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Auf freiem Fuß: Vorbeugende Maßnahme gegen Poroschenko verschoben

Am 18. Juni sollte über eine vorbeugende Maßnahme gegen den ukrainischen Ex-Präsidenten Petro Poroschenko entschieden werden. Die Staatsanwaltschaft forderte zunächst eine Festnahme mit der Möglichkeit der Hinterlegung einer Kaution in Höhe von zehn Millionen Hrywnja, schlug aber dann vor, Poroschenko zu Maßnahmen zu verpflichten, die vom Ermittlungsrichter auferlegt werden. Poroschenko wird unter anderem vorgeworfen, als Präsident im Jahr 2018 im Umgehung aller Verfahren Serhij Semotschko als Vizechef der Auslandsaufklärung durchgesetzt zu haben. Vor zwei Jahren leitete der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) gegen Poroschenko ein Strafverfahren wegen “Hochverrats” ein.

Was ist in der letzten Woche passiert? Am Donnerstag, dem 18. Juni, erschien Petro Poroschenko vor Gericht, wo über eine vorbeugende Maßnahme gegen ihn entschieden werden sollte. Zwei Tage zuvor war sein Vater, Oleksij Poroschenko, im Alter von 84 Jahren gestorben. Er soll in den nächsten Tagen beigesetzt werden.

Die Strafprozessordnung erlaubt eine Verschiebung einer Gerichtsverhandlung im Falle des Todes oder der Beerdigung eines nahen Verwandten. Dazu müssen dem Gericht die entsprechenden Unterlagen vorgelegt werden. Aber ein entsprechendes Gesuch von Poroschenkos Anwälten an das Gericht gab es gar nicht. Iryna Heraschtschenko, Ko-Vorsitzende der Fraktion von Poroschenkos Partei “Europäische Solidarität”, teilte dem Sender “Hromadske” mit, dass die Beerdigung am 20. Juni stattfinden wird.

Poroschenkos Anwalt Ilja Nowikow hatte noch bei einem Briefing am 16. Juni erklärt: “Trotz der Tatsache, dass diese Verfolgung offensichtlich politischer Natur ist, und obwohl Petro Poroschenkos Vater heute Abend verstorben ist, wird er am Donnerstag vor Gericht erscheinen. Die Sitzung wird stattfinden. Dies ist eine sehr, sehr prinzipielle Frage.”

Der Generalstaatsanwaltschaft war offenbar klar, welch emotionalen Folgen eine Gerichtsverhandlung an diesem Tag gehabt hätte. Daher erschien noch am Morgen des 18. Juni eine Mitteilung der Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa, wonach sie beim Gericht im Kiewer Bezirk Petschersk beantragt habe, die Anhörung zu verschieben. Angeblich sei das bereits am 16. Juni erfolgt.

Politische Unzweckmäßigkeit. Wenediktowa behauptet, der Fall gegen Petro Poroschenko sei nicht politisch motiviert. Aber die Sache, die das Staatliche Ermittlungsbüro und die Generalstaatsanwaltschaft für eine Verhaftung von Poroschenko ausgesucht haben, überrascht sogar Gegner des Ex-Präsidenten, dem wegen eines “illegalen Erlasses” im Fall Semotschko sieben bis zehn Jahre Gefängnis drohen.

Andrij Portnow, der Vizechef der Administration von Poroschenkos Amtsvorgänger Viktor Janukowytsch war, erklärte in diesem Zusammenhang, aus irgendeinem Grund habe man für Poroschenko einen Fall ausgesucht, der hoffnungslos, unlogisch und schwer zu beweisen sei. Vor allem sei unverständlich, welche Gefahr der Fall für die Öffentlichkeit dargestellt habe. “Ich glaube nicht, dass das Gericht ihn in diesem Fall in Gewahrsam nehmen und auch noch eine Kaution festlegen wird, da es immer noch Gesetze gibt, auf die man sich stützen muss.” Portnow zufolge erlaubt dieser Fall nur all denjenigen, einschließlich anderen Staats- und Regierungschefs, von politischen Repressionen zu sprechen. Insbesondere wenn man berücksichtige, dass gegen den früheren Leiter der Auslandsaufklärung, Jehor Boschok, der Serhij Semotschko zu seinem Stellvertreter ernannt habe, keine vorbeugende Maßnahmen ergriffen worden seien. Trotz des gegen ihn bestehenden Verdachts ist Boschok weiterhin stellvertretender Außenminister. Zu dem Amt wurde er von Präsident Wolodymyr Selenskyj berufen.

