Warum der deutsche Botschafter von “Wahlen unter Besatzern” gesprochen hat und wie die Ukraine darauf reagieren muss

Für die Deutsche Botschaft in der Ukraine war es ein “schrecklicher Tag”, jener 7. Februar. Den ganzen Tag mussten die Diplomaten das Feuer in den bilateralen deutsch-ukrainischen Beziehungen löschen, das der Botschafter Ernst Reichel mit einem Interview entfacht hatte.

Abgesagt wurde eine Pressekonferenz des Botschafters. Ukrainische Politiker erklärten, ihn zu boykottieren. Dem feierlichen Empfang der Botschaft anlässlich des 25. Jahrestags der Eröffnung der Deutschen Botschaft in Kiew blieben viele Gäste fern. Und dann wurde der Botschafter auch noch ins ukrainische Außenministerium einbestellt, mit der Aufforderung, seine im Interview getätigten Äußerungen zu erläutern.

Trotz des gesamten Aufschreis hat Reichel aber einfach nicht begriffen, worin sein Fehler lag. Die Äußerungen im Interview des Botschafters sind natürlich wichtig, weil sie der Haltung eines Teils der deutschen Politiker entsprechen – gerade eines Teil und bei weitem nicht aller Politiker.

Reichel sorgt für Verwunderung

Der deutsche Botschafter Ernst Reichel ist noch ziemlich neu im diplomatischen Korps in der Ukraine. Allerdings haben schon seine ersten Auftritte für Verwunderung in Experten- und Diplomaten-Kreisen gesorgt.

Der bisher aufsehenerregendste Auftritt war eine Rede des Botschafters im Dezember 2016 bei der Vorstellung der Studie “Audit der Außenpolitik”. Der Saal zeigte sich empört darüber, dass der Botschafter gesagt hat, die Ukraine solle keine finanzielle Unterstützung bei ihren westlichen Partnern suchen, sondern sich stattdessen auf dem kommerziellen Kreditmarkt bedienen.

Auf dieser Veranstaltung äußerte sich der Botschafter auch zu Wahlen im Donbass, doch seine Gedanken gingen in den Gesprächen über einen “Marshall-Plan” unter. Vielleicht hat sich der Diplomat deswegen auch keine weiteren Gedanken darüber gemacht, dass seine Haltung zu Wahlen im Donbass eine solche Reaktion hervorrufen kann. Mehr noch, der Botschafter ist davon überzeugt, Ziel eines Angriffs der ukrainischen Medien zu sein.

Ukraine zieht klare “rote Linie”

Der Botschafter hat mit seinen Aussagen klar die “rote Linie” überschritten, die von der Ukraine immer wieder deutlich gezogen wird. Außerdem hat er die Ereignisse der letzten Jahre nicht in Betracht gezogen.

Die Ukraine verfügt bereits über Erfahrungen mit einem Pseudo-Referendum auf der Krim, das unter vorgehaltenen russischen Waffen abgehalten wurde. Auch musste die Ukraine die Erfahrung von Fake-Wahlen in den sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” machen. Kiew ist der Welt dankbar, dass die Ergebnisse dieser sogenannten “Wahlen” von niemandem anerkannt wurden. Zumindest in dieser Frage hat sich die Welt ohne zu zögern auf die Seite der Ukraine gestellt.

Deswegen kann Kiew Vorschlägen bezüglich weiterer Wahlen dieser Art nicht einfach regungslos gegenüberstehen – auch nicht, wenn diese Vorschläge Wahlen in nur einem Teil der besetzten Gebiete unter Bedingungen eines nur “teilweisen Rückzugs der russischen Truppen” vorsehen, was der Botschafter in seinem Interview erwähnt hatte.

Worte haben Gewicht, vor allem die eines Diplomaten, um so mehr eines Botschafters. Eine andere Reaktion auf Reichels Äußerungen konnte es einfach nicht geben.

Botschaft kein Ort für einen Boykott

Die Äußerungen des deutschen Botschafters haben sicherlich eine angemessene Reaktion verdient. Aber wenn man auf Fehler eines Diplomaten hinweist, darf man keinesfalls in Beleidigungen verfallen. Ebenso fragwürdig ist die Forderung nach einem Boykott, die am Dienstag im ukrainischen Parlament laut wurde.

Dessen Befürworter verglichen das Interview von Ernst Reichel mit dem umstrittenen Artikel des ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk. Doch zwischen dem Botschafter und dem Oligarchen gibt es einen wesentlichen Unterschied. Pintschuk vertritt nur sich selbst, höchstens noch seine Stiftung. Reichel hingegen ist Vertreter eines Staates, und zwar eines befreundeten.

Der Beitrag ist eine Zusammenfassung von Artikeln der Online-Zeitungen Jewropejska pradwa (Autor Serhij Sydorenko)