Der Preis der Blockade. Was die Ukraine verliert?

Die Blockade des Donbass dauert fast schon zwei Monate, aber nun wurde sie zur offiziellen Staatspolitik. Wenn es früher um die Unterbrechung des Warenverkehrs aus den und in die besetzten Gebiete ging, was die Position des ehemaligen Freiwilligenbataillons „Ajdar“ war, die von manchen Abgeordneten der Fraktion „Samopomitsch“ („Selbsthilfe“) unterstützt wurden, so schlug Präsident Petro Poroschenko am 13. März vor, die vorübergehend vollständige Blockade der Transportverbindungen dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat zu übergeben, der zuvor gegen die Blockade war. Dieser Rat traf nun eine Entscheidung.

Was ist aber der Preis der Blockade für die Ukraine? Welchen Einfluss wird sie auf die ukrainische Wirtschaft haben? Wie wird die Ukraine ohne Kohle aus den nicht-kontrollierten Gebieten klar kommen? Das Ukraine Crisis Media Center versuchte, hierauf Antworten zu finden.

Wie viel ist verloren: eine Erklärung. Während der Blockade der besetzten Gebiete sprachen ukrainische Beamte über ihre negative Einstellung zu dieser Aktion und versicherten, dass die Blockade der ukrainischen Wirtschaft teuer zu stehen komme.

Eine der letzten Erklärungen gab der ukrainische Ministerpräsident, Wolodymyr Hrojsman, in Winnyzja ab: „Wir verlieren monatlich 2-4 Milliarden Hrywna. Das sind die Verluste durch die Blockade.“

In den Medien erschienen verschiedene Zahlen, wie hoch die Verluste der Ukraine durch die Handelsblockade waren. Oftmals wurden 36 Milliarden Hrywna genannt, wobei diese Zahl nach Meinung von Experten nicht annähernd der Realität entspreche.

Steuerausfälle. Als potentielle Hauptverlustquelle durch die Blockade, auf die die Staatsführung verwies, gelten Steuerausfälle, wobei diese im Wesentlichen von Unternehmen in den besetzten Gebieten der SCM-Gruppe des ukrainischen Oligarchen, Rinat Achmetow, bezahlt werden. Wegen der Blockade kündigten die „Volksrepubliken“ an, die ukrainischen Unternehmen am 1. März zu „verstaatlichen“ (faktisch zu beschlagnahmen). Und am 2. März veröffentlichte die „Donezker Volksrepublik“ eine Liste mit 43 „verstaatlichten Unternehmen“, wovon die meisten Unternehmen von Achmetow waren.

Wie die Pressestelle von SCM mitteilte, zahlten die Unternehmen der Gruppe, die sich in den nicht-kontrollierten Gebieten befinden, 2016 über 3,5 Milliarden Hrywna ins ukrainische Staatsbudget. Das sind zirka 10 Prozent der Steuersumme, die von allen SCM-Aktiva 2016 einbezahlt wurden. Deshalb ist das Steuerthema etwas übertrieben, da die Mehrzahl der verbliebenen Unternehmen von Achmetow weiterhin Steuern an die Ukraine zahlen werden.

Unterbrochene Produktionsketten. Eine zweite Komponente für Verluste sind unterbrochene Produktionsketten, die zum Niedergang der Metallindustrie führen können. Für die Industrie auf beiden Konfliktseiten sind mehrere Warengruppen kritisch, weshalb die Ukraine mit den besetzten Gebieten Handel treibt. Laut Auskunft von „Ukrsalisnyzja“ (staatliche ukrainische Eisenbahngesellschaft) beförderte das Unternehmen 2016 zirka 13,4 Millionen Tonnen Ladungen in die besetzten Gebieten, dabei hauptsächlich Eisenerz (45,5 Prozent) und Steinkohle (44,5 Prozent). Aus den okkupierten Gebieten kamen zirka 19,4 Millionen Tonnen Ladungen: Steinkohle (61,6 Prozent), Eisenmetalle (20 Prozent) und Koks (7,8 Prozent). Die Metallunternehmen in den besetzten Gebieten gehören zum Unternehmen SCM. Allein können sie nicht arbeiten. Die Industrieleistung von SCM ist nicht auf eine Unterbrechung der Rohstoffketten vorbereitet. Experten meinen, selbst wenn SCM alternative Rohstoffe findet und das Logistikproblem löst, wird sich dies auf den Preisvorteil und die Konkurrenzfähigkeit auswirken. Damit wäre SCM gezwungen, die Produktion auf ein Minimum zu reduzieren.

