Vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden Lage im Donbass befürchten Beobachter erneut, dass der Konflikt im Osten der Ukraine auftaut. Russische Truppen, die in Grenzgebieten zur Ukraine Manöver abgehalten haben, beeilen sich nicht, diese zu verlassen. Dorthin und auf die 2014 von Russland annektierte Krim werde sogar massiv Militärtechnik verlegt, heißt es in russischen sozialen Netzwerken. Gleichzeitig führte die ukrainische Armee in der Nähe der Krim Übungen mit dem Mehrfachraketenwerfersystem “Smertsch” und dem Flugabwehrraketensystem “Osa” durch. Internationale und ukrainische Medien berichten von zunehmenden Spannungen an der ukrainisch-russischen Grenze. Was genau passiert dort und womit muss man rechnen? Das Ukraine Crisis Media Center hat die wichtigsten Informationen der Medien zusammengefasst:
Was sagt die ukrainische Armee? Am 30. März hörte das ukrainische Parlament einen Bericht des Oberbefehlshabers der Streitkräfte der Ukraine, Ruslan Chomtschak, im Zusammenhang mit der Eskalation im Donbass an. Der ukrainische Generalstabschef erklärt, zwar sei eine Konzentration russischer Truppen zu beobachten, doch es müsse nicht schon “morgen” mit Krieg gerechnet werden.
In seiner Rede vor dem Parlament sagte Chomtschak, dass sich mit dem Stand vom 30. März insgesamt 28 taktische Bataillonsgruppen des Feindes entlang der russisch-ukrainischen Grenze und in den besetzten Gebieten des Donbass sowie auf der Krim befinden würden. Das ukrainische Kommando erwarte, dass Russland bald “bis zu 25 weitere taktische Bataillonsgruppen in der Nähe der ukrainischen Grenze und auf der Krim zusammenziehen wird, was zusammen mit den bestehenden Einsatzkräften und Mitteln in der Nähe der Staatsgrenze zur Ukraine eine Bedrohung für die militärische Sicherheit des Staates darstellt.” Chomtschak sagte auch, dass Russland seit der Besetzung der Krim im Jahr 2014 seine militärische Präsenz auf der Halbinsel auf 32.700 Soldaten erhöht habe.
Was sagt der ukrainische Geheimdienst? Nach Angaben der Hauptverwaltung für Aufklärung des Verteidigungsministeriums der Ukraine schließt die Russische Föderation derzeit die Vorbereitung einer Reihe von Maßnahmen ab, um die Ukraine dazu zu bewegen, auf das feindliche Vorgehen der Besatzer entlang der Kontaktlinie im Osten der Ukraine militärisch zu reagieren.
“Russland plant auch, seine militärische Präsenz in den sogenannten ‘Volksrepubliken Donezk und Luhansk’ durch die Verlegung regulärer Einheiten der russischen Streitkräfte auszubauen, wobei dies mit der Notwendigkeit begründet werden soll, die russischen Bürger in den selbsternannten Republiken zu schützen”, heißt es seitens der ukrainischen Aufklärung. In Wirklichkeit handelt es sich dort aber um ukrainische Staatsbürger, denen in den letzten Jahren zwangsweise russische Pässe ausgegeben wurden.
“Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die russischen Besatzungstruppen versuchen werden, in das Gebiet der Ukraine vorzudringen. Es ist auch bekannt, dass russische diplomatische Vertretungen im Ausland und russische Medien den Auftrag erhalten haben, bereit zu sein, der Weltgemeinschaft Informationen über angeblich aggressive Aktionen der ukrainischen Streitkräfte und “russische Maßnahmen zur Friedenssicherung” als Reaktion darauf zu erläutern.
Erklärung des ukrainischen Präsidenten. Wolodymyr Selenskyjs Erklärung zur Eskalation der Lage an der Grenze war zurückhaltend. “Das Spiel mit Muskeln in Form von Militärübungen und möglichen Provokationen entlang der Grenze ist eine für Russland schon typische Sache”, sagte er. Russland wolle so eine Atmosphäre der Bedrohung schaffen und während der Gespräche über einen Waffenstillstand Druck ausüben.
Selenskyj betonte: “Wir sind immer auf Provokationen gefasst. Jede Nachricht vom Tod eines Soldaten erfüllt die Familien und Angehörigen, alle Ukrainer und mich als Präsidenten mit Schmerz. Deshalb verhandeln wir nach wie vor über einen Waffenstillstand als dem schnellsten taktischen Schritt. Unsere Strategie ist auf jeden Fall, Frieden und die Rückkehr unserer Bürger und Gebiete zu erreichen.”
Erklärung des Außenministeriums der Ukraine. Das Außenamt bewertet das Vorgehen Russlands als “systematische und größte Eskalation der letzten Jahre”. “Moskau muss die militärische Zuspitzung beenden und seinen Willen für eine politisch-diplomatische Regelung und einen Waffenstillstand unverzüglich und bedingungslos bekräftigen”, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.
Was sagt Russland? Am 1. April sprach der russische Außenminister Sergej Lawrow erneut von einer “Zerstörung der Ukraine”. “Diejenigen, die versuchen werden, einen neuen Krieg im Donbass zu entfesseln, werden die Ukraine zerstören”, zitiert ihn die russische Nachrichtenagentur “Interfax”. Ferner sagte Lawrow: “Laut von Medien veröffentlichten Informationen verstehen die Militärs zum größten Teil, wie schädlich jegliche Maßnahmen zur Lösung eines heißen Konflikts sind. Ich hoffe wirklich, dass sie nicht von Politikern angestachelt werden, die wiederum vom Westen mit den USA an der Spitze aufgestachelt werden.”
