Neuer Heorhij-Gongadse-Preis für unabhängigen Journalismus in der Ukraine

In der Ukraine gibt es eine neue Auszeichnung für Journalisten: den Heorhij-Gongadse-Preis. Er wurde dieses Jahr vom ukrainischen PEN-Zentrum in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Absolventen der Kyiv Mohyla Business School und der Internetzeitung “Ukrainska Prawda” ins Leben gerufen. Das Ukraine Crisis Media Center (UCMC) ist Medienpartner des Preises.

Mit der Auszeichnung sollen Journalisten unterstützt werden, die den Grundsätzen und Werten des unabhängigen Journalismus folgen, Professionalität, Kompetenz und Innovation unter Beweis stellen, mit ihrer Arbeit zur Lösung oder zum Verständnis gesellschaftlicher Probleme im Land beitragen und insgesamt die Medien voranbringen.

Wer war Gongadse?

Heorhij Gongadse (1969-2000) war ein ukrainischer Journalist. Seine Ermordung im Jahr 2000 erschütterte damals wie kein anderes Ereignis die Ukraine seit ihrer staatlichen Unabhängigkeit.

Heorhij hat verschiedene familiäre Wurzeln. Sein Großvater väterlicherseits war Georgier und von Beruf Arzt. Heorhijs Großmutter väterlicherseits wurde in Paris geboren, ihr Vater war Franzose und ihre Mutter Deutsche. Heorhijs Vater, Ruslan Gongadse, kam in Georgien zur Welt. Er absolvierte ein Architekturstudium an der Universität Tiflis. Seine Berufung fand er jedoch im Dokumentarfilm. Er wurde zu einem bekannten georgischen Regisseur. Zudem war er gesellschaftlich aktiv und sympathisierte mit der Dissidentenbewegung in der Sowjetunion. Heorhijs Mutter, die Ukrainerin Lesja Gongadse, geborene Kortschak, stammte aus Lwiw und war Ärztin. 1968 heiratete sie Ruslan Gongadse und lebte bis Mitte der 1990er Jahre in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

Dort wurde Heorhij geboren, dort wuchs er auf und dort studierte er auch. 1989 kam er in die Ukraine nach Lwiw und befasste sich mit Dokumentarfilmen. Dort lernte er die Jura-Studentin Myroslawa Petryschyn kennen. Das Paar heiratete 1995 und bekam zwei Jahre später Zwillingstöchter.

1995 zogen Heorhij und Myroslawa Gongadse nach Kiew und arbeiteten dort fürs Fernsehen. Im Jahr 2000 gründete Heorhij die Internetzeitung “Ukrainska Prawda” (Ukrainische Wahrheit). Sie veröffentlichte unter anderem Material über den damaligen Präsidenten Leonid Kutschma und sein Umfeld. Heorhijs Stellvertreterin war damals die jetzige Leiterin der Internetzeitung, Olena Prytula, Ehefrau des 2016 in Kiew ermordeten Journalisten Pawel Scheremet.

Wer steht hinter Gongadses Ermordung?

Heorhij Gongadse verschwand am 16. September 2000 in Kiew. Im November desselben Jahres wurde in einem Wald außerhalb der ukrainischen Hauptstadt eine enthauptete Leiche aufgefunden, bei der es sich laut Experten um Gongadse hätte handeln können. Die leiblichen Überreste wurden jahrelang in einer Leichenhalle aufbewahrt. Beerdigt wurde der Journalist im März 2016 in Kiew. Damals erklärte Heorhijs Familie, dass der Fall est dann erledigt sei, wenn die Auftraggeber des Mordes verurteilt seien.

Die Ermittlungen, die seit Anfang 2000 liefen, führten schließlich 2013 zur Verurteilung des Ex-Generals des Innenministeriums, Oleksij Pukatsch. Er erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Pukatsch den Mord an Gongadse vollstreckt hatte. Wer jedoch die Tat in Auftrag gab, haben die Ermittler nicht geklärt.