Devisenerlöse und Währungsstabilität. Kann die Blockade den Devisenerlös der Ukraine beeinflussen? Laut Angaben des Chefanalysten von „Concorde Capital“, Alexander Paraschtschij, würden die Gesamtverluste an der ukrainischen Handelsbilanz unter 5 Prozent des Devisenerlöses liegen und monatlich 150-170 Millionen US-Dollar betragen. Wenn die Stahl- und Erzpreise stabil bleiben, gibt es eine Chance, den Export 2017 um fast 10 Prozent zu erhöhen, meinte der Experte.

Die Situation für die Wirtschaft wäre insgesamt schwierig, aber würde zu keinem Kollaps führen. Laut den pessimistischsten Szenarien prognostiziert die Ukrainische Nationalbank, dass sich das Wirtschaftswachstum bei einer Fortsetzung der Blockade bis zum Jahresende 2017 um 1,5 Prozent verlangsamen kann.

Folgt ohne Anthrazitkohle ein Blackout? Zirka 15 Prozent des ukrainischen Stroms werden mit Anthrazit produziert. Gerade dieser Stromanteil hängt von der Förderung von Anthrazitkohle in den besetzten Gebieten ab. Laut Angaben des Energieministeriums vom 3. Februar wurden von Wärmekraftwerken täglich 37.800 Tonnen Anthrazit und 54.800 Tonnen Gaskohle verbrannt. Durch diesen Verbrauch hätten sich die Vorräte an Anthrazit auf fast Null verringern müssen, was aber nicht der Fall war. Weshalb?

Folgende Faktoren waren für die Einsparungen verantwortlich:

  1. Verringerung des Tagesverbrauchs bei Strom. Der tägliche Stromverbrauch verringerte sich um 11,3 Prozent. Dies war wegen der längeren Lichttage möglich.
  2. Hohe Produktivität von Wasser- und Pumpspeicherkraftwerken 2017 gegenüber 2016. Dank der hohen Wasservorräte wurde 2017 fast doppelt so viel Strom durch Wasser erzeugt als in der Vergleichsperiode 2016. 2017 produzierten die Wasser- und Pumpspeicherkraftwerke durchschnittlich 32,8 Millionen KWh/Tag; 2016 waren es nur 18,8 KWh/Tag. Dabei wurde am 24. Februar ein Rekord mit 35,3 Millionen KWh durch Wasser erreicht.
  3. Deshalb sank der Anteil durch Wärmeerzeugung an der Energiebilanz vom 26. Januar bis zum 24. Februar um 39 Prozent. Dies ermöglichte es, den Anthrazitverbrauch um 59 Prozent zu verringern: von 37.800 Tonnen am 3. Februar auf 15.400 Tonnen am 24. Februar; sowie den Gaskohleverbrauch um 37 Prozent: von 54.800 Tonnen auf 34.700 Tonnen. Deshalb verringerten sich die Vorräte an Anthrazit- und Gaskohle bis Anfang März nur gering, aber nicht kritisch: um 12, bzw. 3 Prozent.

Aus diesen Gründen merkten die meisten Ukrainer keine Folgen, obwohl die Staatsführung davor warnte: mit Stromabschaltungen und einer Instabilität des Währungskurses. Nach Meinung von Experten sind die Blockaden eher mit privaten und politischen Interessen einzelner Personen verbunden, als insgesamt mit der Wirtschaft des Staates.