des Vermittlers einer aktiveren Rolle.

Der Hauptfeind Poroschenko. Unmittelbar nach Selenskyjs Wahl zum Präsidenten des Landes war klar, dass ein Konflikt mit Poroschenko und Medwedtschuk, aber auch mit Kolomojskyj unvermeidlich sein wird. Poroschenko war als Amtsvorgänger ein natürlicher Rivale für Selenskyj, dessen Wählern man nicht erklären muss, warum Poroschenko ein Feind ist. Der Punkt ohne Wiederkehr im Verhältnis zwischen Poroschenko und Selenskyj war der Wahlkampf 2019.

Nach den Wahlen war Poroschenko als erfahrener Politiker bereit zu einem situativen “Waffenstillstand”. Aber der neue Präsident hatte all die Beleidigungen gegen ihn nicht vergessen. Seitdem gab es mit unterschiedlichem Erfolg immer wieder neue Untersuchungen gegen den Ex-Präsidenten. Nach Angaben der “Ukrajinska Prawda” arbeiten die Behörden hart daran, eine Beteiligung von Poroschenko an Medwedtschuks Machenschaften zu beweisen. Noch liegen aber keine Ergebnisse vor.

Anscheinend hat sich Selenskyj zur Vorbereitung auf eine zweite Amtszeit die proeuropäische Nische in der ukrainischen Politik ausgesucht. Daher bleibt ihm nichts anderes übrig, als Poroschenko aus ihr zu verdrängen.

Während Strafsachen wegen Kunstgemälden oder Personalentscheidungen während der Präsidentschaft von Poroschenko auf dessen patriotisch gestimmten Wähler kaum Einfluss haben, könnte der Nachweis über gemeinsame Geschäft mit Medwedtschuk, einem engen Freund des russischen Staatschefs Wladimir Putin, der Patenonkel von Medwedtschuks Tochter ist, Poroschenko Unterstützung bei seinen Wählern kosten.

Der zweitwichtigste Feind Medwedtschuk. Selenskyjs zweiter Hauptfeind ist Wiktor Medwedtschuk, einer der Anführer der prorussischen Partei “Oppositions-Plattform – Fürs Leben”. Mit ihm begann Selenskyjs wirklicher Krieg gegen die Oligarchen. Im Gegensatz zu Poroschenko ist Medwedtschuk ein neuer Gegner des jetzigen Präsidenten.

Im Jahr 2019 half Putins Freund in gewisser Weise Selenskyj, Poroschenko zu besiegen. Jedenfalls waren die von Medwedtschuk kontrollierten TV-Kanäle “112” und “NewsOne” sehr positiv gegenüber Selenskyj gestimmt und stellten ihn als letzte Chance dar, Poroschenko zu stürzen. Unmittelbar nach der Wahl änderte sich dies aber und die Sender begannen gegen Selenskyj zu arbeiten.

Während Selenskyjs Umfragewerte allmählich sanken, wuchs zugleich die Zustimmung zur “Oppositions-Plattform – Fürs Leben” und Poroschenkos Partei “Europäische Solidarität”. Um diesen Trend umzukehren, musste Präsident Selenskyj unerwartete Schritte unternehmen. Er zog dafür den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat des Landes hinzu.

Nach der Verhängung von Sanktionen gegen Medwedtschuk und seinen engen Geschäftspartner, den Abgeordneten Taras Kosak, wurden entsprechende Maßnahmen von Selenskyj auch gegen seinen Amtsvorgänger erwartet. Sogar Poroschenko selbst war so nervös, dass er nach einer Fake-Meldung über Sanktionen den TV-Sender “Prjamyj” auf sich überschreiben ließ.

Mit dem Angriff auf Medwedtschuk bereitet Selenskyj nicht nur den prorussischen Kräften Probleme, zugleich nimmt er seinem Amtsvorgänger die Gelegenheit, sich als “größter Patriot” darzustellen. Dies ermöglicht Selenskyj, mit prowestlichen Wählern zusammenzuarbeiten, von denen ein Teil nicht mehr für Poroschenko stimmen will.

Der drittwichtigste Feind Kolomojskyj. Zu Beginn von Selenskyjs Amtszeit als Präsident sah es aus, als würde die Sympathie zwischen ihm und Kolomojskyj halten. Doch die Ereignisse der letzten Wochen verändern alles. Mit jeder neuen Sitzung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates gibt Selenskyj mutigere Erklärungen ab, und immer häufiger folgen unerwartete Ereignisse.

So zwang das Nationale Anti-Korruptions-Büro (NABU) ein Flugzeug zur Landung, mit dem Verdächtige im Ermittlungsfall um die verstaatlichte “PrivatBank” aus dem Land fliehen wollten. Spezialeinheiten gingen gegen das Management des Energieversorgers “Centrenergo” vor. Und dann wurde gemeldet, die Generalstaatsanwaltschaft werde Verdacht gegen Kolomojskyj selbst erheben. Zeitlich fiel dies mit klaren Signalen aus Washington zusammen, wo Außenminister Antony Blinken persönlich Visa-Sanktionen gegen den Oligarchen aus der ukrainischen Stadt Dnipro ankündigte.

Der offene Krieg gegen Kolomojskyj könnte zum Wendepunkt in Selenskyjs politischem Leben werden. Wenn zu dem Krieg gegen Medwedtschuk und Poroschenko eine weitere Front gegen Kolomojskyj hinzu kommt, wird es unglaublich schwer sein, in einer solchen Konfrontation zu bestehen. Sollte aber diese Front nicht eröffnet werden, werden Selenskyjs Überlebenschancen noch geringer sein.