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Proteste in Belarus: Was kann die Ukraine tun?

Die Präsidentschaftswahlen in Belarus sowie die Proteste unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse haben die ukrainische Gesellschaft sehr beunruhigt. Die gewaltsame Auflösung von Massenprotesten in Belarus erinnert viele an den Maidan von 2013-2014, als es den Ukrainern gelang, die korrupte Regierung mit Präsident Viktor Janukowytsch an der Spitze loszuwerden. Das Ukraine Crisis Media Center (UCMC) hat eine Diskussionsrunde über die Ereignisse in Belarus organisiert. Nachfolgend sind die wichtigsten Thesen sowie die offizielle Position der Ukraine, des ukrainischen Präsidenten und der Regierungspartei “Diener des Volkes” aufgeführt.

Offizielle Reaktion der Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich zurückhaltend zu den Wahlen in Belarus und zum brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten. In einer Erklärung betonte er, dass nicht jeder in Belarus die von den Behörden verkündeten Wahlergebnisse akzeptiere. Selenskyj rief dazu auf, den Menschen ihr Recht auf Freiheit zu gewährleisten.

In oppositionellen belarussischen Medien und Telegram-Kanälen wurde Selenskyjs Erklärung als eine Art Unterstützung für die belarussische Opposition gewertet. “Unsere belarussischen Nachbarn machen gerade schwierige Zeiten durch. Sie versuchen, den Vektor ihrer weiteren Entwicklung zu bestimmen. Und das ist sehr schwierig. Es ist offensichtlich, dass nicht jeder im Land dem verkündeten vorläufigen Wahlergebnis zustimmt”, so Selenskyj.

Er betonte, dass “jedwede Legitimation ausschließlich aus öffentlichem Vertrauen resultiert”. Die Zweifel seien bei den Menschen aber so groß, dass dies ein direkter Weg zu Gewalt, Konflikten und wachsendem öffentlichen Protest sei. “Daher kann den Bürgern der Republik Belarus nur ein breiter Dialog ermöglichen, aus dieser schwierigen Krisensituation herauszukommen”, so Selenskyj.

Der ukrainische Präsident fordert die belarussischen Behörden auf, sich so weit wie möglich an die allgemein anerkannten demokratischen Standards der zivilisierten Welt zu halten und “dem Volk seine Rechte und Freiheiten in vollem Umfang zu gewährleisten”.

Reaktion der ukrainischen Regierungspartei. Einige Abgeordnete der Partei “Diener des Volkes” haben Aleksandr Lukaschenko gratuliert. “Ich gratuliere Ihnen zum Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in der Republik Belarus”, schrieb der Abgeordnete Jewhen Schewtschenko aus der Region Saporischschja. Auch Oleksandr Dubinskyj, Abgeordneter “Diener des Volkes”, äußerte Unterstützung für Lukaschenko, genauso wie der Anführer der prorussischen Partei “Oppositionelle Plattform – Fürs Leben”, Wadym Rabinowitsch, der mit dem ukrainischen Oligarchen und Putin-Freund Viktor Medwedtschuk immer wieder nach Moskau reist und sich häufig mit der russischen Führung trifft. Glückwünsche erhielt Lukaschenko zudem vom Führer der ukrainischen Kommunisten, Petro Symonenko, der ihm in einem lokalen TV-Sender gratulierte.

Eine Gruppe von Abgeordneten der “Diener des Volkes”, Vertreter des sogenannten liberalen Flügels, äußerten hingegen Unterstützung für das belarussische Volk und sein Recht auf freie Wahlen. “Wir unterstützen den Willen des belarussischen Volkes, auf demokratische Weise Vertretungsorgane zu wählen, einschließlich des Präsidenten”, heißt es in einer Erklärung der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Partei im ukrainischen Parlament, Jewhenija Krawtschuk.

Experten: Die Protest-Stimmung in Belarus könnte abnehmen. Die Teilnehmer der Diskussion im UCMC äußerten sich besorgt darüber, dass das Protestpotential der belarussischen Gesellschaft in naher Zukunft sinken könnte, aufgrund dessen, dass Swetlana Tichanowskaja, Lukaschenkos Hauptgegnerin bei den Wahlen, das Land verlassen hat und sich derzeit im benachbarten Litauen aufhält.

