Experten: Eine Technokraten-Regierung kann helfen, die Krise in der Ukraine zu überwinden

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Kiew, den 14. März 2016 – Experten für Reformen haben einen Aktionsplan zur Überwindung der Regierungs- und Parlamentskrise in der Ukraine vorgestellt. Hauptvorschlag ist die Bildung einer technokratischen Regierung. Das machte bei einer Expertenrunde im Ukraine Crisis Media Center Jewhen Bystryzkyj von der “International Renaissance Foundation” deutlich. Die Posten in einer solchen Regierung sollten erst ausgeschrieben werden. Das Kabinett sollte dann vom Parlament ernannt und kontrolliert werden. “Das Parlament muss mit der Regierung öffentlich eine Politik zur Überwindung der Krise und zur Fortsetzung von Reformen erarbeiten”, sagte Bystryzkyj. Er fügte hinzu, dass dies derzeit nur in Hinterzimmern besprochen werde.

Die Idee vorgezogener Wahlen birgt nach Ansicht von Experten Risiken. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass Reformen stagnieren, was wiederum finanzielle und wirtschaftliche Risiken habe. So drohten eine Staatspleite und eine hohe Inflation. Zudem könnte die Ukraine ihre Glaubwürdigkeit verlieren, vor allem in den Augen ihrer westlichen Partner, die ihr helfen würden, die Folgen der russischen Aggression zu meistern.

Mehrere Bedingungen

Doch bei der Bildung einer Technokraten-Regierung müssten Bedingungen erfüllt werden, sagte Wiktor Tymoschtschuk vom “Zentrum für politische und rechtliche Reformen”. “Ernannt werden müssten diejenigen, die bereit sind, vom ersten Tag an konkrete Reformen umzusetzen”, so der Experte. Ihm zufolge sollte es im Kabinett die Posten von Vize-Premiers für Verwaltungsreform und europäische Integration geben. Hingegen sollten die Posten des Ministers für Informationspolitik und der des Ministers des Ministerkabinetts gestrichen werden.

Wichtig sei, mehrere Kandidaten für einen Posten vorzusehen. Diese sollten vor der Bestätigung einer neuen Regierung den politischen Kräfte und der Öffentlichkeit ihr Programm vorstellen. Tymoschtschuk sagte ferner, im Idealfall sollte auch vor einer Regierungsbildung das Gesetz über das Ministerkabinett und die zentralen Organe der Exekutive geändert werden. So sollten die Minister selbst über ihre Stellvertreter entscheiden dürfen. Außerdem sollten die Mitarbeiter von Ministerien angemessene Löhne erhalten. Zudem müsste eine Trennung von Staat und Geschäftswelt vollzogen werden.

Bekämpfung der Korruption

Hauptaufgabe einer Technokraten-Regierung sollte die Korruptionsbekämpfung sein, meint Hlib Wyschlinskyj vom Zentrum für Wirtschafts-Strategien. “Die Prioritäten eines solchen Kabinetts sollten die Privatisierung und die Reform der Verwaltung staatlichen Eigentums sein, das heute die Hauptquelle der politischen Korruption in der Ukraine ist”, betonte der Experte. Ihm zufolge muss die politische Einflussnahme auf die Leitung staatlicher und kommunaler Unternehmen unterbunden werden.

Ferner müsse die Rolle des Staates bei der Umverteilung erwirtschafteter Einnahmen verringert werden. Nötig sei ein Programm zur umfassenden Überprüfung der Staatsausgaben. Fortgesetzt werden müsse die Reform der öffentlichen Auftragsvergabe. Überprüft werden müssten alle Sozialleistungen sowie das Vermögen aller ihrer Empfänger. Auch müsste die Steuerreform abgeschlossen werden, um das Investitionsklima und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, erläuterte Wyschlinskyj.

Umsetzung von Gesetzen

Iryna Bekeschkina, Leiterin der “Ilko Kucheriw Stiftung für demokratische Initiativen”, ist überzeugt, dass heute die Gesellschaft die Dinge selbst in die Hand nehmen muss, so wie während der Revolution der Würde und zu Beginn der russischen Aggression. “Gerade der aktive Teil der Gesellschaft muss sich zusammentun und die Ukraine auf dem Weg der europäischen Integration voranbringen. Das bedeutet, dass notwendige Reformen umgesetzt werden müssen”, unterstrich Bekeschkina.

Wiktor Taran, Leiter des Zentrums für politische Studien und Analysen, fügte hinzu, zu bedenken sei auch, dass die im vergangenen Jahr verabschiedeten Gesetze noch umgesetzt werden müssten. Das Nationale Anti-Korruptions-Büro der Ukraine (NAKB), die Nationale Agentur zur Verhütung von Korruption (NASK) und die Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaften müssten vollwertig ihre Arbeit aufnehmen. Ferner müsste das Gesetz über die öffentliche Parteien-Finanzierung umgesetzt werden.

Internationale Unterstützung

Mychajlo Schernakow von der Expertengruppe “Reanimations-Reformpaket” (RPR), meint, man sollte sich auf die Justizreform konzentrieren. “Verfassungsänderungen in Bezug auf die Justiz sollten nicht ohne ein Gesetzespaket verabschiedet werden, das detailliert regeln würde, wie und wann der Justiz ein Höchstmaß an Unabhängigkeit gewährt wird und wie und wann sie vollständige erneuert wird”, so Schernakow.

Der Leiter der “International Renaissance Foundation” in Kiew, Oleksandr Suschko, sagte, aus Sicht der Geldgeber bremse die politische Unsicherheit in der Ukraine die Unterstützung der Reformen seitens der internationalen Gemeinschaft. Ihm zufolge besteht in vielen Bereichen die Gefahr, dass Reformen aus Mangel an politischem Willen steckenbleiben.