Massenweise Verfahren gegen Poroschenko. Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa zufolge wurden die meisten Anträge beim Staatlichen Ermittlungsbüro gegen Petro Poroschenko von Andrij Portnow eingereicht. Im August 2019 gab es zwölf, in denen Poroschenko als Zeuge geführt wird. Inzwischen gibt es aber gegen ihn doppelt so viele Fälle. Sie werden schon von denjenigen durcheinander gebracht, die die Strafverfolgung von Poroschenko aufmerksam beobachten. 

So gibt es unter all den Fällen gegen Poroschenko sogar einen wegen Rowdytums. Dem Anwalt Ilja Nowikow zufolge hat sich eine unbekannte Person darüber beschwert, Poroschenko habe im Februar 2019 während eines Arbeitsbesuchs in Saporischschja und Tscherwonohrad randaliert. Details dazu sind aber keine bekannt. “Dies zeigt die allgemeine Tendenz, dass die Staatsanwaltschaft bereit ist, ein Verfahren wegen absolut jeder Begebenheit einzuleiten, in der Hoffnung, dass irgendwo etwas daraus wird”, sagte Nowikow dem deutschen Sender “DW”. Derzeit seien ihm 27 Strafverfahren gegen Poroschenko bekannt, aber es gebe noch “eine Reihe von unbekannten”.

Verfahren wegen Tomos. Poroschenko teilte am 18. Juni mit, dass gegen ihn ein weiteres Verfahren wegen “Anstiftung zu religiösem Hass” laufe – im Zusammenhang mit der Gewährung des Tomos, der Autokephalie für die Ukrainische Orthodoxe Landeskirche, seitens des Patriarchen von Konstantinopel. Das Staatliche Ermittlungsbüro bestätigte, dass das Verfahren vom Sicherheitsdienst der Ukraine im Jahr 2019 eröffnet wurde. Gleichzeitig stellt das Ermittlungsbüro aber nicht die Legitimität der Gründung der Orthodoxen Landeskirche der Ukraine in Frage. Das Verfahren gegen Poroschenko sei auf Ersuchen des Vorstehers der im Zuge der orthodoxen Kirchenvereinigung aufgelösten Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, Filaret, eingeleitet worden.

Was hat Poroschenko vor Gericht gesagt? Poroschenko forderte das Bezirksgericht auf, den “Müll”, der ihm vorgeworfen werde, an die Generalstaatsanwaltschaft zurückzugeben. Er sagte, ihm sei klar, warum die Staatsanwaltschaft keine Festnahme beantragt habe, sondern nur seine Bewegungsfreiheit einschränken wolle. Es solle verhindert werden, dass er “die Welt mobilisiert, um die Ukraine zu verteidigen”. Der Politiker bezeichnete die 27 Verfahren gegen ihn als illegal und die Vorwürfe seitens der Generalstaatsanwaltschaft als unsinnig. Der Ex-Präsident wandte sich an das jetzige Staatsoberhaupt und betonte, er und sein Team seien keine Feinde von Wolodymyr Selenskyj. Poroschenko warnte ihn aber vor gesetzwidrigen Entscheidungen: “Niemand hat Angst vor Ihnen, weder in diesem Saal noch auf der Straße, auch nicht vor Ihren Anweisungen, Poroschenko hinter Gitter zu bringen. Dies ist eine Straftat, in der Ukraine, in Europa und in der Welt.”

Wie geht es weiter? Vorerst hat das Gericht die Entscheidung über eine vorbeugende Maßnahme gegen Poroschenko auf den 1. Juli verschoben.