Zuvor hatte der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, auf eine Frage bezüglich der Zunahme der militärischen Präsenz Russlands an den Grenzen zur Ukraine und auf der Krim gesagt, die Russische Föderation bewege ihre Streitkräfte auf ihrem Territorium nach eigenem Ermessen. Dies solle niemanden beunruhigen und dies stelle auch für niemanden eine Bedrohung dar. Peskow zufolge ergreift Russland notwendigen Maßnahmen, um seine Grenzen zu sichern. Auf die Nachfrage, ob die Soldaten, die an die Grenze verlegt werden, nicht plötzlich “ihrem Herzen folgen” und den selbsternannten “Republiken im Donbass” “helfen” könnten, sagte Peskow, dass russische Truppen niemals am Krieg im Osten der Ukraine beteiligt gewesen seien und dies auch nie sein würden.
Es sei daran erinnert, dass diese Behauptung des Kremls wiederholt widerlegt wurde. Es gibt längst Beweise für die Präsenz russischer Militärs innerhalb der prorussischen Verbände in den Jahren 2014 und 2015 und auch danach.
Gespräche zwischen den Stabschefs: USA, Russland, Ukraine. Am 31. März telefonierte US-General Mark Milley, Vorsitzender der gemeinsamen Stabschefs, mit dem Generalstabschef der russischen Streitkräfte, Walerij Gerasimow. Das Gespräch fand auf Initiative der amerikanischen Seite statt, betonte das russische Verteidigungsministerium.
Beide Seiten haben nur wenige Details über das Gespräch bekannt gegeben. Der US-Anruf erfolgte aber, nachdem der ukrainische Generalstabschef Ruslan Chomtschak vor dem ukrainischen Parlament erklärt hatte, Russland würde seine Streitkräfte in der Nähe zur ukrainischen Grenze verstärken. Nach Angaben der amerikanischen Seite sprachen Milley und Gerasimow “über Fragen von beiderseitigem Interesse”. Dies war bei weitem nicht ihr erstes Gespräch.
Am 31. März sprach General Milley auch mit seinem ukrainischen Amtskollegen. Über dieses Gespräch ist ebenfalls wenig bekannt. Der ukrainische Generalstab teilte mit, General Chomtschak habe seinen Gesprächspartner “über die aktuelle Sicherheitslage in der Ukraine und an ihren Grenzen” informiert.
Unabhängig davon hieß es aus Kiew, General Milley habe die “unerschütterliche Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Souveränität, territoriale Integrität und Unverletzlichkeit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen bekräftigt”.
Dem Pentagon ist die Bewegung russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine bekannt. Die USA hätten diese Frage mit ihren NATO-Verbündeten besprochen, sagte John Kirby, Sprecher des Pentagons, auf die Frage, warum General Milley mit Russland und der Ukraine telefoniert habe.
US-Reaktion auf die Eskalation im Donbass. Das Europäische Kommando der Vereinigten Staaten erhöhte ihre Bedrohungseinschätzung in der Region auf die höchste Stufe – von “mögliche Krise” auf “potenziell bevorstehende Krise”, nachdem die Besatzer im Donbass gegen den Waffenstillstand verstoßen und vier ukrainische Soldaten getötet hatten und Russland damit begann, Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzuziehen.
Auf Initiative der amerikanischen Seite fand zudem ein Telefonat des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin mit seinem ukrainischen Amtskollegen Andrij Taran statt. Sie besprachen Möglichkeiten zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und den Vereinigten Staaten in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung.
Austin äußerte sich besorgt über das jüngste Vorgehen der Russischen Föderation und versicherte dem Verteidigungsminister der Ukraine seine Bereitschaft, die Ukraine im Kontext der anhaltenden Aggression Russlands im Donbass und auf der Krim zu unterstützen. Der US-Verteidigungsminister betonte, dass die Vereinigten Staaten im Falle einer Eskalation der russischen Aggression die Ukraine nicht alleine lassen und die Verwirklichung der aggressiven Bestrebungen der Russischen Föderation gegenüber der Ukraine nicht zulassen werden.
Taran sprach über die systematische Eskalation der Sicherheitslage im Einsatzgebiet der ukrainischen Vereinten Kräfte und die fehlende Bereitschaft der Russischen Föderation, ihren Willen für einen Waffenstillstand zu bestätigen. Er sprach auch über die Tötung von vier ukrainischen Soldaten am 26. März.
Videokonferenz zwischen Merkel, Macron und Putin. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron haben mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Videokonferenz abgehalten, in deren Verlauf unter anderem die Situation im Osten der Ukraine besprochen wurde.
Nach dem Gespräch veröffentlichten die Seiten Pressemitteilungen, die sich in Ton und Inhalt voneinander unterscheiden. Während Frankreich und Deutschland dazu aufrufen, die Verhandlungen im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine und Russland) zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen voranzubringen, beharrt der Kreml darauf, dass Kiew Gespräche mit Vertretern der von Moskau kontrollierten illegalen “Verwaltungen” der sogenannten “Volksrepubliken” aufnehmen soll.