Diskussion „Donbass: Was änderte sich während des Jahres“ – Aktivisten und Experten suchen nach Wegen, um den Konflikt zu lösen

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Kiew, 27. März 2015 – Volle Isolation – das ist, was den Donbass 2015 vom Vorjahr unterscheidet. Das erklärte Diana Berg, die Co-Organisatorin der Bürgerbewegung „Donezk gehört zur Ukraine!“ und Flüchtling von Donezk, während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center. Nach ihren Worten war das vergangene Jahr schrecklich, obwohl es auch Hoffnung gab. Heute befinden sich die Bewohner des Donbass „isoliert wie auf einer Insel“, und damit die Beziehungen nicht vollständig abbrechen, ist es notwendig, wieder soziale Kontakte zu knüpfen. „Absolut alles hat sich geändert. Wir verloren Häuser und Arbeit. Es gibt sogar das Gefühl, dass du dich nach einer geliebten Tasse sehnst. Früher kam einem das niemals in den Sinn“, ergänzte Diana Berg. Sie berichtete von den Bewohnern im Osten, den Blockposts und dem Durchlasssystem in der ATO-Zone, dessen Regeln sich ständig ändern und die Verbindung der Menschen zur Außenwelt zerstören. Trotzdem sieht sie die Ukraine vereint: „Die Isolierung betrifft vor allem das Gebiet, aber die Ukraine besteht hauptsächlich aus Menschen.“

Der Parlamentsabgeordnete Alexej Rjabtschin, der sich während des Jahres nach den Ereignissen auf dem Maidan mit Vertretern beider Seiten unterhielt, nannte eine Reihe gemeinsamer Ziele. Nach seiner Meinung wollen alle allgemeine menschliche Werte, eine gute Staatsführung und Gerechtigkeit. Beide Seiten waren gegen den Krieg. „Es gab Leute, die den Maidan ablehnten, obwohl sie für die Einheit der Ukraine waren. Sie hatten ihre eigene Meinung und wollten die Probleme innerhalb des Landes durch einen Dialog lösen. Und die Forderungen, einschließlich der Föderalisierung, kamen von außen“, merkte er an und erklärte, dass während des Jahres auf beiden Seiten Liebe zum Land und Patriotismus entstand. Die Bewohner im Osten wünschen sich, dass alles wie früher wird. „Die Ukrainer werden sich einigen, wenn es dort keine weitere Partei, Russland, gibt“, betonte Alexej Rjabtschin.

Alexej Garan, Professor für Politologie an der Nationalen Universität „Kiew-Mohyla-Akademie“, ist auch davon überzeugt, dass wenn es Russland nicht gegeben hätte, wäre der Konflikt ohne Kriegshandlungen gelöst. Als Beispiel nannte er die Ergebnisse einer Umfrage im Vorjahr, als 30 Prozent der Bewohner im Donbass zustimmten, von der Ukraine getrennt zu werden; das heißt, 70 Prozent traten für die Einheit ein und ohne Einmischung des Nachbarn wäre alles geregelt. „Putin möchte die Kämpfer legitimieren und dass die Ukraine für alles bezahlt. Der Ukraine wird die gesamte Verantwortung zum Wiederaufbau dieses Gebiets gegeben. Das ist offensichtlich“, erklärte er. Es ist sinnlos, den Feind zu finanzieren; aber die Menschen, die sich in dem okkupierten Gebiet befinden, benötigen Hilfe. Der Politologe sah sich nicht in der Lage, über eine Lösung des Problems zu sprechen, aber er ist davon überzeugt, dass der Konflikt eingefroren wird. „Aber ich denke, das ist nicht die schlechteste Variante. Sind wir realistisch. Bisher sehe ich keine Möglichkeit, das Gebiet zu befreien und wir können es derzeit nicht wieder integrieren“, ergänzte Alexej Garan und merkte an, dass die Freischärler das Gebiet verlassen müssen, und nicht die Bewohner des Donbass.

Im Verlauf der Diskussion erklärte der Flüchtling Oleg Saakjan, Vorsitzender des Koordinationszentrums „Donbass“, dass es bis heute kein Staatsprogramm zur Arbeit mit den Menschen in den vorübergehend besetzten Gebieten gibt. Es müsste auf die soziale und kulturelle Reintegration dieser Gebiete abzielen. „Bis heute zeigt sich eine gewisse Systematisierung der Region. Wir beobachten eine verallgemeinernde Gleichmachung aller Regionen“, betonte er diese Tendenz. Nach den Worten von Oleg Saakjan haben die Leute im Osten, wie überall, eine völlig andere Mentalität.

Gennadij Fisun, technischer Experte für Kommunikation in zivilisierten Gebieten und der Entwicklung von Subkulturen, meint, dass es keine Gesprächsinstrumente gibt, um völlig zu verstehen, was geschah, damit man sich auf die Lösung des Problems konzentrieren kann. „Das Gebiet ist immer Folge, aber die Menschen sind die Ursache“, davon ist er überzeugt. Nach Meinung von Gennadij ist das, was derzeit geschieht, ein Zusammenstoss zweier Subkulturen. „Die romantische Subkultur des Barocks und die industrielle Kultur wissen gerade nicht, wie sie sich weiter entwickeln werden, und der Feind nutzte das“, meint er. Gennadij Fisun vermutet, dass derzeit eine Wiederbelebung der UdSSR auf Kosten des Donbass geschieht. Deshalb ist es vor allem notwendig, eine völlig ehrliche Analyse durchzuführen, um dann eine Strategie aus der Krise zu entwickeln.

Die Diskussionsteilnehmer äußerten die Meinung, dass man in erster Linie wieder die Kontrolle über die Grenze erlangen muss und danach kann man entscheiden, wie man die Lösung des Problems in friedliche Bahnen lenkt. Als Möglichkeit sollen Vertreter des Staates und Nichtregierungsorganisationen, die im Donbass arbeiten und die lokalen Probleme kennen, in einen Dialog treten, und was dabei wichtig ist – dies öffentlich.