Im Herbst 2000 wurden Tonbandaufnahmen veröffentlicht, die von Mykola Melnytschenko, einem Major der Leibwache des damaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma, in dessen Amtsräumen gemacht wurden. Die Aufnahmen lösten den sogenannten “Kassetten-Skandal” aus. Mit den aufgezeichneten Gesprächen sollte eine angebliche Beteiligung Kutschmas und anderer hochrangiger Beamter an der Ermordung des Journalisten Gongadse nachgewiesen werden.

Das Verschwinden und der Mord an Heorhij Gongadse sorgten im In- und Ausland für Aufsehen. In der Ukraine kam es zu einer großen Protestbewegung unter dem Motto “Ukraine ohne Kutschma”. Die Demonstranten beschuldigten den damaligen Präsidenten und sein unmittelbares Umfeld, an dem Verschwinden des Journalisten beteiligt gewesen zu sein, und forderten daher Kutschmas Rücktritt.

Warum ein Gongadse-Preis?

Heorhij Gongadse war ein Mann, der nie aufgab und nie von seinem Weg abwich. Seine Idee, eine Internetzeitung zu gründen, war in der Ukraine im Jahr 2000 bahnbrechend. Dieser innovative Schritt hatte maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung eines unabhängigen Journalismus in der Ukraine.

Mit dem Gongadse-Preis sollen deswegen Journalisten geehrt  werden, die keine Herausforderungen fürchten, neue Wege bei der Vermittlung von Informationen gehen, liberale Reformen in der Ukraine fördern und den Prinzipien und Werten ihres Berufs treu bleiben.

Die Mitglieder der Jury

In diesem Jahr gehören der Jury folgende bekannte Persönlichkeiten an: Heorhijs Frau, die Chefredakteurin und Leiterin des ukrainischen Dienstes von “Voice of America”, Myroslawa Gongadse, der Präsident des ukrainischen PEN-Zentrums und Schriftsteller Andrej Kurkow, die Journalistin und Mitbegründer der Internetzeitung “Ukrainska Prawda”, Olena Prytula, der Vorsitzende der Vereinigung der Absolventen der Kyiv Mohyla Business School, Mykola Demtschenko, der Leiter der Beratungsfirma “pro.mova” und Mitglied des Aufsichtsrats des ukrainischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Jewhen Hlibowyzkyj, die Journalistin und Frankreich-Korrespondentin der Zeitschrift “Ukrainian Week”, Alla Lazareva, der Dekan der Kyiv Mohyla Business School, Oleksandr Sawruk, die Schriftstellerin und Menschenrechtlerin Larysa Denysenko sowie der Geschichtsprofessor und Direktor des Harvard Ukrainian Research Institute, Serhij Plochij.

Shortlist: Drei potenzielle Gewinner

Diese Woche hat die Jury eine Liste mit den Nominierungen veröffentlicht. Darunter sind die Journalisten Wachtang Kipiani, Taras Prokopyschyn und Serhij Rachmanin.

Wachtang Kipiani (Jahrgang 1971) ist Publizist und Historiker. Er ist Chefredakteur der Webseite “Istorytschna Prawda” (Historische Wahrheit) und des gleichnamigen Magazins beim TV-Sender “ZIK”. Ferner hat er das “Museum und Archiv der Presse” gegründet.

Taras Prokopyschyn (Jahrgang 1991) ist Leiter und Gründer des Medien-Projekts “The Ukrainians”. Er hat auch das Projekt “Creatives” gegründet, ein Online-Magazin für Führungskräfte und die Kreativbranche.

Serhij Rachmanin (Jahrgang 1969) ist Erster stellvertretender Chefredakteur der Zeitung “Dserkalo Tyschnja” (Wochenspiegel). Er ist als Autor beim Radiosender “NW” und TV-Sender “ZIK” tätig.

Auf der diesjährigen Liste der Nominierungen für den Heorhij-Gongadse-Preis stehen insgesamt 21 ukrainische Journalisten. Den Preis können nur Journalisten erhalten, die in der Ukraine arbeiten und in den fünf vergangenen Jahren ihren Beruf ausgeübt haben. Der Preis ist mit 3000 Dollar dotiert.

Wer der diesjährige Preisträger ist, wird am 21. Mai bekannt gegeben. An diesem Tag wäre Heorhij Gongadse 50 Jahre alt geworden.