Olena Talstaja, Ko-Vorsitzende der belarussischen Solidaritätsbewegung “Razam”, betonte in diesem Zusammenhang, dass die Demonstranten derzeit nicht eine oppositionelle Figur eine, sondern eine nationale Idee. “Das belarussische politische Feld wurde geräumt und die demokratische Opposition gelähmt. Bei dieser Wahl wurden künstliche Kandidaten nominiert, und unter normalen politischen Bedingungen wären die Menschen Leuten wie Babariko oder Zepkalo nicht gefolgt, die ihre Verbindungen zu Russland nicht verbergen. Tichanowskaja hat eine einende Rolle gespielt, ihre Aussagen gaben dem Volk Hoffnung auf eine legitime Lösung. Aber jetzt eint die Menschen nicht Tichanowskaja, sondern die nationale Idee. Es ist egal, was sie sagt. Alles, was sie getan hat, entsprach den Plänen der Polittechnologen des Kremls”, sagte sie.

Sergej Sys von der belarussischen Menschenrechtsorganisation “Wjasna” sagte im UCMC, eine Reihe von Unternehmen in Belarus seien in einen Streik getreten. Ihm zufolge liegen der Organisation derzeit Informationen über 260 Opfer von Polizeigewalt vor, doch die reale Anzahl sei unbekannt. “Die Situation ändert sich ständig. Wir brauchen jetzt mehr denn je die Unterstützung unseres nahen Nachbarn und Freundes Ukraine. Es besteht das Risiko, dass das Protestpotential abnimmt, aber es gibt Informationen, wonach eine ganze Reihe von Unternehmen einen Streik wagen”, sagte er.

Die Ukraine muss das belarussische Volk unterstützen. “Wir sollten nicht den Präsidenten von Belarus unterstützen, sondern das belarussische Volk, das sein Recht auf demokratische Wahlen verteidigt”, sagte während der Diskussionsrunde im UCMC Mykola Knjaschyzkyj, Abgeordnete der Partei “Europäische Solidarität” im ukrainischen Parlament. Er ist Mitglied der interfraktionellen Vereinigung “Für ein demokratisches Belarus”. “Die Reaktion einiger ukrainischer Politiker und Medien zur Lage in Belarus ist seltsam, weil sie denken, dass Lukaschenko zwischen dem Kreml und Europa balanciert und seine Präsidentschaft für die Ukraine vor Vorteil ist. Aber wir müssen uns von anderen Prinzipien leiten lassen. Wir sind ein Volk, das seine Freiheit auf dem Maidan und auf dem Feld des russisch-ukrainischen Krieges errungen hat. Wir müssen uns dieses Preises bewusst sein. Wir, die für europäische Werte stehen, die in der ukrainischen Verfassung als Kurs für die europäische und atlantische Integration verankert sind, dürfen vor den antidemokratischen Gräueltaten im Nachbarland die Augen nicht verschließen”, fügte er hinzu.

Die Ukraine kann eine Debatte im UN-Sicherheitsrat initiieren. Roman Bessmertnyj, ehemaliger ukrainischer Botschafter in Belarus, betonte im UCMC, die Ukraine sollte unverzüglich eine Diskussion über die Lage in Belarus im UN-Sicherheitsrat und im Europarat sowie die Einberufung der OSZE initiieren. Seiner Meinung nach sollte die Ukraine ihre Migrationspolitik in Bezug auf Belarus ändern und die Grenze öffnen. Dies sei im Zuständigkeitsbereich des Ministerkabinetts und des Präsidenten der Ukraine. “Der Kreml braucht eine unbedeutende Person, die in Belarus stationiert ist, um die volle Kontrolle über dieses Gebiet ausüben zu können. Lukaschenko ist nicht legitim, denn es kann nicht sein, dass so viele Menschen gegen eine Person protestieren, die angeblich von 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt wird. Der Kreml könnte bereit sein, Belarus zu annektieren und russische Truppen in das Land zu schicken. Das wäre der Beginn eines Kontinentalkrieges. Darunter würden die baltischen Länder und die Ukraine leiden”, betonte Bessmertnyj.

Belarus braucht Informations-Unterstützung. Laut den Teilnehmern der Runde im UCMC braucht die belarussische Gesellschaft heute Hilfe bei der maximalen Verbreitung von Informationen über die tatsächlichen Ereignisse in Belarus. “Das erste, was wir brauchen, ist eine Unterstützung im Informationsbereich, dass nicht alles so gut ist wie im Fernsehen gezeigt wird. Über viele Jahre pflegte die Staatsmacht das Image, Belarus sei ein prosperierendes Land mit guten Straßen und effizienten Unternehmen, damit niemand uns beachtet. Wir bitten Journalisten aus allen Ländern, maximal dazu beizutragen, dass verbreitet wird, was heute in Belarus passiert”, sagte die belarussische Videobloggerin Jelena Filatowa im UCMC.