“Weiche Kapitulation” – Kritik an Wiktor Pintschuks “Kompromiss für einen Frieden mit Russland”

In einem Artikel für die amerikanische Zeitung The Wall Street Journal hat der ukrainische Oligarch Wiktor Pintschuk seine Sicht für eine künftige Verständigung zwischen der Ukraine und Russland dargelegt. Dieser Plan bedeutet nach Ansicht von Beobachtern faktisch eine Kapitulation der Ukraine, denn er sieht vor, dass die Ukraine die Krim sowie die europäische und euroatlantische Integration aufgibt und wieder einen blockfreien Status annimmt. So schlägt der Milliardär vor, dass Kiew für 15 bis 20 Jahre die Wiedereingliederung der Krim in die Ukraine von der Tagesordnung streicht, damit diese Frage einer Regelung der Lage im Donbass nicht im Wege steht. Zudem sollte die Ukraine ihre NATO-Bestrebungen vergessen und sich für lange Zeit offiziell vom Ziel einer EU-Mitgliedschaft lossagen.

Nach Ansicht des Oligarchen würde dies Russland beruhigen und ermöglichen, den Krieg im Osten der Ukraine zu beenden. Da der Artikel in einer renommierten amerikanischen Zeitung erschienen ist, sollte er wohl Kiews westlichen Partnern eine ukrainische Sicht auf eine “mögliche Versöhnung” präsentieren. Doch Pintschuks Überzeugungen teilen bei weiten nicht alle Ukrainer. Pintschuks Szenario “Versöhnung durch Kapitulation” hat für einen Sturm der Kritik unter Politikern und Experten gesorgt, die mit Gegenargumenten kontern.

  1. Iwanna Klympusch-Zinzadse, ukrainische Vize-Premierministerin für europäische und euroatlantische Integration, weist in ihrem Beitrag auf Facebook darauf hin, dass die Blockfreiheit, für die Pintschuk eintrete, überhaupt keine Sicherheit garantiere. Klarer Beweis dafür sei, dass Russland seinen Angriff auf die Ukraine zu einem Zeitpunkt geplant habe, wo die Ukraine einen neutralen Status gehabt habe. “Deswegen haben wir – mit dem Aufbau einer starken Armee sowie eines demokratischen Landes – das strategische Ziel, NATO-Mitglied zu werden”, so Klympusch-Zinzadse. Sie betont auch, dass man die Krim nicht aufgeben dürfe, nur um den Donbass zurückzubekommen, weil sowohl auf der Krim als auch im Donbass Ukrainer leben würden. Abschließend unterstreicht die Vize-Premierministerin, dass “nicht wir kapitulieren müssen, sondern der Aggressor”.
  2. Dmytro Kuleba, Ständiger Vertreter der Ukraine im Europarat, meint, dass Pintschuk absichtlich falsche Sichtweisen verbreite. Pintschuks Argumente würden auf der falschen Annahme basieren, dass Russland bereit sei, die Stabilität der Ukraine im Tausch gegen Zugeständnisse seitens der Ukraine zu gewährleisten. “Ich denke, dass der Autor ein sehr kluger und erfahrener Mann ist und dies versteht, aber absichtlich anderes schreibt”, so Kuleba. Ihm zufolge nutzt Pintschuk die Idee aus, wonach man sich mit Russland einigen muss, wobei aber zugleich die Grenze des Möglichen für eine Einigung völlig außer Acht gelassen wird. Pintschuk wolle einfach nur zurück in die Vergangenheit, aber “rechtlich ohne die Krim, faktisch ohne den Donbass und ohne eine wirkliche Chance für eine menschliche Zukunft”, schreibt der Diplomat abschließend.
  3. Hanna Hopko, Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, betont, wenn man über einen Kompromiss mit Russland spricht, muss erst Vertrauen wiederhergestellt werden. Dies kann ihrer Meinung nach erst erreicht werden, wenn die russischen Truppen aus dem Donbass abgezogen sind und die Ukraine die Kontrolle über ihre Staatsgrenze zurückbekommt. Nicht nur die Ukraine müsse Zugeständnisse machen. “Ohne die Umsetzung dieser Bedingungen können in den besetzten Gebieten auch keine Wahlen durchgeführt werden”, so Hopko.
  4. Nach Ansicht von Refat Tschubarow, Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender des Medschlis der Krimtataren,  stellt Pintschuks “schmerzhafter Kompromiss” in Wirklichkeit eine Kapitulation der Ukraine, der Krim und der Krimtataren dar. Tschubarow meint, Pintschuk schlage den Ukrainern vor, ihre nationale Würde und den Glauben an ihre Staatlichkeit selbst zu zerstören.
  5. Ajder Muschdabajew, stellvertretender Direktor des krimtatarischen TV-Kanals ATR, vermutet, dass Pintschuk die Idee einer “weichen Kapitulation” zum Ausdruck gebracht hat, nicht um sie so umzusetzen, sondern um sie zu einem Gegenstand der Diskussion in den ukrainischen Medien zu machen. Das Thema könnte später von ukrainischen Pseudo-Experten und “unabhängigen russischen Intellektuellen” aufgegriffen werden, die “helfen” wollten. Muschdabajew glaubt, dass Probleme mit Russland nie von allein verschwinden und dass sich die schlimmsten politischen Prognosen letztlich immer bewahrheiten. Man müsse aber auf den neuen Diskurs reagieren, vor allem deswegen, weil er nichts mit der Realpolitik zu tun habe. Er habe nur ein Ziel, Putins Wunsch zu realisieren, Einfluss auf die Ukraine auszuüben.

Witalij Rybak, Internews Ukraine. Übersetzung aus dem Ukrainischen vom Ukraine Crisis Media Center